Lesung in der VHS Osnabrück: ein Interview mit Katja Diehl
Die Bestsellerautorin Katja Diehl machte im Rahmen ihrer Lesereise Station in Osnabrück. In der Volkshochschule las sie aus ihrem aktuellen Buch „Raus aus der Autokratie – Rein in die Mobilität von Morgen“. Wir sprachen mit Frau Diehl über die Themen Mobilitätswende, die Rolle der Digitalisierung und wie wir benachteiligte Gruppen stärker einbeziehen können.
Guten Tag, Frau Diehl, ihr neuestes Werk heißt „Raus aus der Autokratie“. Wie definieren Sie den Begriff „Autokratie“ im Kontext der Mobilität und warum ist es so wichtig, diese zu überwinden?
Da wir in einem demokratischen Staat leben, ist es für mich wichtig, dass sich diese überall widerspiegelt. Mir ist bewusst, dass Autokratie ein Begriff ist, der gegensätzlich zur Demokratie steht. Aber ich habe auf dem Cover bewusst Auto groß und -kratie kleiner geschrieben, um den Humor da hineinzubringen. Denn meiner Meinung nach haben wir derzeit keine Demokratie auf der Straße, sondern eine Autokratie, weil alles dem Auto unterworfen ist. Viele Menschen, die nicht Auto fahren können oder wollen, sind depriorisiert. Mit Führerschein und Auto ist man der wichtigste Mensch auf der Straße und alle anderen sind weniger wichtig. Das fängt schon damit an, dass Fußgänger zu schmale Wege haben. Im ländlichen Raum gibt es teilweise noch nicht einmal Wege. Es gibt für Radfahrende keine Weginfrastruktur, keine sicheren Wege. Darauf wollte ich mit dem Titel hinweisen, dass wir da aus der Autokratie heraus sollen und in die Demokratie rein, damit es allen gut geht.
Welche konkreten politischen und gesellschaftlichen Schritte sind Ihrer Meinung nach notwendig, um die Dominanz des Autos zu brechen?
Da gibt es ein Beispiel aus Österreich, wo die Klimaschutzministerin Leonore Gewessler zu Beginn ihrer Amtszeit alle Großbauprojekte angehalten hat. Dies begründete sie mit der Fragestellung, da man bis 2040 dekarbonisiert, also ohne CO₂ sein will. Ergibt es Sinn, Autobahnen und Tunnel zu bauen. Nach einem Jahr Prüfung und Berechnung kam heraus, dass man das nicht machen sollte, weil dies sehr viel CO₂ verursacht. Da ist ein Beispiel gegeben, wie man die dekobanisierung als Führungsinstrument nutzen kann. Wenn man es wirklich ernst meint, dass man die Klimaschutzziele von Paris, das Klimaschutzgesetz von Deutschland oder das Bundesverfassungsgericht, was gesagt hat, dass wir alles tun müssen, damit zukünftigen Generationen nicht die Freiheit genommen wird durch die Klimakatastrophe. Es gibt viele Gründe, und politisch so zu handeln. Dies passiert schon in anderen Sektoren wie der Energie oder der Landwirtschaft, sind schon Reduktionsziele erreicht worden. Beim Verkehr stagniert es, das damit zu tun hat, wenn wir dort etwas dekobanisieren wollen, müssen wir an den privaten Pkw ran. Das traut sich die deutsche Politik nicht so richtig. Eigentlich ist es einfach, wenn man es ernst meint, aber wir machen es uns schwer.
Sie sprechen von einer inklusiven Mobilitätswende. Welche Maßnahmen würden Sie als prioritär sehen, um auch benachteiligte Gruppen stärker in den Mobilitätsdiskurs einzubeziehen?
Für mich ist es das Antreiber-Thema. Menschen sind nicht schwach oder benachteiligt, sondern es wird aktiv gemacht. Wenn du im Rollstuhl sitzt, führst du das Leben jeden Tag so, kannst damit auch irgendwann umgehen. Wenn du auf eine Infrastruktur triffst, die dich nicht mitdenkt, wirst du schwach gemacht. Das beginnt schon bei älteren Menschen, die bei einer Grünphase nicht über die Ampel kommen. Es beginnt bei Kindern, wo alle jubeln, wenn sie den ersten Schritt gemacht haben und als zweiten Schritt den Weg zum Auto machen. Da wünsche ich mir eine Welt, die diese Menschen im Fokus hat. Beispiele gibt es in Helsinki und Oslo, die es viele Jahre ohne Verkehrstote geschafft haben. Dies zeigt, dass, wenn der politische Wille da ist. Dazu braucht es nur, dass man die Schwachen in den Fokus nimmt.
Heute wurde im Ausschuss für Stadtentwicklung und Umwelt der erste Teil vom Mobilitätsverhalten von Pendlern vorgestellt. Unter anderem gaben 36 % an, ihr Auto auch für ein besseres Mobilitätsangebot nicht wechseln zu wollen. Wie kann man den Widerstand von Teilen der Bevölkerung gegen eine autofreie Zukunft überwinden?
Das war schon Thema, als ich hier beruflich in Osnabrück tätig war. Da haben wir festgestellt, dass viele zur Uni oder zur Hochschule fahren, teilweise alleine. Damals war das Thema, wie man da ein Nutching machen kann, also darauf hinzubewegen, anders unterwegs zu sein. Lösungen waren Fahrgemeinschaften, um die Autos besser auszulasten. Die zu bevorteilen, die mit dem Fahrrad oder dem ÖPNV anreisen. Leute sind nicht mit Vernunft und Fakten zur Verhaltensänderung zu bewegen, sondern es braucht neue Regeln. Leute sollen motiviert werden, umweltfreundlich in die Stadt zu kommen.
Welche Rolle spielt die Digitalisierung in Ihrer Vision einer nachhaltigen und menschenzentrierten Mobilität?
Ich sehe die Chance, erstmal Daten zu erheben. Digitalisierung darf nicht Mittel zum Selbstzweck sein. Wenn man zum Beispiel Daten hat, die Osnabrück bewegen, indem man einen Layer über Osnabrück legt, und sieht, hier ist sehr viel Autoverkehr um sechs Uhr morgens. Wenn dort eine Haltestelle hat, die um diese Uhrzeit noch kein Bus fährt. Man könnte überlegen, die Linie früher starten zu lassen. Hier können Daten helfen, einen realistischen Vorschlag zu machen zur Parkplatzsituation, haben wir eine gute Versorgung an Alternativen, wo sind die Unfallschwerpunkten auszumachen. Hier kann Digitalisierung echt helfen.
Wie haben Ihre Erfahrungen bei der NordWestBahn und der Stadtwerke Osnabrück Ihre Sicht auf den öffentlichen Nahverkehr und dessen Bedeutung für eine nachhaltige Mobilität beeinflusst?
Dort habe ich nochmal besser kennengelernt, was Barrierefreiheit bedeutet. Dies hat viele Fassetten. Leichte und verschiedene Sprachen, je nachdem, welche Menschen in der Stadt so leben. Bei der NordWestBahn gab es zunächst großartige Budgets, bevor immer mehr gekürzt wurde. Bei Ausschreibungen hat am Ende immer das günstigste Angebot gewonnen und nicht, wer die beste Qualität oder das beste Konzept hat. Da habe ich in den Maschinenraum schauen können, die mir wichtige Erkenntnisse für meine heutige Arbeit und eine hohe Wertschätzung für die Menschen, die hinter den Kulissen arbeiten, sei es in den Werkstätten, in den Leitständen und hinterm Lenkrad sitzen. Das sind wertvolle Jobs, die nicht so gut bezahlt und nicht so wertgeschätzt werden wie in der Autoproduktion.
Ihr ehemaliger Arbeitgeber Hellmann Worldwide Logistics im Bereich nachhaltige Logistik auf E-Lkw auf Kurz- sowie Langstrecke unterwegs. Beobachten sie die Entwicklung in dem Bereich?
Absolut. Da bin ich der Meinung, dass es da pragmatischer zugeht, als im Pkw-Bereich, wo jeder sein Brum-Brum will, das Krach machen muss. Im Lkw-Bereich haben wir in Deutschland etwas geschlafen, wie MAN Trucks zum Beispiel. Es gibt viele Autohersteller, die Nutzfahrzeugsparten haben, wo sich schneller was verändern wird als im Pkw-Bereich.
Welche Vergleiche können Sie auf Ihrer Lesereise zwischen den einzelnen Städten ziehen?
Derzeit kommt alles ins Stocken, weil es diese zehn Prozent gibt, die keine Veränderung wollen. Diese Gruppe ist sehr, sehr laut und wollen Mehrheit vorgaukeln, zu viel „wollen“. Ich habe gelesen, dass sich Leute gute Radwege wünschen. Auf der Landstraße Fahrrad fahren ist sehr gefährlich. Es gibt aber durchaus Menschen, die E-Bikes haben, die gerne mit dem Rad zur Arbeit fahren wollen. Ohne sichere Radinfrastruktur fährt niemand mit dem Rad. Global betrachtet gibt es Schwerpunkte. Manche Städte sind besser in Fußwegen, manche sind besser in Radwegen. Freiburg ist ja eine Stadt, die als sehr grün bekannt ist. Wenn man aus dem Bahnhof herauskommt, trifft man auf eine vierspurige Autobahn. Viele Bahnhöfe sind nicht das Tor zur Stadt. Das ist in Osnabrück ja verkehrsberuhigt. Da hat man eher den Eindruck, die Ruhe und Sicherheit ausstrahlt.
Was halten Sie davon, dass zu Fußgehende, Radfahrende und ÖPNV gegeneinander ausgespielt werden?
Das Gegeneinander wird ja gerade etwas sterilisiert. Alle Menschen, die nicht mit dem Auto unterwegs sind, führen diesen Kampf jeden Tag. Jetzt, wo Automobilität hinterfragt wird, weil wir es verändern müssen, dürfen wir nicht mehr gegeneinander sein. Das Bundesverkehrsministerium macht Kampagnen für mehr miteinander. Menschen im Auto sind geschützt durch ihre Stahlschachtel. Das ganze Thema ist nicht neu.
Städte sollen voneinander lernen. Inwieweit sind Modelle auf andere Städte übertragbar?
Wie bereits erwähnt habe, was braucht Politik zur positiven Veränderung für alle. Derzeit haben wir eine Politik, die auf Machterhalt aus ist, die wiedergewählt werden will, wodurch es zu Kompromissen kommt, die keine Seite zufriedenstellen. Da habe ich bewusst die Leute aufgesucht, die im Amt zu ihrem Wort stehen. Ich habe den Eindruck, dass Kompromisse gemacht werden, weil man der Autolobby nicht vor dem Kopf stoßen will.
Vielen Dank, dass Sie sich Zeit für unsere Fragen genommen haben.