30 Jahre ROCKHARZ – laut, schwarz-bunt und inklusiv

„See You at the Devil´s Wall!“ 

„See you at the Devil’s Wall“ – das Motto des ROCKHARZ Festivals hätte nicht besser gewählt sein können. Man sieht sich beim Teufel, und beim Teufel ist es heiß. Höllisch gut war die Stimmung auf dem Festival, höllisch heiß aber auch die Temperaturen an den vier Festivaltagen am Ostrand des Harzes. Aber diese Art von Hölle ist der Himmel für Metalfans, deren Motto „Zur Hölle mit eurem Himmel“ lautet, und die stattdessen der Überzeugung sind: „Metal Is Religion“.

„Metal Is Religion“ at the Devil's Wall„Metal Is Religion“ at the Devil's Wall

Zum 30jährigen Jubiläum kamen über 25.000 Metalheads zum ROCKHARZ Festival in Ballenstedt, das sich zu einem der bedeutendsten Metal-Festivals Deutschlands entwickelt hat. An vier Tagen traten hier sechzig Bands auf. AIRBORNE, AMON AMARTH, ARCH ENEMY, BLIND GUARDIAN, AIRBOURNE, FEUERSCHWANZ, FIDDLER’S GREEN, HÄMATOM, IN FLAMES, KORPIKLAANI, MONO INC., PARADISE LOST und SALTATIO MORTIS sind nur einige der bekanntesten Namen. Besonders angenehm ist, dass es bei diesem Festival nur zwei Bühnen und dadurch keine Überschneidungen bei Auftritten gibt. Wer will, kann sich vom Vormittag bis drei Uhr nachts jede auftretende Band auf die Ohren geben, wie es Metal-Fan Samuel macht, der dafür bereits zum zweiten Mal extra aus Georgia in den USA angereist ist. Wenn man nicht gerade stromsüchtige Nachbarn hat, die mit einem lauten Aggregat oder der mitgebrachten fahrbaren Metal-Disco nerven, kann man aber auch bei einer Pause auf dem Campingplatz noch gut feststellen, welche Band einem gefällt. Wohnmobile, die leisen Strom wollen, stehen entlang einer 800 Meter langen Landebahn. Man befindet sich, wie an den abgestellten ausrangierten Fliegern im Eingangsbereich zu erkennen ist, auf einem Flugplatz.

„Pouring the mead, Filling the cups, Raising your glass, Hold ‚em high, Then we drink and shout
And howl into the night“, heißt es in „Drink with the Gods“ der schwedischen Power-Metal-Band BLOODBOUND. Besser könnten sie das ROCKHARZ bei ihrem Auftritt nicht beschreiben. Man müsste nur noch ergänzen, dass hier nicht nur die Gläser oder Hörner in einem Toast an die Götter auf der Bühne hochgehoben werden, sondern auch tausende von metalhands. Vor der Kulisse der hinter der Bühne aufragenden Teufelsmauer kommt der „Teufelsgruß“ besonders gut. Tatsächlich heulen die Fans auch nicht nur in die Nacht, wo ein voller Mond auf das Festivalgelände scheint, sondern singen bei vielen Songs sehr textsicher mit. BLIND GUARDIAN, die Headliner des ersten Abends, kündigen gemeinerweise gleich zu Anfang an, ihr beliebtestes Lied, den legendären Bard’s Song aus dem Herrn der Ringe heute Abend nicht zu bringen. Sie tun es dann doch, überlassen es aber den Fans, das Lied von Hobbits, Zwergen und Elfen zu singen: „You all know the bards and their songs!“

Die Bandbreite der Bands ist groß, und reicht von KNEIPENTERRORISTEN über Folk-Metal bis zu Death und Thrash Metal. Manche Bands begrüßen ihre Fans als Vikings and Shield Maidens. Tatsächlich sind Hörner eines der häufigsten Trinkgefäße auf dem Gelände. Wer keins dabei hat, hängt sich einen Masskrug im Oktoberfestformat an die Hüfte – manche auch zwei. Auch wenn das Bier aus einer regionalen Brauerei schmeckt – hier geht es  vor allem darum, Spaß zu haben. Und so sieht man etliche Metalfans, die die Bandlogos statt auf Kutten auf Bademäntel genäht oder sich Muttis alten Kittel über die Kutte gezogen haben. Manche schwitzen sich in Tierkostümen kaputt. Vor dem schwarzen Hintergrundrauschen fallen die vielen Einhörner aus der Karnevalsabteilung besonders auf. Daneben sieht man den ein oder anderen Pirat, sogar mit Papagei auf der Schulter, für den es mit Bands wie den Osnabrückern MR. HURLEY & DIE PULVERAFFEN passende Musik gibt. Auch ein T-Shirt der in Georgsmarienhütte heimischen FROG BOG DOSENBAND ist zu sehen.

Dieses auf vielen Festivals essentielle Sortiment war in Ballenstedt nicht gefragtDieses auf vielen Festivals essentielle Sortiment war in Ballenstedt nicht gefragt

Die Temperaturen sind heftig. Auf dem Flugplatz in Ballenstedt gibt es 30 Grad im Schatten, und keinen Schatten. „Zu einem ordentlichen Konzert gehört auch ein schwitzender, tobender Mob vor der Bühne“, schrieb Time for Metal bedauernd über die Zeit des Lockdowns. Wenn das stimmt, dann war das ROCKHARZ ein wirklich sehr ordentliches Festival. Nicht nur die Musiker auf der Bühne lieferten trotz der Hitze manchmal geradezu akrobatische Auftritte. Auch die Fans ließen sich durch Temperaturen um die 30 Grad nicht vom Headbangen, Springen oder Mitrudern bei den Wikingerliedern abhalten. Die Bands zollen ihnen dafür ausdrücklich Respekt. Am Ende bedanken sich bei den Fans, die ihren Auftritt zu einem besonderen Erlebnis machen, besonders, wenn sie bei ihrem Auftritt genau in den Sonnenuntergang gegenüber der Teufelsmauer sehen. Die APOKALYPTISCHEN REITER singen von der Revolution und von Frieden. Den fühlt man dann wirklich, wenn zum Ausklang des zweiten Festivaltages SKALD mit kraftvollen Schamanentrommeln und meditativem altnorwegischem Gesang den Tag beschließen.

Wie heißt es auf dem Powerwolf-Shirt einer Besucherin: „Demons Are a Girl’s Best Friend!“ An der Teufelsmauer sind auch etliche Metal-Hexen anwesend. Und was für welche! Beim Auftritt der BURNING WITCHES mit ihrer niederländischen Sängerin Laura Guldemond wird es noch ein paar Grad heißer auf dem Gelände. Zielsicher landen die attraktiven Hexen auf dem Flugfeld und verlegen kurzfristig den Hexentanzplatz vom Brocken auf die Bühne in Ballenstedt. Man hört und sieht, dass die fünf Frauen für Metal brennen – so erklären sie ihren Bandnamen. Dass Metal nicht nur laut, sondern auch extrem sexy sein kann, zeigt auch die Musikerin von THE DARK SIDE OF THE MOON, die aussieht, als würde sie bei ihrem Auftritt Unzucht mit ihrer Harfe treiben. Auf dem Festival gibt es reichlich Frauenpower. Faszinierend, wie sich eine Sängerin mit engelsgleicher Stimme plötzlich in eine Metal Shouterin verwandelt. Beim Growling der schwedischen Metal-Band ARCH ENEMY, sieht mancher zweimal hin, um sich zu überzeugen, dass da tatsächlich eine Frau auf der Bühne steht. Alissa White-Gluz, die kanadischen Lead-Sängerin der Band, hat so viel Power, dass sich die Headliner des dritten Abends durchaus auch Arch-Energy nennen könnten.

Im Hintergrund der Bühne ragt dekorativ die Teufelsmauer auf, auf der – völlig unpassend zu den  meisten T-Shirts und Texten der auftretenden Bands  – ein Kreuz prangt. Noch ist niemand aus der auf dem Festivalgelände anwesenden Great Heathen Army auf die Idee gekommen, es stilistisch an das Metal-Festival anzupassen, wie es die junge Frau mit der Fledermaus am Rosenkranz um ihren Hals getan hat. Die Festivalleitung hat mit dem Festival T-Shirt aber für Ausgleich gesorgt, dessen allgegenwärtiges Motto „See you at the Devil’s Wall“ von einem Pentagramm umrahmt ist. Wer dieses T-Shirt trägt, war so schlau, es mit dem Ticket zu bestellen statt stundenlang am Merchandise Stand anzustehen.

Auch wenn hier viel vom Teufel die Rede ist, und einigen Gästen die Kombination aus extremer Hitze und Alkohol nicht bekommt, ist dies eines der friedlichsten Festivals, die man besuchen kann. Dass es seine Wurzeln in Rock gegen Rechts hat, sieht man noch an vereinzelten T-Shirts mit Fuck AfD oder Nazis raus aus den Stadien-Aufdruck. Toleranz wird hier großgeschrieben. Die Grundfarbe der Bekleidung der Festivalgäste ist schwarz, die Stimmung tolerant, und bunt. Selbst die oft bedrohlich martialisch wirkenden Aussagen wie Bloody Gore, Terror und All we need is blood finden sich auch auf rosa Kutten.

Inklusion macht Spaß, auch wenn sie laut istInklusion macht Spaß, auch wenn sie laut ist

„A chain is never stronger than its weakest link“, heißt es in „Shield Wall“ von AMON AMARTH am Ende des Festivals. Auf dem ROCKHARZ hält die Kette. Das Festival ist vorbildlich inklusiv. Hier gibt es einen barrierefreien Campground mit eigener Rezeption. Die Lebenshilfe Braunschweig ist mit einem Team von zwanzig Pflegerinnen und Pflegern auf dem inklusiven Zeltplatz – und hat dafür verdientermaßen mit den von ihr betreuten Fans auf einem Podest im Infield die beste Aussicht. Daneben gibt es einen Rolli-Reparaturservice und barrierearme Überfahrbrücken auf dem Gelände. Don’t push hat ein Metalfan darum zu Recht an seinem Rolli stehen, mit dem er sich schnell und wendig durch die Menge bewegt. Die Band OHRENFEINDT wirbt um Spenden für das Kinderhospiz Sternenbrücke und spricht bei ihrem Auftritt das Thema Depression an, erklärt, wie man darauf aufmerksam werden und sich Hilfe holen kann. Das Festival wird zudem jedes Jahr umweltfreundlicher. Auf dem Campinggelände wird von der Initiative Glück in Dosen Pfand für Kinder- und Jugendarbeit in der Region gesammelt. „Sogar die Polizei ist hier cooler“, meint ein Fan. Die fährt tatsächlich mit Metal-Musik, die aus dem offenen Fenster des Streifenwagens klingt, über den Campingplatz. Auch die durchgehend freundlich-entspannten Einlasskontrollen werden von vielen gelobt.

Früher war mehr Trabi ... Der Platz wird langsam knappFrüher war mehr Trabi ... Der Platz wird langsam knapp

Wie man an den T-Shirts erkennt, wimmelt es auf dem ROCKHARZ von Wacken-Fans. In den Kommentaren im Internet kann man auch lesen, dass Wacken, das in diesem Jahr erstmals auch vier Tage lang dauert, inzwischen so groß geworden ist, dass es manchen dort nicht mehr gefällt. Obwohl es sich beim ROCKHARZ mit 25.000 TeilnehmerInnen im Vergleich zu Wacken noch um ein kleines Festival handelt, wurde von vielen langjährigen BesucherInnen der Wunsch geäußert, die Zahlen wieder etwas zurückzufahren. „Lasst euer Festival nicht so groß wie Wacken werden. Ihr seht was daraus geworden ist“, heißt es im Netz. Der Platz auf dem Gelände in Ballenstedt wurde in diesem Jahr bereits eng: Auch Metal-Fans werden älter, und leisten sich immer größere Campervans. Das führte dazu, das im letzten Moment in Windeseile noch eine weitere Campingwiese aus dem sandigen Boden gestampft werden musste, damit alle Platz hatten. Die traten sich dann allerdings teilweise bereits auf die Füße.

Viele Fans kommen schon seit Jahren her, und sind „jedes Jahr aufs Neue begeistert“, auch weil das Festival rundum sehr gut organisiert ist, wie allgemein anerkannt wird. Auch die Toiletten auf dem Campinggelände werden bis zum Schluss bestens gewartet. Woran es fehlte, war allerdings Schatten. Die Schattenplätze unter den Sonnenschirmen waren ruck-zuck voll. Beliebt waren daher die Männer vor der Bühne, die das Publikum gelegentlich mit einem Gartenschlauch duschten, ebenso wie die netten Menschen mit den Wasserpistolen auf dem Gelände.

Das ROCKHARZ ist für viele eine Art Familientreffen mit wildfremden Menschen, ein „Nachhausekommen“ in eine „Kleinstadt auf Zeit“. „Freunde treffen, Bekannte Wiedersehen, neue Menschen kennenlernen, geniale Bands und ganz viel abrocken“, fasst ein Fan das Festival zusammen. Auch manche MusikerInnen kommen nicht nur zu ihrem Auftritt, sondern verbringen wie Alea von SALTATIO MORTIS das komplette Festival mit den Fans auf dem Gelände.

Immer wieder erinnern Bands bei ihren Auftritten an den kurz vor dem Festival ganz plötzlich verstorbenen Dirk Lehberger, der seit zwanzig Jahren Bands für das ROCKHARZ buchte und mit vielen freundschaftlich verbunden war. Saltatio Mortis widmet ihm zusammen mit Cristina Scabbia von LACUNA COIL „Dragonborn“ nach den Elder Scrolls von Skyrim, dem „Himmelsrand“ in einem der meistverkauften Computerspiele aller Zeiten. Dazu schicken sie eine Pyroshow in den Himmel, die man sicher auch von ganz oben sieht. AMON AMARTH schließen als Headliner des letzten Abends daran an, und feuern zu „Death In Fire“ die passende Pyroshow ab. Die Bühne der „Guardians Of Asgaard“ wirkt wie ein Metal-Disneyland mit passenden Schwertkampf-Showeinlagen. Die dichtgedrängte Masse der Fans bildet die passende Illustration für Lieder wie „Shield Wall“ und „Raise Your Horns“. Thor, der Gott des Gewittters, lässt sich auch von ihrem letzten Song, „Twilight Of The Thunder God“, nicht herausfordern. Es bleibt heiß, auch am Abreisetag.

Das Gelände bleibt sauber zurück. Wer seinen Müll abgibt, bekommt dafür ein Poster vom Festivalgelände. Auch das eine tolle, seit Jahren bewährte Idee. „Bleibt wie ihr seid“, wünschen sich viele Fans für „ein Festival wo Inklusion, Multikulti und Vielfalt ganz oben stehen!“ Das nächste ROCKHARZ findet vom 3. bis zum 6. Juli 2024 statt. Der Vorverkauf hat bereits begonnen.


Fotos: Martina Sellmeyer

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