„Erinnerung wachhalten!“

Auftaktveranstaltung zur bundesweiten Aufarbeitung von Zwangsarbeit auf vormaligen Spielstätten im Nationalsozialismus

Das altehrwürdige Piesberger Gesellschaftshaus war am Sonntag Schauplatz einer bewegenden Auftaktveranstaltung zur Aufarbeitung von Zwangsarbeit auf Spielstätten im Nationalsozialismus. Das bundesweite Bündnis, das unter dem Projektnamen „!Nie wieder“ firmiert, versammelte Expert*innen, Zeitzeug*innen, überregionale Gäste und die heimische Öffentlichkeit, um die Erinnerung an diese düstere Periode lebendig zu halten.

VfL-Kicker nach ihrem legendären Sieg gegen den damaligen Deutschen Meister Hannover 96 im Februar 1939. Niemand ahnt, dass der Spielort rund drei Jahre später ein Lager für Zwangsarbeit wird.

Bei der Eröffnungsveranstaltung wurde an die vormalige Spielstätten des Jubels erinnert, die während der dunklen Ära im Zweiten Weltkrieg als Zwangsarbeitslager genutzt wurden. Alles zielt darauf ab, das Bewusstsein für die Vergangenheit zu schärfen und gleichzeitig den Weg für Aufarbeitung und Versöhnung zu ebnen. Mit informativen Beiträgen wurden dabei Geschichten derjenigen, die während ihrer Zwangsarbeit an Orten wie der Gartlage litten, zum Leben erweckt. Die Vortragenden erinnerten an die Opfer und würdigten ihre Widerstandsfähigkeit in Zeiten großer Not. In der parallel gezeigten Ausstellung „Ausgrenzung, Anpassung, Instrumentalisierung. Fußball in der NS-Zeit“ wurde im Pferdestall des Museums für Industriekultur eine Ausstellung zum deutschen Fußball in der NS-Zeit präsentiert, um Besucher*innen einen vertiefenden Einblick in die Vergangenheit zu ermöglichen. Grußworte vom Koordinator des „!Nie wieder“-Bündnisses Eberhard Schulz aus München, vom Osnabrücker Bürgermeister Uwe Görtemöller und VfL-Vizepräsident Christoph Determann dokumentierten, wie eindrucksvoll Tagung und Inhalte durch Bundesinitiative, Stadt wie Verein mitgetragen wurden. Eine souveräne Moderation mit Axel Balzer und Lisa Roggenkamp sowie gekonnte musikalische Untermalungen durch Toscho Todorovic und Mike Titre rundeten den Tag erfolgreich ab.


Fakten zum Geschehen im Deutschen Reich

Dr. Christiane Glauning, Historikerin und Leiterin des vor rund 18 Jahren gegründeten Bundes-Dokumentationszentrums NS-Zwangsarbeit sowie Dr. Michael Gander, Leiter der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht, stellten Forschungsergebnisse und Archivmaterial vor, um das Verständnis für die Geschehnisse zu fördern. Glauning erklärte, dass während des Krieges etwa 13 Millionen Menschen zur Zwangsarbeit gezwungen wurden, wovon Unternehmen wie Bahlsen, Flick und BMW profitierten. Die Betroffenen waren hauptsächlich in Barackenlagern untergebracht, aber auch Schulen, Kinos, Ausflugslokale, Theater, Gaststätten, Bauernhöfe und Handwerksbetriebe wurden im NS-Deutschland umfunktioniert. Es wird heute geschätzt, dass es insgesamt 30.000 Lager im gesamten Deutschen Reich gab. Dabei hob Glauding hervor, dass auch Menschen deutscher Herkunft, die als „nicht zur Volksgemeinschaft gehörig“ betrachtet wurden, zur Zwangsarbeit verpflichtet wurden. Dazu gehörten deutsche Jüdinnen und Juden, Sinti/Sintizze und Personen, die als asozial oder arbeitsscheu stigmatisiert waren. Alle jene wurden später in Städten für Trümmerbeseitigung, in Betrieben oder in der Landwirtschaft eingesetzt.

In Osnabrück war es offenkundig ebenso wie überall: Lager und Sammelunterkünfte waren an fast jeder Ecke zu finden. „Sie waren im Kriegsalltag der Deutschen deutlich überall sichtbar“, sagte Glauning. Nach der deutschen Kapitulation kehrten viele Zwangsarbeitende in ihre Heimatländer zurück und wurden dort oft als Kollaborateure betrachtet oder zumindest mit Misstrauen beäugt. Dies galt sowohl in der Sowjetunion als auch in westeuropäischen Ländern wie in den Niederlanden, die in Osnabrück einen erheblichen Teil der Zwangsarbeitenden stellten. Der späte Bundestagsbeschluss im Jahr 2000, die noch lebenden Zwangsarbeiter*innen zu entschädigen, wurde als bedeutender Schritt betrachtet. Allerdings erhielten insbesondere Armeeangehörige aus Ländern wie Italien und der früheren Sowjetunion ihre symbolische Entschädigung erst zu einem späteren Zeitpunkt.


Osnabrück als Spiegelbild

Michael Gander stellte in seinem Vortrag einen besonderen Aspekt in den Fokus. Dabei beschrieb er anhand mehrerer Beispiele, wie die Osnabrücker Schutzpolizei neben der Gestapo Helfer des Zwangsarbeitersystems wurde. So las er aus einer offiziellen Belobigung für einen damaligen Schutzpolizisten vor, die jener seinerzeit für die Festnahme eines Flüchtenden erhalten hatte.

Zwangsarbeiterinnen in der Gartlage – und ihre bewaffneten Bewacher.

Der Leiter der Gedenkstätte Augustaschacht sprach vor allem die Situation in Osnabrück an und betonte, dass es in der Stadt etwa 100 Lager mit rund 10.000 Zwangsarbeitenden gegeben hat. All diese waren von Anfang an Objekte der Überwachung durch die örtliche Gestapo. Eine Auswertung der Gestapo-Kartei für den Regierungsbezirk Osnabrück zeigt, dass in den letzten Kriegsjahren vor allem Zwangsarbeitende von vermeintlichen Vergehen und harten Bestrafungen betroffen waren. Gander präsentierte hierzu Grafiken, die die brutale Verfolgung von solchen Menschen dokumentieren.


Projekt am Augustaschacht strahlt aus

Ein Projekt namens „Von einem Ort des Jubels zu einem Ort des Unrechts: Zwangsarbeitslager auf Fußball- und Sportplätzen“ wurde vor gut einem Jahr von den Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht in Zusammenarbeit mit dem VfL-nahen Bündnis „Tradition lebt von Erinnerung“ ins Leben gerufen. Jenes Bündnis wiederum besteht vor allem aus Mitgliedern der Violet Crew, dem Fanprojekt, der VfL-Fanabteilung, dem VfL-Museum sowie engagierten Einzelpersonen.

Im Augustaschacht forschen und veröffentlichen seither mehrere Hauptamtliche in dessen Büroräumen. Julian Krings präsentierte virtuelle Landkarten, die flächendeckend ehemalige Sportstätten in Deutschland und Österreich zeigen, welche später als Zwangsarbeitslager genutzt wurden. Zu etlichen dieser Orte gebe es inzwischen konkrete Erkenntnisse. Das Projekt im Augustaschacht wird im Rahmen der „Bildungsagenda NS-Unrecht“ durch die Stiftung Erinnerung, Verantwortung und Zukunft (EVZ) sowie das Bundesministerium der Finanzen (BMF) gefördert.


Blick auf die Gartlage

In seinem Redebeitrag zur Geschichte des Sportplatzes an der Halle Gartlage beleuchtete Heiko Schulze für das Osnabrücker Bündnis vielfältige Aspekte, die das Gelände der Gartlage im Laufe der Jahre geprägt haben. Seit 1907 sei hier eine vielgefragte Spielstätte gewesen, die besonders im ersten Halbjahr 1939 legendäre Fußballspiele des damaligen VfL erlebt habe, die bis in die Endrunde zur Deutschen Fußballmeisterschaft hineinreichten. Im zweiten Halbjahr 1939 musste der VfL den gepachteten Platz an das Osnabrücker Kupfer- und Drahtwerk (OKD) zurückgeben. Seit 1942 wurde das Gelände dann für Zwangsarbeitende und deren Unterbringung in Baracken des Werksgeländes genutzt. Dabei unterstrich Schulze die heutige Bedeutung des Geländes als Forschungsort, der nicht nur sportliche, sondern auch geschichtliche Entwicklungen dokumentiert. Bei ihrer Arbeit wurde das Osnabrücker Bündnis aktiv durch den Verein „Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht“, ebenso durch den Bürgerverein Schinkel unterstützt.

„Geschichte“, so der Referent, „sollte nicht als Antiquitätenladen anzusehen werden, in dem man sich umschaut und danach wieder geht. Wir sollten aus der Geschichte lernen, um die Zukunft zu gestalten.“ Schulze betonte in seinem Vortrag die Notwendigkeit, somit auch die Historie des ehemaligen Sportplatzes nicht nur als historisches Erbe, sondern auch als Grundlage für die Aufarbeitung und Gestaltung der Zukunft zu betrachten.


Was folgt

Das Bündnis „Nie wieder“ möchte bundesweit nicht nur auf Vergangenes aufmerksam machen, sondern auch einen Beitrag dazu leisten, damit sich Gräueltaten wie jene in der damaligen Zeit nie wiederholen. Die Auftaktveranstaltung markiert den Beginn einer Reihe von Initiativen, die allesamt darauf abzielen, das Bewusstsein zu schärfen, Erinnerung zu bewahren und eine nachhaltige Aufarbeitung zu fördern. Gemeinsam setzen die Teilnehmer ein starkes Zeichen gegen das Vergessen und für eine tolerante und demokratische Zukunft.

Für die folgenden Projektwochen planen die VfL-Bündnis-Macher*innen weitere Vorträge, Bildungsveranstaltungen für Schüler*innen am Lernort Bremer Brücke sowie Stolpersteingänge durch Osnabrück. Bewährter Startpunkt am Neumarkt dürfte dabei wieder der Stolperstein für Felix Loewenstein sein, jenen Ex-Obmann und Förderer des VfL bis zur NS-Zeit, der tragisch im Konzentrationslager Sandbostel zu Tode kam und dem ein Gehweg rund um das Stadion Bremer Brücke gewidmet ist.
Der Aktionsspieltag selbst wird für den VfL Osnabrück an der Bremer Brücke steigen: Es ist die Partie gegen den SC Paderborn am Wochenende des 27. Januar, dem Jahrestag der Befreiung des Konzentrationslagers Auschwitz 1945. Hier werden vor allem die Ultras der Violet Crew die Federführung bei der Erinnerungsarbeit im Stadion übernehmen.

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