Freitag, 19. April 2024

Frank Schneider alias „Ali Boelzen“: Wie schalkerisiert ist der VfL?

Adamczyk agierte wie Manuel Neuer, leider spielte der Rest aber so schlecht wie Schalke zuletzt in Leverkusen und Hoffenheim – und das, obwohl der VfL für seinen Horrorauftritt in Elversberg kein „Kramer-Alibi“ hatte.

Während Kramer auf Schalke ein XXL-Teil des Problems war, traue ich Schweinsteiger zu, dass er ein relevanter Teil der Lösung sein wird. Die Entscheidungen, die er am Samstag traf, waren angesichts des Spielverlaufs konsequent und prinzipiell plausibel. Sehr ärgerlich war, dass sie nicht den beabsichtigten Effekt hatten.

Anstatt fatalistisch mit den Händen in den Hosentaschen am Spielfeldrand zu stehen, griff Schweinsteiger frühzeitig ins Spiel ein: mit einem Doppelwechsel und der Umstellung auf ein 3-5-2, die damit einherging. Leider ging der Plan mit der taktischen Korrektur nicht auf, weil Rorig einen schweren Blackout hatte, der auf diesem Spielniveau sehr selten ist. Nach dem Anschlusstreffer kam kurzfristig das Gefühl auf, dass ein dreckiges Unentschieden erreichbar wäre – bis das 3:1 alle Illusionen pulverisierte. Elversberg hatte am Samstag die fußballerische Eskalationsdominanz.

Der Blick auf die Tabelle der dritten Liga bereitet eine schlechte Laune, weil die Lilahemden bislang die sportlichen Erwartungen bitter enttäuschen. Am Anfang der Saison – nach der Heimpleite gegen Ingolstadt – waren vor allem diejenigen schwer frustriert, die in ihrem VfL-Leben den Fanhabitus der ewigen Zweitligazugehörigkeit ausgebildet haben, der blind für Fakten wie Budgetzwänge ist. Inzwischen erfasst die Reizstimmung auch jene Teile der Fanszene, die mit einer realistischen Anspruchshaltung in die Saison gingen. Platz 15 mit zwei Punkten Abstand zum Abstiegsplatz ist alarmierend. Es sieht so aus, dass der VfL in den nächsten Wochen erst einmal um den Klassenerhalt kämpfen muss – und das, obwohl der Kader das Potenzial für einen einstelligen Tabellenplatz haben müsste.  Das ist der große Unterschied zu Schalke, denn dort war vor der Saison klar, dass der Klassenerhalt eine Herkulesaufgabe wird.

Anders als auf Schalke wäre beim VfL der Abstiegskampf vermeidbar gewesen. Gemessen an dem, was er in seiner Liga zu leisten imstande wäre, spielt er sogar noch schlechter als die Gelsenkirchener. Daher müsste zusätzlich ein Erklärungsansatz herangezogen werden, der dem großen Schalker Ruhrpottrivalen häufig zugerechnet wird. In anderen Worten: Nicht nur der BVB, sondern auch der VfL hat ein Mentalitätsproblem! Am Samstag spielte der VfL so schlapp, als hätten die Spieler vor der Partie alle eine Darmspiegelung gehabt – wohingegen die Elversberger wie unter dem Einfluss eines Zaubertranks auftraten.

Am Samstag unterließen die Lilahemden all jenes Verhalten, das zu den Grundtugenden des Fußballs gehört. Engelhardt sprach im Interview nach dem Schlusspfiff sogar von einer Arbeitsverweigerung, die in der ersten Halbzeit stattgefunden habe. Das ist ein hartes Urteil – und vor allem deshalb bemerkenswert, weil es eher typisch für den Boulevardjournalismus ist und nicht für das, was Profifußballer nach dem Spiel sagen. Und: Die Überraschung in der Überraschung war, wer diese vernichtende Einordung des Geschehens vornahm. Denn der scharfe öffentliche Weckruf ist eigentlich das Privileg der Führungsspieler im Männerfußball – und nicht von Akteuren, die um den Status des Ergänzungsspielers kämpfen müssen. So war es in Dortmund Hummels, der über die Medien eine scharfe Kritik am Tik(i)Tok(a)-Spielstil seiner Mannschaft übte – und nicht ein Spieler, der zwischen Ersatzbank und Tribüne pendelt. Ob – vor diesem Hintergrund betrachtet – Engelhardts Verhalten in der Mannschaft gut ankommt, zumal er selbst in der ersten Halbzeit nicht auf dem Platz war?

Eine Arbeitsverweigerung setzt eine Intention voraus. Aber was wäre denn der Zweck gewesen, Zweikämpfe und schnelle Läufe absichtlich zu unterlassen? Das Motiv, mit einer desaströsen Leistung gegen den Trainer zu spielen, trifft beim VfL nicht zu – ebenso wenig ist wahrscheinlich, dass den Spielern der Schutz ihrer Frisur wichtiger war als der körperliche Einsatz. Die Frage ist, wie sich gegen den Willen der Spieler Verhaltensmuster einschleichen, die von außen betrachtet aussehen, als würden die Lilahemden die Arbeit auf dem Platz verweigern. Hier ist Schweinsteiger als Problemlöser gefragt, der daran zu arbeiten hat, Bedingungen zu schaffen, unter denen seine Spieler dann innere Zustände überwinden können, die den Kopf träge, die Reaktionen langsam und die Beine schlapp machen.

Eine wichtige Bedingung für den Erfolg der Mannschaft ist die Gruppendynamik. Schweinsteiger sind im Interaktionssystem der Spieler Verhaltensmuster aufgefallen, die er als leistungshemmende Strömungen kritisierte. Dass er diese Beobachtung schonungslos öffentlich macht, überrascht.  Anders als Engelhardt hat Schweinsteiger aufgrund seiner Trainerposition aber die Autorität, um über die Medien eine harte Kritik zu äußern. Die Thematisierung der Defizite zeigt, dass Schweinsteiger bereit ist durchzugreifen – was das Binnenklima in der Mannschaft ändert, indem die Spieler nun damit rechnen müssen, dass ein Weiter-so nicht mehr toleriert wird. Allerdings gelten für Schweinsteiger dieselben Kommunikationsgesetze wie für Hummels: Das Einflussmittel des öffentlichen Anschisses nutzt sich ab, wenn es öfter eingesetzt wird – weil eine Autoritätsinflation entfacht wird.

Eine bereinigte Gruppendynamik ist eine notwendige, aber keine hinreichende Bedingung für einen sportlichen Aufwärtstrend. So bedarf die Mannschaft auf dem Platz auch jener Automatismen, in denen sie die Grundtugenden abrufen kann, ohne dass sich einzelne Spieler vorher bewusst motivieren müssten. Als Taktik-Nerd ist Schweinsteiger zuzutrauen, dass er diese Aufgabe meistert.

Mag es auf den ersten Blick auch irrational erscheinen:  Die Rote Karte gegen Schweinsteiger könnte ein Mutmacher sein! Denn: Seit Thiounes Wechsel zum HSV wurde vielfach geklagt, dass in der Coaching-Zone die Emotionen fehlen. Nun haben wir einen Trainer, der motzen kann wie Klopp. Sollte der VfL sportlich nicht in die Spur kommen, sollte es nicht an fehlenden Wutausbrüchen des Trainers gelegen haben.

Die Situation ist ernst – aber ich habe keine Angst um den VfL. Die hatte ich in der Saison 17/18, etwa nach dem 1:4 in Münster kurz vor Joes Freistellung und nach dem 0:5 an der „Brücke“ gegen Paderborn. Die aktuelle Mannschaft ist besser als die damalige – mag diese Aussage nach dem Schock vom Samstag noch so bekloppt erscheinen: angesichts des Grauens auf dem saarländischen Rasen, welches eher befürchten ließ, dass der VfL einer rumpelfüßlerischen Schalkerisierung, gepaart mit Dortmunder Mentalitätsproblemen, anheimgefallen wäre. Auch wenn es Hardcore-Schwarzseher*innen nicht wahrhaben wollen: Der VfL hat bessere Chancen auf den Klassenerhalt als der „Kumpel- und Malocherclub“ in der Bundesliga, was die aktuelle Situation der Lilahemden jedoch nicht verharmlosen soll.

Was macht Hoffnung? Zum einen, dass Schweinsteiger mit dem „frühen Thioune“ auf Augenhöhe sein dürfte – und zum anderen, dass unter Doc Welling das Krisenmanagement professioneller geworden ist. Ansonsten wäre nach Schernings Wechsel zur Arminia wohl ein VfL-Trainer mit Stallgeruch verpflichtet worden. Ebenso erwarte ich, dass in den Gremien die Transferpolitik des letzten Sommers kritisch aufgearbeitet wird. Denn es ist offensichtlich nicht gelungen, Klaas und Opoku gleichwertig zu ersetzen.

Noch ärgerlicher als das 1:4-Desaster in Elversberg ist, dass im Oldschool-TP vereinzelt getan wird, als würde Doc Welling den sportlichen Erfolg gefährden, weil er Ressourcen dafür einsetzt, den VfL inklusiver und nachhaltiger zu machen. Wer das Konzept der Enkeltauglichkeit auf diese Art und Weise diffamiert, verhält sich so populistisch wie Sahra Wagenknecht, die ebenfalls Identitätspolitik gegen materielle Fragen ausspielt, als wäre das eine nur auf Kosten des anderen zu erreichen.

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