Freitag, 29. März 2024

Frank Schneider: Öffentliches Daumendrücken für den SC Freiburg – Teil 3

War das nötig?

Diese Frage wurde auf „lilaweiss.net“, dem digitalen Zentralorgan der VfL-Fans, aufgeworfen, nachdem der VfL überraschend einen „offenen Brief“ publiziert hatte.

Ja, dieses Schreiben hatte es in sich, denn die VfL-Verantwortlichen taten etwas, was nicht den üblichen Verkehrsformen vor einem Pokalfinale entsprach. Konkret ausgedrückt: Der VfL verkündete öffentlich, dass er dem SC Freiburg im heutigen Endspiel gegen RB Leipzig die Daumen drücken wird – anstatt als unbeteiligter Dritter das ungeschriebene Neutralitätsgebot mit einem Schweigen einzuhalten. So ungewöhnlich, wie dieser „offene Brief“ auf den ersten Blick auch ist, so notwendig ist er, folgt doch die Positionierung pro Freiburg fußballnormativ wohlbegründeten Argumenten!

Zur Vorgeschichte des „offenen Briefs“ gehört die Diskussion, die im „Doppelpass“ am 08.05.2022 lief. Dort war Oliver Mintzlaff eingeladen, der RB-Geschäftsführer. Es ging thematisch darum, dass der SC Freiburg es ablehnte, gemeinsam mit RB Leipzig einen Begegnungsschal auf den Markt zu bringen. In dem Fußballtalk auf Sport1 warf der „Rasenball“-Boss den Breisgauern indirekt Respektlosigkeit vor. Als moralischer Fachanwalt des sächsischen Fußballkonstrukts versuchte Mintzlaff dem Publikum zu suggerieren, dass es keine guten Gründe gäbe, den Begegnungsschal abzulehnen. Von diesem Motiv angetrieben, wählte der „Rasenball“-Geschäftsführer ein realitätsverzerrendes Framing, das glauben machen sollte, als wäre der Leipziger Plastikclub nichts anderes als ein Traditionsverein von morgen. In Mintzlaffs Erzählung wurde „Rasenball“ zu einer Art „Eintracht Frankfurt im Grundschulalter“, so konnte die auswärtige Supportschwäche wie eine Kinderkrankheit erscheinen.

Der „Doppelpass“ war eine mediale Bühne, auf der Mintzlaff im Überschwang der Selbstverklärung „Rasenball“ Leipzig abfeiern konnte – wobei er von Oliver Müller und Cornelius Küpper zumindest etwas Widerspruch erfuhr. Die Kritik an der fehlenden Emotionalität unter den RB-Kund:innen wehrte Mintzlaff ab, indem er eine Performance zeigte, die den Charakter einer rhetorischen Pyroshow hatte: durchchoreografiert nach dem Motto „Neues im Alten akzeptieren, Rasenball legitimieren“. Folglich wurde die Debatte im „Doppelpass“ schwer vernebelt – und im verbalen Rauch ging völlig unter, dass „Rasenball“ Leipzig ein Marketingmonstrum ist, das ja primär geschaffen wurde, um den kapitalistischen Interessen des österreichischen Mutterkonzerns zu dienen.

Mintzlaff versucht, mit den Verblendungsmitteln der Markenkommunikation die Scheinrealität eines „normalen Clubs“ herbeizureden. „Rasenballs“ Identitätsdarstellung ist als ein Stigmamanagement zu verstehen, das die Aufmerksamkeit von der schmutzigen Gründungsgeschichte ablenken soll. Um ihre Ursprünge zu verdunkeln, sprechen die Leipziger daher sehr gerne und sehr viel von Entwicklung – wie es auch Mintzlaff im „Doppelpass“ tat. Das Entwicklungsnarrativ fungiert als eine hochtourig laufende Mythenmaschine, die „Rasenballs“ Normalisierung als ein Verein unter anderen Vereinen diskursiv erzeugen soll. Sportliche Erfolge dienen als Legitimitätsressource, weil sie die Chance erhöhen, dass Leipzig nachträglich die volle Anerkennung in der Fußballwelt bekommt – als wäre „Rasenball“ mit Traditionsvereinen gleichwertig, in denen die Partizipation der Mitglieder zu den Grundwerten gehört.

Wer sich nur oberflächlich mit dem „Konstrukt RB Leipzig“ beschäftigt hat, hätte nach der Rezeption der „Doppelpass“-Sendung leicht glauben können, dass der verweigerte Begegnungsschal ein Fall für die Diskriminierungsstelle im Fußball wäre. In Mintzlaffs Erzählungen schimmerte durch, dass sich „Rasenball“ als Opfer bornierter Traditionalisten sieht, die eine pathologische Angst vor Neuem hätten. Angesichts dieser Realitätsverzerrung ist der „offene Brief“ ein notwendiger Diskursbeitrag, der verdrängte Perspektiven ins Kollektivbewusstsein der fußballaffinen Lebenswelt zurückholt.

Der VfL holt somit nach, was im Fußballtalk auf Sport1 größtenteils versäumt wurde, denn Doc Welling und Holger Elixmann machen mit ihren Argumenten den blinden Fleck sichtbar, den Mintzlaff mit seinem Framing notorisch reproduzierte. RB Leipzig ist die Totalisierung des Marketings – und somit von seiner Gründungsgeschichte qualitativ etwas ganz anderes als Eintracht Frankfurt, Schalke oder der VfL. Ein Begegnungsschal, der gemeinsam mit RB in Umlauf gebracht würde, ist daher kein harmloses Textilstück. Im Gegenteil, er ist ein toxisches Symbol, das nicht nur der Normalisierung der „Rasenballer“ diente, sondern auch der Weiterverbreitung des „Red Bull“-Logos.  Es ist verständlich, dass sich der SC Freiburg nicht für die Imagekampagne des österreichischen Brauseherstellers instrumentalisieren lassen möchte.

Der „offene Brief“ ist somit ein couragierter Akt der Solidarität mit dem Sportclub: Ein Akt, der notwendig ist, weil er aufzeigt, dass die Freiburger keine populistischen Angstreflexe bedienen. Indem der Begegnungsschal abgelehnt wurde, traf der SCF vielmehr eine wertebasierte Entscheidung, die rational begründet ist – wie im „offenen Brief“ des VfL deutlich geworden sein sollte. „Rasenball“ Leipzig ist keine „Fortsetzung der traditionellen Vereinsidee mit anderen Mitteln“, sondern deren zynische Aushöhlung. Daher ist eine Abgrenzung nach wie vor angebracht – auch wenn der Fußball attraktiv sein mag, den „Rasenball“ spielt. Mit dem öffentlichen Daumendrücken für den SC Freiburg legte der VfL ein symbolisches Bekenntnis ab, mit dem er sich fußballpolitisch eindeutig positionierte – anstatt aus taktischen Gründen herumzulavieren. Das verdient Respekt – oder anders ausgedrückt: Einen Daumen hoch für die gelebte solidarische Psycho-Orthopädie unter Traditionsvereinen, eben dafür, mit gedrückten Daumen dem SC Freiburg den Rücken zu stärken!

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