Der Tag, an dem Barcelona 1999 noch einmal geschah

Der 27.05.2023 – ein Tag für die Ewigkeit

Das, was sich an der „Bremer Brücke“ ereignete, lässt sich nur mit dem Begriff des Wunders beschreiben. Der Fußballgott griff offensichtlich ein. Die himmlisch-verrückte Vorlage für das Mirakel war das Champions League-Finale von 1999. Damals schoss Manchester United – 90 Minuten zuvor torlos geblieben – in der Nachspielzeit zwei Tore und entriss dadurch dem FC Bayern noch den Henkelpokal.

Die gesamte Saison war der reinste Wahnsinn – und am Samstag verdichtete sich in einem Spiel alles, was seit dem 1. Spieltag geschah. Kurz vor der WM-Pause am ersten Novemberwochenende, da blickte der VfL nach dem 3:4 gegen Zwickau in den Abgrund der Regionalliga. Die Saison drohte zur Tragödie zu werden, der Abstiegskampf wurde ausgerufen, um das Schlimmste abzuwenden. Doch dann wechselte der Fußballgott das Genre. Anstelle des vorherigen Trauerspiels entwickelte der Herr des runden Leders beim VfL ein Frühlingsmärchen.

Die Lila-Weißen spielten dann im Jahr 2023 so, als wären die Gebrüder Grimm als Tobias Schweinsteiger wiedergeboren. In 21 Spielen seit dem 14. Januar holte der VfL 48 Punkte. In dieser Bilanz spiegelt sich eine Konstanz wider, von der die Stolper-Bayern als Krisenmeister nur träumen können. Und eine robuste Mentalität, die der BVB gerne hätte.

Der Wahnsinn kennt bei den Lilahemden kein Tempolimit. Er ist ein Raser, der nicht egoistisch die Erderwärmung anheizt, sondern altruistisch die Emotionen auf den Tribünen. Im Spiel gegen die starken BVB-Talente gab sich dieser Wahnsinn hemmungslos dem Geschwindigkeitsrausch hin. So wurde es noch verrückter als beim VfL-Aufstieg 2007, als die entscheidenden Tore – verglichen mit  dem nun heiligen 27.05.23 – frühzeitig in der 81.Minute und in der 89. Minute fielen.

Der Fußballgott wollte Osnabrück beschenken, indem er an der „Brücke“ den Wahnsinn wiederholte, der 1999 in Barcelona geschah. Daher ließ der himmlische Schöpfer aller Tore zunächst Simakala   in der 94. Minute wuchtig den Ausgleich erzielen. Die BVB-Bubis taumelten, die „Brücke“ bebte, bis zwei Minuten später der Stimmungsvulkan im Schinkel eine pure Ekstase ausspie. Die heftige Eruption der Glücksgefühle löste Wulff aus, der nach dem fußballgöttlichen Plan die Rolle des Ole Gunnar Solskjærs erfüllte und in der 96. Minute das 2:1 machte.

Anfang September 2022, als der VfL in einem wilden Spiel 3:4 in Oldenburg verlor, war ich „schockverliebt“ in den „Schweinsteiger-VfL“. Diesen verwirrenden Gefühlszustand konnte ich damals jedoch noch nicht so beschreiben, weil ich Tuchels Begriff für ein sehr spezielles romantisches Empfinden noch nicht kannte. Nach der Pleite in Dresden trotz einer 2:0-Führung und der Demontage in Elversberg fühlte ich mich dann ratlos wie der neue Bayern-Trainer nach der Klatsche gegen Rasenball. Meine Hilflosigkeit hielt zum Glück nicht lange an, schließlich begann mit dem verrückten Wende-Sieg gegen Verl (2:1 an der „Brücke“) und dem souveränen 3:0-Auswärtserfolg im Derby gegen Meppen schon bald die Vorgeschichte des Frühlingsmärchens.

Je länger die Rückrunde dauerte, desto stärker kristallisierte sich heraus: Tobias Schweinsteiger ist ein überragender Spielerentwickler und Leistungsabrufer, vom Herrn des runden Leders zum VfL geschickt, damit die Lilahemden fußballerisch sowohl im Schinkel als auch in New York die Straße unfallfrei überqueren können. So würde es ein emotional aufgewühlter Tuchel ausdrücken. Und im Spiel gegen Dortmund? Ja, das war – um in der Bildsprache des Bayern-Trainers zu bleiben – eindeutig die Fifth Avenue, die der VfL bewältigte.

Zum Schluss: Was ist die Moral von der Geschichte? Die Saison ist erst zu Ende, nachdem der verwunschene Ball zweimal das Netz küsste und sich als Aufstiegsmacher zu erkennen gab, um den VfL dann mit den DFL-Insignien der zweiten Liga zu krönen. Wenn sie nicht gestorben sind, dann feiern sie den Aufstieg noch heute!

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