Samstag, 4. Mai 2024

Auf den Tiefschlag folgt der Paukenschlag

Der VfL Osnabrück trennt sich von Trainer Tobias Schweinsteiger
Was bedeutet das für die nahe Zukunft?

Nun also doch! Nach einigem Zögern greift die Vereinsführung des VfL nach dem Allheilmittel Trainerentlassung. Für viele eine mit Beigeschmack. Natürlich konnte man beobachten, dass die Stimmung unter den Fans im Hinblick auf den Trainer zu kippen schien. Darüber berichtete u. a. Frank Schneider in der Montagsausgabe der OS Rundschau. Obwohl man dem integren Fachmann Tobias Schweinsteiger nicht wirklich etwas nachtragen wollte, traute man ihm nicht mehr geschlossen zu, dass er Mittel finden würde, um den Bock umzustoßen. Aber dass die Vereinsführung eine Entlassung tatsächlich in Erwägung ziehen würde, hat das Umfeld der Bremer Brücke einigermaßen kalt erwischt.


Einblicke in die Trainerseele

Die Eindrücke nach der Pleite in Braunschweig mögen den erweiterten Kreis um Doc Welling und Boss Elixmann in ihren Zweifeln bestärkt haben. Die Bilder vom in den Händen vergrabenen Gesicht, die ausdrucklose, aber vielsagende Miene auf den langen Minuten auf der Bank nach dem Schlusspfiff. Illustre Symbolik, von den umlagernden Medien dankbar aufgegriffen und viral gestellt. PK und Interview im Nachgang passten im Ton dazu: mutlos, nach Erklärungen ringend, wenig entschlossen.

Auch die angedeutete Geschichte von belastenden persönlichen Erlebnissen im Braunschweiger Stadion hat nicht gerade für Schweinsteiger gesprochen. Allzu leicht lassen sich solche Einblicke in die Trainerseele gegen einen wenden. Als sei da jemand schon mit Angst im Nacken zum Spieltag angereist. So oder so ähnlich wird das dann kolportiert. Wie ein toxischer Bumerang, der nur die Zweifel nährt: Ob Schweinsteiger noch die mentale Power hat und die nötige Zuversicht ausstrahlt, den schlechten Lauf drehen zu können.

Nun, innerhalb von einem Tag, ist die Situation eine andere, nicht weniger vertrackte. Ob es wirklich zu einer Wende im Spielglück führt, steht in den Sternen.


Führung ohne Kopf

Lange Zeit hatte man nichts gehört von denen, die aufgrund ihrer Position verantwortlich sind für das übergeordnete Management des Vereins, Präsident Holger Elixmann, Aufsichtsratsvorsitzender Tobias Eismann und Geschäftsführer Michael Welling.

Letzterer ist in der jüngeren Vergangenheit eher dadurch aufgefallen, für Werte zu werben, für die der Verein vermeintlich stehe. Sportliche Belange, wie der Verbleib in der Liga spielten da kaum eine Rolle. Noch zurückhaltender hatte sich der Präsident gegeben, der sein Amt, so hat es den Anschein, vorrangig als das eines Repräsentanten interpretiert und ansonsten das Geschehen auf dem Rasen lieber in seiner Funktion als Kommentator beim VfL Radio an sich vorbeilaufen lässt, unterbrochen von kryptisch anmutenden Andeutungen auf seine Befangenheit und dass es ihm nicht zustehe, sich kritisch zu äußern. Souverän geht anders.

Dabei würden sich viele einfach nur von ihm wünschen, dass er die Geschicke des Clubs mit etwas mehr Entschlossenheit und Präsenz führt.

Am Montagabend hatten sie sich dann tatsächlich getroffen – treffen müssen – zu einer anstrengenden Sitzung, in der es endlich um die aktuelle sportliche Situation ging. Mit dabei einer, der auch gut und gerne hätte gefeuert werden können: Sportdirektor Amir Shapourzadeh.

Aber ihn hat es nicht erwischt – noch nicht. Und weil es jetzt wohl wirklich ums Eingemachte ging, war zuvor auch der im April 2022 ausgerufene Sportausschuss zusammengekommen – in ähnlicher Besetzung, denn Eismann, Elixmann und Welling gehören dieser von der NOZ als »ominöses Gremium« bezeichneten Runde an, bei der man einzig in Betracht auf den langjährigen Manager Lothar Gans von einem sportlichen Berater sprechen kann.

Wegweisende Entscheidungen habe man getroffen, denn nicht nur vom Trainer müsse man sich »schweren Herzens,« trennen, sondern es würde in Zukunft wieder einen Geschäftsführer Sport geben, den man genauso wie einen neuen Coach ab sofort suche.

Dass man in eine solche Entscheidungs-Bredouille fast schon hineingestolpert ist, zeigt sich daran, dass, wie woanders oft üblich, kein potenzieller Nachfolger an der Hintertür gewartet hat. Die Herren waren offenkundig allesamt noch bis Samstag 13 Uhr von Schweinsteiger überzeugt.


»Bin mit mir im Reinen«

Dann ging alles sehr schnell, wie oft in diesem Geschäft, wenn es um die Abwicklung ungeliebter Prozedere geht. Das am Dienstag für 10.30 Uhr angesetzte Training wurde kurzfristig abgesagt; die Spieler erschienen erst gegen Mittag auf der Illoshöhe. Da war die Entscheidung schon bekannt.

„Ich bin mit mir im Reinen“ – mit diesen Worten verabschiedete sich der 41-jährige Trainer, bevor er sich am Nachmittag auf den Heimflug nach Rosenheim macht – zum 70ten Geburtstag seines Vaters. Am Nachmittag schon Business as usual ohne Schweinsteiger, interimsweise haben die vormaligen Co-Trainer Martin Heck und Tim Danneberg jetzt die sportliche Führung des Teams in der Hand. So läuft das. Show must go on!

Das ist auch schon alles, was bisher geklärt ist. Vieles andere nicht.


Fragen, die auf den Nägeln brennen

Unklar bleibt, wie ernst die eilig zusammengerufene Chefetage es wirklich mit der Trainersuche meint. Ob man nicht vielleicht abwarten will, wie sich das Ersatzduo so schlägt. Ob man nicht auf billige Tour in die Winterpause kommen will. Und dann mal schau‘n?

Gar nicht mehr sicher auch die Zukunft des degradierten Sportdirektors.

Unüberhörbar schwingt in den überschwappenden Kommentaren zum Rauswurf von Schweinsteiger, der allgemein bedauert bis betrauert wird, die Kritik an ihm mit. Fast unisono wird er als der eigentliche Verantwortliche für als unzureichend erkannte Besetzung des Kaders benannt. Davon werden Präsidium und Geschäftsführung nicht unbeeindruckt bleiben. Schließlich müssen sie sich ab sofort Gedanken darüber machen, wie sie einen Vertrag möglichst wirtschaftlich auflösen, den ihr Sportdirektor im Frühjahr mit Schweinsteiger bis zum 30.Jun 2026 (!) abgeschlossen hat. Gut möglich, dass kurz nach der Einstellung eines neuen Leiters des sportlichen Sektors die Entlassung Shapourzadehs bekannt gegeben wird.


Rhetorische Flaute in der Chef-Loge

Weiterhin unverständlich bleibt die rhetorische Flaute der Vereinsführung.

»Es fehlt an Philosophie« würde ein Netzer dazu sagen. Ein Statement zur künftigen Zielsetzung mit realistischer Perspektive dürfte schon reichen, wenn es denn überzeugend rüberkäme. Aber in puncto Öffentlichkeitsarbeit steht das Management aktuell leider auch auf einem Abstiegsplatz.

Die Liga mit allen Mitteln halten oder im Gleitflug wieder runter? Wie viel finanziellen Spielraum bekommt ein neuer Geschäftsführer Sport für Verstärkungen im Winter?

Wie stellt man sich in der Chef-Loge überhaupt die nahe Zukunft des VfL vor?

Fragen, die im Presseraum versacken wie verunglückte Pässe auf dem Rasen.

Trotzdem: Es bleibt irre spannend an der Bremer Brücke, wenn schon nicht auf dem Rasen, dann auf den Rängen. Allein auf die Reaktion der Fans auf das tragikomische Stück in der Länderspielpause kann man gespannt sein – oder werden die knapp anderthalb Wochen die Gemüter schon beruhigt haben?

Ein Gamechanger in Sachen Stimmungsaufhellung könnte ein neues Gesicht in der Coaching-Zone sein. Aber, wie gesagt, das gehört zu den Dingen, die in den Sternen stehen, ob und wann da überhaupt jemand anderes auftaucht.

spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
spot_img
Follow by Email
Facebook
Youtube
Youtube
Instagram
Spotify