Very British. Eine Expedition auf die Insel – Teil 6

Ein Bericht unserer Korrespondentin Wendy Wordsworth
Public Footpaths: The Road goes ever on and on …

Nach all den rants über Pubs und Bier, denen die Korrespondentin aktuell noch die Empfehlung für das dunkle Abbott’s (bei Pubs ohne Real Ales) hinzufügen kann, das sie gerade verkostet hat, zurück in die Countryside.

Eines der wichtigsten Schilder in Großbritannien – nach denen der Pubs – ist ein einfaches, oft schon verwittertes Holzschild mit der simplen Aufschrift Public Footpath am Wegesrand. Die Bedeutung dieser Wegweiser ist mindestens genauso wichtig wie die der Pubs. Es handelt sich um alte, traditionelle Fußwege, die aufgrund des geltenden Gewohnheitsrechts, das hier einen sehr hohen Stellenwert genießt, von jedermann betreten werden dürfen. Wagt es jemand, diesen öffentlichen Zugang zu versperren, kann es schon mal passieren, dass Aktivisten nicht nur durch seinen Garten, sondern auch durch seine Küche oder notfalls auch das Schlafzimmer trampeln. Der Autor Nick Hayes hat jüngst ein Buch (The Trespasser’s Companion) veröffentlicht, in dem er sogar dazu aufruft, über dieses uralte Recht hinaus weiteres nicht öffentlich zugängliches Land zu erobern und es unbefugt zu betreten.

Tatsächlich sind nach seiner Feststellung in Großbritannien 94 Prozent des Landes nicht free to roam, das heißt, sie sind nicht öffentlich zugänglich. Das klingt schlimmer als es ist: Public Footpaths führen kreuz und quer durch jeden Winkel des Landes, manchmal sogar quer über eine Schnellstraße. Sie dort zu nutzen, ist genauso waghalsig, als würde man eine Autobahn zu Fuß überqueren. Aber der britische Fußgänger besteht auf seinem Wegerecht – schließlich war der Fußweg zuerst da.

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Überwiegend führen die Footpaths aber durch idyllische, interessante Landschaften. Unser Reisetipp: Einfach einem unscheinbaren Public Footpath zwischen einem schmalen Heckengang folgen und sich überraschen lassen. Wie Bilbo Beutlin im Hobbit (als Warnung gemeint) sagte: „Du betrittst die Straße, und wenn du nicht auf deine Füße aufpasst, kann man nicht wissen, wohin sie dich tragen.“ Hier besteht durchaus die Aussicht auf ein Abenteuer. Vielleicht öffnet sich der schmale, Gang schon bald und belohnt nach kurzem Anstieg mit einem weiten Blick in die Landschaft. Oder führt durch weitere Heckengänge, oder sogar einen der berühmten holloways, uralte Hohlwege, deren Äste sich wie Tunnel über dem Wanderer schließen. Ein echtes Abenteuer wird es, wenn auf der Weide plötzlich junge Bullen stehen, oder sogar ein riesiger Stier, dessen Besitzer auf diese Art drastisch demonstriert, das er etwas gegen das Wegerecht hat. Beide Mutproben sind der Korrespondentin bei ihren Wanderungen aber bisher erst einmal begegnet.

Denkt man einige Hügel weiter, hier wäre es jetzt aber einsam und sicher längst niemand mehr hergegangen, weil der Weg so wild wirkt, kommen einem schon die ersten anderen Wanderer entgegen. Einsam ist es hier nie sehr lange, und die Briten sind zwar im Allgemeinen zurückhaltend, aber meist bereit zu einem kleinen chat. Testen lässt sich das gut mit einer unvergänglichen Bemerkung über das Wetter.

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Eine britische Besonderheit sind stiles, Tore oder Tritte, die es dem Wanderer ermöglichen, Mauern oder Zäune von Weiden trotz der darauf weidenden Schafe oder Kühe zu überqueren. Das können squeezing oder kissing gates aus Holz sein, eine Art Katzenklappe für Wanderer mit einem schmalen Durchlass, oder Leitern aus Holz oder Stein, mit deren Hilfe man auch Mauern überqueren kann. Die engen kissing gates mit einem großen  Rucksack zu durchqueren ist manchmal nicht ganz einfach, und bei den Treppen über die Mauern sollte man vermeiden, unfreiwillig Mikado mit den  Wanderstöcken und den eigenen Beinen zu spielen. Trotzdem machen die vielen stiles Spaß, entschleunigen bei der Wanderung und sorgen für etliche nette Begegnungen, bei denen einem jemand das Tor offenhält, oder umgekehrt. Oder einen typisch britisch höflich tröstet, diese verschiedenen Riegel seien ja auch wirklich schwierig zu bedienen, wenn man sich am Anfang blöd anstellt, weil man denkt, das man die Technik noch nicht ganz verstanden hat, obwohl das olle Tor nur klemmt. Bei manchen Wanderungen wird explizit darauf hingewiesen, dass dabei keine stiles zu durch- oder überqueren seien, was eigentlich schade ist, aber hilfreich sein kann, wenn man sehr kleine Kinder oder einen nicht mehr ganz agilen Vierbeiner dabei hat. 

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Wanderlust ist übrigens ein Wort, das es auch im englischen Wortschatz gibt. Ein anderes interessantes Wort ist foraging, das Ernten von wildwachsendem Essen. The Forager’s Calendar begleitet das ganze Jahr lang beim Wandern und The Hedgerow Cookbook erklärt, was man aus dem Sammelgut alles Leckeres zubereiten kann. Umso mehr wundert es, dass niemand hier Brombeeren zu pflücken scheint. Selbst an viel begangenen Wanderwegen an der Küste, oder am Rand einer Stadt wie Oxford sind die Brombeerdickichte voller ungeernteter Beeren. Im August muss man beim Wandern eigentlich keinen Proviant mitnehmen, sondern kann sich unterwegs entlang der Hecken satt essen. Man sollte es aber nicht übertreiben, denn der beste Abschluss einer Wanderung ist ein Cream Tea mit scones, clotted cream und Erdbeermarmelade. Zu dem die Korrespondentin jetzt aufbricht, und später mehr berichtet.

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