Samstag, 20. April 2024

Wie der VfL Osnabrück die neue Saison angehen will

Mit der Raute zum Erfolg

Nun ist es also wieder soweit: Der Ball rollt in die Drittliga-Saison 2022/23. Endlich! Freitagabend, 22.Juli 19 Uhr, Flutlicht (Wie lange noch bei den Energiepreisen?), der VfL Osnabrück spielt zur Eröffnung zu Hause an der Bremer Brücke gegen dem MSV Duisburg. Fußballherz, was willst du mehr?

Es ist gerichtet, die ergebnisneutralen Testspiele sind überstanden, mehr als 5.000 Dauerkarten verkauft, große Erwartung rund um den Verein. Ja, was erwarten sie denn, die Osnabrücker von ihrer Mannschaft? Man kann davon ausgehen, dass alle darauf setzen, dass ihr Team oben mitspielt, und viele vom Aufstieg träumen.

Und die Verantwortlichen, welches Ziel haben sie ausgegeben?

Bei der sportlichen Leitung gibt man sich in dieser Frage gewohnt bedeckt. Laut Trainer Scherning wolle man eine gute Rolle spielen. Das klingt nach Understatement und hat sicherlich seine Berechtigung.

Wer aber den VfL und seine jüngere Geschichte kennt, weiß, dass Akteure und Follower sich mit einem Saisonverlauf wie dem vergangenen nicht ewig zufriedengeben. Die Osnabrücker wollen eine ernsthafte Perspektive auf die 2. Liga. Dies muss immer im Fokus stehen und greifbar sein. Bleibt die Frage, wie nah man diesem Wunsch mit dem neuen Kader kommen kann.

 

Kontinuität und frische Kräfte:
Der Kader des VfL für die Saison 2022/23

Ein Vorteil gegenüber der vergangenen Saison ist, dass die Teambildung nicht bei null anfängt. Nachdem man sich während der Sommerpause von Spielern getrennt hat, die – wie man es charmant sportlich ausdrückt – dem Team nicht weiterhelfen konnten oder neue Herausforderungen suchen, haben Sportdirektor Amir Shapourzadeh und Coach Daniel Scherning versucht, die frei gewordenen Positionen mit neuen Figuren zu besetzen, in der Erwartung, dass diese ihr Potenzial hier voll auf den Platz bringen können. Wie das so ist bei einem Drittligisten mit notorisch klammer Kasse, wurden ausschließlich Spieler verpflichtet, für die man keine Ablösesumme zahlen muss. Eine sportliche Leitung, die unter solchen Bedingungen eine Kaderplanung umsetzt, schaut zuerst nach unten in die Regionalliga und pickt sich dort Rosinen heraus, von denen man annimmt, dass sie weiter reifen: Benas Satkus, Maxwell Gyamfi, Jannes Wulff, Erik Engelhardt, Daniel Adamczyk (Tor).

Neue Spieler aus der 3. Liga zu gewinnen, ist nur möglich, wenn diese bei ihrem alten Verein keine wesentliche Rolle mehr spielen (Henry Rorig) oder der VfL mit Gehaltsaufbesserung bzw. spannendere sportliche Perspektive locken kann (Leandro Putaro). Als ein Glücksfall nicht nur für den VfL hat sich die Insolvenz von Türkgücü München erwiesen. Da muss eine ausgefuchste Sportdirektion einfach zuschlagen (Paterson Chato).

Ergänzt wird der Kader durch hoffnungsvolle Talente aus dem Nachwuchszentrum: Jannik Zahmel, Yegit Karademir und der jetzt schon als Überflieger gehandelte Kevin Wiethaup.

Zugänge aus der 2. Liga oder höher zu realisieren, ist für den VfL nur über ein Leihgeschäft möglich oder wenn sich durch eine besondere persönliche Situation etwas ergibt.  Das ist offensichtlich bei Robert Tesche vom VfL Bochum kommend der Fall. Es hat gepasst zwischen seinen Vorstellungen und dem Angebot des VfL. Vielleicht der Königstransfer der Saison. Beim Alter von 35 könnte man Bedenken hinsichtlich der Fitness und Verletzungsanfälligkeit äußern, aber dass man auch in der Lebensphase Spitzenleistung in der 3. Liga bieten kann, beweist sich an dem alten und neuen Kapitän Marc Heider. Bezüglich möglicher Ausleihen ist die letzte Gelegenheit nicht verstrichen. Was kurz vor Transferschluss noch gehen kann, hat das Beispiel Aaron Opoku gezeigt.

 

Eine neue Spielidee im Stresstest

Die gesamte Vorbereitungsphase wurde geprägt durch EIN Thema: das neue System mit der Mittelfeldraute. Weniger ging es darum, wie sich manche Spieler weiterentwickelt und verbessert haben, was durchaus zu beobachten ist. Oduah, Zahmelund Higl wären hier zu nennen und natürlich Kevin Wiethaup.

Als Schlüssel zum Erfolg wird die Perfektion des Systems vorangestellt. Die Idee dahinter: Wege zum Tor mittels eines rautenförmig aufgestellten Mittelfeldspiels eröffnen, in dem durch wechselseitige Verschiebung der zwei laufstarken Außenpositionen und einer defensiv ausgerichteten (Tesche) und einer offensiven Kraft (Simakala) unter Anwendung eines konsequenten One-Touch-Kicks die gegnerische Defensive sozusagen schwindelig kombiniert werden soll, sodass stoßweise finale Pässe zu den zwei Allroundstürmern durchdringen, die sie nur noch effektiv verwerten müssen.

Soweit die Theorie, die gegen unterklassige Gegner tatsächlich gut geklappt hat. So kassierten Melle 6 Treffer und Havelse sowie Ahlen jeweils 4.  Sogar den VfL Wolfsburg konnte man damit beeindrucken (3:1), wobei man einräumen muss, dass der Erstligist gerade erst den Trainingsbetrieb aufgenommen hatte.

Die Priorität der Systemtreue geht soweit, dass Spieler extra umgeschult werden, um die neuen Anforderungen zu erfüllen. Und hier liegt möglicherweise die Crux der Systemtüftelei. Lässt sich ein Instinktstürmer wie Simakala tatsächlich so umfunktionieren, dass er der Mannschaft als offensive Rauten-Tangente dienlicher ist? Ist es sinnvoll, einen Mittelstürmertyp wie Erik Engelhardt, dessen Torjägerqualität bei Cottbus so prima zum Tragen kam, weil ein konsequentes Flügelspiel auf ihn ausgerichtet war, zum systemkonformen Stoßstürmer zu trimmen? Fragen, die offen bleiben und erst im Stresstest des Ligabetriebs beantwortet werden.  Als es in der Testphase zuletzt gegen Teams auf Augenhöhe oder darüber ging, zeigte sich, wo die Rauten-Mechanik an Grenzen stößt (0:2 Paderborn, 1:2 Groningen). Prompt schimmerte ein sattsam bekanntes Problem der letzten Saison durch: Wer außer Heider soll die Tore schießen, wenn sich eine gegnerische Abwehr durch die wuselige Rhomben-Kombi nicht knacken lässt?

 

Prognose: Träumen ist erlaubt

Bei der obligatorischen Trainerbefragung zur Favoritenschau hatte nur ein Kollege den VfL als Aufstiegskandidaten auf dem Zettel – der gute Joe Enochs. Die Einschätzung der anderen muss man wohl als realistischer betrachten. Vor dem VfL rangieren in der Prognose die Absteiger mit Wiederaufstiegsorder (Aue, Dresden, Ingolstadt), dazu kommen bekannte Konkurrenten (1860 München, Mannheim, Saarbrücken). Fakt ist, dass diese Clubs einfach mehr Geld haben und sich insofern Spieler leisten können, die am Ende oft den Unterschied machen. In dieser Hinsicht kann der VfL nicht mithalten. Deshalb wäre es auch nicht fair gegenüber der Mannschaft, zu viel zu erwarten. Aber träumen ist weiterhin erlaubt und wer weiß, vielleicht bringt ja eine Last-Minute-Ausleihe wie im letzten Jahr jemanden an die Bremer Brücke, der richtig zaubern kann.

Grundsätzlich kann man der neuen Mannschaft zutrauen, dass sie am Freitagabend mit einem knappen Sieg gegen Duisburg startet und damit die Brücke gleich zum Beben bringt. In solchen Momenten ist jegliche Spekulation über den Saisonausgang egal, dann sind wir eins mit unserem Verein und freuen uns einfach nur darüber, dass nach der Corona-Tristesse wieder »normale« Spiele möglich sind.

 

Voraussichtliche Mannschaftsaufstellung:

Kühn – Traoré, Gyamfi, Trapp, Kleinhansl – Simakala, Tesche, Kunze, Putaro (Wähling) – Heider, Oduah (Higl)

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