Samstag, 22. Juni 2024

Wie sichern wir Kulturschätze?

Notfallverbund Osnabrück erprobte Maßnahmen für den Katastrophenfall

Die Sicherung unersetzlicher Kulturschätze ist keinesfalls selbstverständlich. Fachleute, die ansonsten eher wissenschaftlich tätig sind, sollten deshalb auch für den Schutz der historischer Überlassenschaft gewappnet sein. Am 5. Juni war es soweit: Geladen wurde zu einer Übung für Mitarbeitende Osnabrücker Archive, Museen, Sammlungen, Bibliotheken und der Feuerwehr. Es ging um die Erstversorgung von wassergeschädigtem Archivgut.

Nach der Bergung des durchnässten Schriftgutes „wartet“ das Kulturgut auf die weitere Erstversorgung und Verpackung. Foto: Swaantje Hehmann
Nach der Bergung des durchnässten Schriftgutes „wartet“ das Kulturgut auf die weitere Erstversorgung und Verpackung. Foto: Swaantje Hehmann

Warum das Ganze?

Kulturschätze bergen, erfassen, reinigen, sicher verpacken – und das alles strukturiert und zügig! Wenn wertvolle, einmalige Archivalien und Kulturgüter durch unvorhersehbare Ereignisse wie ein Großbrand (wie in der Anna-Amalia-Bibliothek in Weimar oder kürzlich in der Börse in Kopenhagen), ein Starkregen oder ein Wasserrohrbruch in Gefahr sind, ist Eile geboten. Schon seit vielen Jahren schließen sich daher bundesweit Archive und andere Gedächtnisinstitutionen regional in sogenannten Notfallverbünden zusammen, um im Bedarfsfall Personal und Material bereitstellen zu können. In Osnabrück gründete sich der Notfallverbund im Jahr 2017, um sich gegenseitig im Falle eines Falles mit Personal und Fachwissen zu unterstützen; ihm gehören aktuell elf Einrichtungen an.

Das geborgene Schriftgut wird im Zuge der Erstversorgung detailliert erfasst. (Foto: Swaantje Hehmann)
Das geborgene Schriftgut wird im Zuge der Erstversorgung detailliert erfasst. Foto: Swaantje Hehmann

Insbesondere die infolge des Klimawandels auftretenden Extremwetterereignisse gefährden das kulturelle Erbe der Stadt und der Region Osnabrück. Eine besondere Herausforderung für Archive, Sammlungen, Museen und Bibliotheken sind dabei durch Starkregen ausgelöste großflächige Überschwemmungen. Allein die Flutkatastrophen der vergangenen Jahre (u.a. im Ahrtal) und die gegenwärtigen Überschwemmungen in Bayern zeigen, dass auch die Gedächtnisinstitutionen vor Ort ihre Schutzmaßnahmen verstärken müssen.

Stark verdrecktes und durchfeuchtetes Material wird mit Wasser abgespült bevor es weiter versorgt wird. (Foto: Swaantje Hehmann)
Stark verdrecktes und durchfeuchtetes Material wird mit Wasser abgespült bevor es weiter versorgt wird. Foto: Swaantje Hehmann

Teamgeist war gefragt

Vor diesem Hintergrund haben Judith Franzen und Ulrike Haug von der Stadt- und Kreisarchäologie, Dr. Isabelle Guerreau und Dr. Thomas Brakmann vom Niedersächsischen Landesarchiv in Osnabrück sowie Dr. Georg Wilhelm vom Diözesanarchiv als Koordinierungsgruppe des Notfallverbundes Osnabrück eine Notfallübung zur Rettung von Kulturgut im Not- und Katastrophenfall organisiert. Unterstützt wurde die Koordinierungsgruppe durch Heiko Schnitker von der Feuerwehr Osnabrück, die eng in den Notfallverbund eingebunden ist. Die Feuerwehr bietet sowohl die logistische Unterstützung durch den Transport der Materialien im Schadensfall, insbesondere bietet sie aber auch eine Fachexpertise für die Planung von Bergungs- und Erstversorgungsszenarien, die für den Kulturgutschutz von zentraler Bedeutung sind.

Durchfeuchtetes Kulturgut wird in Stretchfolie verpackt und für das Einfrieren vorbereitet. (Foto: Swaantje Hehmann)
Durchfeuchtetes Kulturgut wird in Stretchfolie verpackt und für das Einfrieren vorbereitet. Foto: Swaantje Hehmann

Am 5. Juni haben auf dem Gelände der Feuerwehrschule am Limberg im Stadtteil Osnabrück-Dodesheide Vertreterinnen und Vertreter der Stadt- und Kreisarchäologie, des Landesarchivs, des Diözesanarchivs und -museums, der Osnabrücker Kulturverwaltung und der Museen Schölerberg und MQ4 sowie der Universitätsbibliothek gemeinsam mit der Osnabrücker Berufsfeuerwehr und den Auszubildenden der Feuerwehrschule die Übung [zur Rettung von Kulturgut im Not- und Katastrophenfall] durchgeführt. Bei der Feuerwehr lagern auch die sieben Notfallcontainer mit Arbeitsmaterial und Schutzausrüstung, die die Koordinierungsgruppe des Notfallverbundes mit Unterstützung 2022/23 angeschafft hat, um eine effiziente und professionelle Erstversorgung von geschädigtem Kulturgut zu ermöglichen.

Die fachliche Anleitung der Übung lag bei Silke Kötter und Dr. Detlef Busse von der Zentralen Restaurierungswerkstatt des Niedersächsischen Landesarchivs in Bückeburg, die schon seit Längerem Erfahrungen mit der Bergung und Erstversorgung von Archivgut und dem Einsatz der Notfallmaterialien gesammelt und bereits vergleichbarere Übungen der Notfallverbünde in Aurich und Hannover angeleitet haben.

Und dies passierte konkret

Am Vormittag stellte Silke Kötter vom Landesarchiv zunächst die theoretischen Grundlagen zu möglichen Schadensszenarien vor, aber auch zum Umgang mit geschädigtem Archivgut sowie zum persönlichen Schutz bei Notfalleinsätzen. Darüber hinaus stellte sie den geplanten Aufbau und den Ablauf der folgenden praktischen Übung vor: Geschädigtes oder bedrohtes Archivgut muss geborgen, größtenteils in Folie verpackt und durch rasches Einfrieren gesichert werden. Zudem ist eine einheitliche und lückenlose Dokumentation der geborgenen Unterlagen erforderlich, um Archivalien später wieder ihrem ursprünglichen Standort zuordnen zu können.

Die fotografische Erfassung der geborgenen Stücke ist wichtig, um die Herkunft und die Lagerorte der geborgenen Materialien jederzeit nachzuvollziehen. (Foto: Swaantje Hehmann)
Die fotografische Erfassung der geborgenen Stücke ist wichtig, um die Herkunft und die Lagerorte der geborgenen Materialien jederzeit nachzuvollziehen. Foto: Swaantje Hehmann

Was sich in der Theorie einfach anhört, birgt im Detail jedoch zahlreiche Fallstricke mit sich. Dies zeigte sich insbesondere im praktischen Teil der Notfallübung, welcher eine minutiöse Organisation von Personaleinsatz, Material und Arbeitsabläufen erfordert, die im Vorfeld seitens der Koordinierungsgruppe in Zusammenarbeit mit der Feuerwehr erfolgte.

So wurden etwa die für die Bearbeitung von Archivgut notwendigen Materialien in speziellen Notfallboxen bereits vorbereitet. Dazu gehören unter anderem Strechtfolienrollen mit Abrollvorrichtung, Dokumentationsmaterial, persönliche Schutzausstattung (Overall, FFP2 Masken, Schürzen), Messer, Scheren, Folien und Plastikbeutel unterschiedlicher Größen sowie Transportkisten. Die 20 Teilnehmerinnen und Teilnehmer der Notfallübung bauten zunächst das gesamte Erstversorgungsszenario auf, insbesondere die 5 Zelte und die Arbeitstische, um auch witterungsunabhängig arbeiten zu können. Im Anschluss erprobten sie die Abläufe bei einem simulierten Wasserschaden im Allgemeinen sowie die Abläufe der Erstversorgung von Unterlagen und ihre eigenen Tätigkeiten dabei in verschiedenen Rollen des Arbeitsprozesses.

Geübt wurde nicht mit „richtigem“ Archivgut. Im Vorfeld wurden rund fünf Regalmeter mehrfach überlieferte und damit nicht mehr benötigte Akten, Bücher, Fotos, Karten und andere Materialien durch die Feuerwehr gezielt mit Wasser durchnässt und zum Teil auch verschmutzt. Die so geschädigten Schriftgüter wurden von den Auszubildenden der Feuerwehr aus einem Übungsgebäude geborgen und den Helferinnen und Helfern des Notfallverbundes auf dem Vorplatz übergeben.

Hier erfolgte eine Begutachtung des Schadensbildes und eine grobe Vorsortierung der Unterlagen in die drei Kategorien „trocken/unbeschädigt“, „feucht/klamm“ und „nass/verschmutzt“. Das betroffene Schriftgut wurde dann an drei Erstversorgungsstraßen durch die Übungsteilnehmerinnen und -teilnehmern unter Berücksichtigung der jeweiligen Schadensbilder versorgt. Dabei wurde die Verlagerung an Ausweichstandorte sowie Konservierungsdienstleister vorbereitet. Gerade feuchtes oder nasses Schriftgut sollte möglichst zeitnah geborgen werden, denn durch Schimmelbildung ist es in seiner Substanz gefährdet. Es muss daher zügig gesichert, verpackt und eingefroren werden, um es anschließend einer Vakuum-Gefriertrocknung zu restaurieren.

Unterschiedlicher Arbeitsaufwand

Je nach Art des Archivguts fällt ein unterschiedlicher Arbeitsaufwand an. Während Aktenordner recht einfach verpackt werden können, bedürfen Großformate wie Karten und Pläne sowie vor allem Kleinformate wie Fotos einer intensiveren Behandlung. Fotos etwa sollten nur in Beuteln verpackt werden, ohne dass sich die beschichteten Seiten von mehreren Fotos berühren. Andernfalls droht beim späteren Gefriertrocknen eine Beschädigung der Fotoschicht. Beim Abtransport großer, wassergetränkter Karten sollten mehrere Personen mit anfassen, damit sie nicht brechen. Mit Schlamm verschmutzte Unterlagen sollten mit Wasser abgespült werden, damit sich das Schriftgut beim Trocknen nicht verhärtet. Die Teilnehmenden lernten, den Dreck zu beseitigen, ohne die Dokumente weiter zu beschädigen.

Eine besondere Herausforderung ist die Dokumentation, also die Kennzeichnung des geborgenen Kulturguts und die fotografische und schriftliche Erfassung der einzelnen Stücke, die es ermöglichen soll, die Herkunft und die Lagerorte der geborgenen Materialien jederzeit nachzuvollziehen. Bei der abschließenden Auswertung der Übung wurden Verbesserungsmöglichkeiten in den Abläufen und Lücken in der Ausstattung der Notfallcontainer analysiert.

Zur Stabilisierung können mechanisch geschädigte Bücher zusätzlich in einer Mullbinde eingewickelt werden. (Foto: Swaantje Hehmann)
Zur Stabilisierung können mechanisch geschädigte Bücher zusätzlich in einer Mullbinde eingewickelt werden. Foto: Swaantje Hehmann

Was alles noch aktueller macht

Die aktuelle Hochwasserlage in Süddeutschland zeigt die Wichtigkeit derartiger Notfallübungen. Letztlich auch dank der wertvollen Hinweise der teilnehmenden Spezialistinnen und Spezialisten aus den Restaurierungswerkstätten der am Notfallverbund beteiligten Einrichtungen agieren die Teilnehmenden aus den Verbundinstitutionen sicherer im Umgang mit beschädigtem Archiv- bzw. Kulturgut und erhielten Anregungen, wie die bestehenden Notfallplanungen in ihren eigenen Einrichtungen verbessert werden können. Darüber hinaus bot die Übung eine gute Gelegenheit zur regionalen Vernetzung sowie zum Austausch über Fragen und Details des Notfallverbundes und des Kulturgutschutzes.

Da im Notfall jeder Handgriff sitzen muss, sollen Notfallübungen regelmäßig durchgeführt werden.

 

Kontakt:

Sollten wir bei Lesenden Interesse zum Thema geweckt haben, freut dies nicht nur die OR-Redaktion, sondern auch den Ansprechpartner für weitere Auskünfte. Dies ist der Leiter der Osnabrücker Abteilung des Landesarchivs in der Schloßstraße 29, Dr. Thomas Brakmann, Telefon +49 541 33162-11, Email thomas.brakmann@nla.niedersachsen.de

Für alle Fotos dieses Berichts bedanken wir uns herzlich bei der freien Fotografin Swaantje Hehmann.

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