Montag, 27. Mai 2024

„Der erste CSD war ein Aufstand“

Erklärung zur Übernahme der Schirmherrschaft des CSD 2024 durch die Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU), Teilnahme der Polizei am CSD, Ausschluss emanzipatorischer Gruppen von der Planung und was der CSD eigentlich ist und sein sollte.

Der erste CSD war ein Aufstand. Im Jahr 1969 kam es nach Razzien der New Yorker Polizei in der Christopher Street im Stadtteil Manhattan zu Aufruhren. Angeführt von queeren Menschen und Sexarbeiter*innen waren diese Aufstände eine direkte Antwort auf Polizeigewalt und Unterdrückung durch die Kommunalpolitik und den Staat.2 So war der allererste Christopher Street Day geboren, den wir heute meist nur CSD nennen und dem wir sehr viel zu verdanken haben. Seitdem begehen wir und Millionen von Menschen überall auf der Welt einmal im Jahr diesen Tag: In Gedenken an all unsere kämpfenden Geschwister damals, heute und in Zukunft und um aufzuzeigen, wo es immer noch Probleme gibt.

Heute, 55 Jahre später, ist uns in vielen Städten kaum noch etwas davon geblieben: Politiker*innen von queerfeindlichen, konservativen Parteien werden zu Schirmherr*innen ernannt. Die Polizei marschiert mit und präsentiert sich divers und offen. Menschen aus der emanzipatorischen Bewegung, ohne die es heutzutage keinen CSD gäbe (!), werden aktiv von jeglicher Planung ausgeschlossen. Der Osnabrücker CSD, so wie er am Samstag, den 25. Mai 2024 stattfindet, tritt die Geschichte des CSD, Queers und all jener, die sich wirklich für Gleichberechtigung einsetzen, mit Füßen!

Zur Übernahme der Schirmherschafft durch Oberbürgermeisterin Katharina Pötter (CDU)

Am 10. April 2024 gaben die Veranstalter*innen des CSD Osnabrück auf ihrem Instagram-Account bekannt, dass Katharina Pötter, CDU-Politikerin und Oberbürgermeisterin Osnabrücks, die Schirmherrschaft für den diesjährigen CSD übernehme. Die Veranstalter*innen freuen sich laut eigener Aussage über die Übernahme der Schirmherrschaft durch die CDU-Politikerin.

Kurz zur Erklärung: Eine Schirmherrschaft ist ein Ehrenvorsitz, den meist eine Person des öffentlichen Lebens bei einer Veranstaltung übernimmt. Wir fragen uns, was die Veranstalter*innen dazu gebracht hat, gerade Katharina Pötter diese Ehre erweisen zu wollen. Gerade auch, da der CSD Osnabrück in der Vergangenheit der Meinung war, dass der CSD „keine Bühne für Parteien“ bilden soll. Doch jetzt wird ausgerechnet Pötter zum repräsentativen Gesicht des CSD Osnabrück hochstilisiert. Dieser Wahl stellen wir uns klar entgegen.

Dabei beweist die CDU in ihrer politischen Praxis immer wieder, dass sie nicht auf der Seite von queeren Menschen steht und deren Bedürfnisse und Sorgen kaum ernst nimmt. So stimmte die CDU beispielsweise gegen das kürzlich beschlossene Selbstbestimmungsgesetz, welches eine wichtige Verbesserung für das Leben von Trans* Menschen bringt. Auch lokal gibt es einige Beispiele für die Queerfeindlichkeit der CDU und Pötters selbst: Kurz nach ihrer Wahl zur Oberbürgermeisterin wurde im Rat der Stadt beschlossen, die kurz zuvor eingeführte Verwendung von Gendersprache wieder zurückzunehmen.3 Ein weiteres Negativ-Beispiel bot die Oberbürgermeisterin im Jahr 2022 mit ihrer Rede zur Eröffnung des Denkmals für Zivilcourage in Gedenken an Peter Hamel und gegen Queerfeindlichkeit.4 Wer dabei war, kann bestätigen, selten eine so emotionslose Rede gehört zu haben. Und nur am Rande sei erwähnt, dass das diesjährige Motto des CSD “Kunterbunt statt Kackbraun” irgendwie ziemlich an Überzeugung verliert, wenn da eine kackbraune CDU präsent ist. Gerade in Zeiten des Wahlkampfes zum EU-Parlament bietet der Verein CSD Osnabrück der CDU damit nochmal eine perfekte Bühne, um sich als queerfreundlich darzustellen. Uns stellt sich jedoch die Frage, was eine Politikerin einer Partei, die durch rechte und menschenverachtende Politik brilliert, beim wichtigsten Kampftag für queere Menschen zu suchen hat?

Als Reaktion auf die Verkündung der Schirmherrschaft äußerten zahlreiche Menschen in der Kommentarspalte zum Beitrag des CSD verständliche Kritik. Am 18. April 2024 veröffentlichte die NOZ einen Artikel, in dem sowohl die Oberbürgermeisterin als auch der zweite Vorsitzende des Vereins CSD Osnabrück e. V., Martin Pohlmann, Stellung dazu nehmen. Auf die Argumente der Kritiker*innen wurde dabei gar nicht erst eingegangen. Stattdessen wurde die Onlinekritik als “Opferkultur” bezeichnet, in dem Versuch, die Argumente pauschal zu delegitimieren. Im Artikel heißt es: “Der Verein CSD Osnabrück will mit der Oberbürgermeisterin, die von einer Mehrheit der Bürger der Stadt gewählt wurde, im Gespräch bleiben. Persönlich. Nicht online.” Der Verein CSD Osnabrück scheint dabei zu vergessen, dass die Mehrheit der Bürger*innen nicht mit der Mehrheit der queeren Community gleichzusetzen ist. Er scheint nicht mit der eigenen Community ins Gespräch gehen zu wollen. Noch nicht einmal online.

Die Vereinsspitze stellt sich also öffentlich an die Seite der Christdemokratin Pötter und fällt queeren Osnabrücker*innen in den Rücken, indem nachvollziehbare Kritik durch den Dreck gezogen wird.

Zur Präsenz der Polizei auf dem CSD

Was hat die Polizei auf dem CSD verloren? Nichts! Natürlich soll es allen queeren Menschen möglich sein, am CSD teilzunehmen, keine Frage. Dass Konzerne und Institutionen, insbesondere die Polizei diesen Tag jedoch nutzen, um ihr Image reinzuwaschen, finden wir falsch. Die Polizei unterdrückt marginalisierte Gruppen. Dazu gehört auch die queere Community. Beispiele hierfür gibt es massig: Da wäre, wie bereits am Anfang genannt, der Ursprung des CSD zu nennen, Gewaltanwendung auf Teilnehmer*innen des CSD in Hannover vergangene Woche5, in Frankfurt 20226 sowie beim CSD in Köln 20167. In einem Bericht des Vereins lesbischer und schwuler Polizeibediensteter, kurz VelsPol von 20178, in Vorwürfen gegen die Londoner Met Police letzten Jahres9, und und und.

Der Verein CSD Osnabrück scheint sich damit aber nicht auseinanderzusetzen.

Gezielter Ausschluss emanzipatorischer Gruppen von der Organisierung des CSD 2024

Wo liegt gleich nochmal der Ursprung des Christopher Street Days? Genau! In dem Widerstand einer emanzipatorischen Bewegung von unten gegen die Unterdrückung von Polizei und Staat.

Warum schließt der Verein CSD Osnabrück e. V. dann genau solche Gruppen und Menschen von der Planung des diesjährigen CSD aus? Linke emanzipatorische Gruppen sind aktiv auf den Verein zugegangen, um sich an der Organisierung des CSD zu beteiligen. Diese Anfragen wurden vom Verein ignoriert. Es wird sich scheinbar aktiv dafür entschieden, unsere Stimmen zu unterdrücken und aus dem CSD eine entpolitisierte Spaßveranstaltung zu machen.

Der CSD ist aber hochpolitisch in seinen Ursprüngen und jeden Tag. Der CSD ist der Tag, an dem queere Menschen ihre Meinung, ihre Wut und Trauer kundtun sollen. Es ist der Tag, an dem aufgezeigt werden soll, was falsch läuft, was es zu verändern gilt und für welche Welt wir einstehen. Meist bekommen Teilnehmer*innen bereits während der CSD-Veranstaltungen oder mindestens kurz davor und im Anschluss wieder die volle Ladung Hass von Queerfeinden ab und auch sowieso haben wir uns mit Diskriminierungen in allen Lebenslagen auseinanderzusetzen. Wir wollen hier auch an Malte erinnern, der vor zwei Jahren am Rande des CSD in Münster getötet wurde.10 Deshalb ist es so wichtig, genau dort den Finger in die Wunde zu legen und aufzuzeigen, wo Politik und Gesellschaft vergessen, wegschauen, versäumen und Gewalt zulassen.

Der CSD ist kein Tag, an dem wir einmal im Jahr bunt gekleidet, musikhörend und tanzend durch die Straßen laufen und darüber hinaus alles gut ist. Es ist auch kein Tag für die Selbstprofilierung von Polizei und Parteien. Es ist kein Tag zur Aufpolierung des kapitalistischen Diversity-Brandings irgendwelcher Großkonzerne. Es ist unser Tag, wie jeder andere Tag es auch sein sollte.


Zum Schluss bleibt uns nur Folgendes zu sagen:

Dieser CSD hat jeglichen Charme und jegliche Substanz eines CSDs verloren. Der Kampf von queeren Menschen um Gleichberechtigung und Emanzipation ist noch lange nicht zu Ende und trifft dieser Zeiten wieder vermehrt auf Widerstand.

Wir sind nicht bereit, diese „kapitalistischen Großveranstaltungen“ weiter mitzutragen, die vollkommen außer Acht lassen, wie es queeren Menschen geht und unsere alltäglichen Realitäten vollkommen unbeachtet lassen. Wir sind für einen kämpferischen, wütenden, unversöhnlichen, aber auch kollektiven, emanzipatorischen, empowernden CSD. Ein CSD, der deutlich macht, dass wir keine Ruhe geben, bis unsere derzeitigen patriarchalen, cis-heteronormativen Verhältnisse überwunden sind. Ein CSD, der zeigt, dass diese Ziele nur erreicht werden können, wenn jegliche Form der Diskriminierung ein Ende hat. Ein CSD gegen Polizeigewalt, für offene Grenzen, gegen den Rechtsruck in Politik und Gesellschaft, für das gute Leben aller Menschen, wo auch immer sie sind!


Gezeichnet: Bambule 35, BloodyMaries, Feministisches Streikbündnis Osnabrück, Feminist Restistance, Lesekreis Kritische Männlichkeiten Osnabrück, SCHLAU Osnabrück, Selbstverwaltetes Zentrum SubstAnZ, SJ Die Falken Osnabrück, Autonomes Queerreferat und Autonomes Referat für Frauen und geschlechtliche Gleichstellung des AStA der Universität Osnabrück

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