Donnerstag, 2. Mai 2024

„Nervös – wie vor einer Klassenarbeit“

Mitglied des Osnabrücker Seniorenbeirats beim Berliner Halbmarathon: ein persönlicher Erlebnisbericht

Halbmarathon mitlaufen? Ich? Nie! So habe ich bis zu meinem 68. Geburtstag gedacht. Nicht zu Ende gedacht. Im Oktober 2023 war es so weit. Eine Verwandte sagte zu mir: „Die halbe Verwandtschaft läuft mit. Das kannst du auch wohl mitmachen!“  Also anmelden beim HALB-Marathon in Berlin. 88 Euro? Oh Gott! Wofür?

Na ja, Augen zu und bezahlen. Dazu noch ein Marathon-Trikot. 22 Euro! Ach, egal. Später zum Angeben gut geeignet. Versicherung auch noch …. Na, ja. Und extra trainieren für den Marathon? Muss das sein? Der Termin, einen Sonntag nach Ostern, ist noch lange hin. Also erst einmal Weihnachten feiern. Mit dem Beginn  des Jahres 2024 war der Lauftermin dann immer in meinem Hinterkopf.

Also doch intensiver laufen? Ja. Eine Lauf–App verhilft zur Dokumentation und zur Motivation. Der Veranstalter des Marathons verschickt im Januar einen Trainingsplan. Eine große Hilfe für mich. Zweimal in der Woche Laufen und einmal intensiv Fußball spielen sind eine gute Grundlage. Neu für mich: Steigerungsläufe bis zu 2000 Meter mit 2-3 Minuten Gehpausen. Eine neue, positive Erfahrung für mich. Der Lauftermin am 7. April 2024 ist gut gewählt. Traumwetter in Berlin. 20 Grad, trocken, kein Wind.

Am Tag zuvor aber zunächst zum ehemaligen Flughafen Tempelhof. Ohne festes  Startband am Handgelenk und Startnummer geht gar nix. Die „Expo-Messe“ versprüht internationales Flair. Der Sprecher am nächsten Tag verkündet: „Willkommen, 3500 Dänen, 1500 Niederländer, 1500 Briten, auch  Italiener, Franzosen, Polen, Argentinier, Chinesen und Kenianer!“ Sechs Läufer aus Kenia werden die ersten sechs Plätze belegen! Bei den Frauen sind es zwei Läuferinnen aus Äthiopien. Großer Respekt vor den Laufleistungen!

Zurück zum Start. Am Lauftag morgens bin ich nervös wie ehemals vor einer Klassenarbeit. Riesenandrang auf dem Start/Zielgelände. Meine Frau übernimmt mein Gepäck. Eine große Hilfe. Dann rein in den abgesperrten Läuferbereich. Meine Wechselkleidung mit Handtuch wird in einem durchsichtigen Beutel in einem LKW verwahrt. Perfekt organisiert.


38.000 auf der Piste

Vor dem Start. 11.10 Uhr ist Startzeit. Tausende Läuferinnen und Läufer sind im – letzten – Startblock „G“. Hier laufen die Schwächsten. Kurz vor dem Start wird die Musik hochgefahren, Gänsehaut. In Ruhe gehen Tausende an die Startlinie Richtung Siegessäule. Erst danach wird langsam angelaufen. Zu viele Menschen sind auf engstem Raum.

Insgesamt sind 38000 Personen angemeldet, davon zirka 1000 auf Inliner. Es geht zunächst direkt zum Schloss Charlottenburg. Die Straße nimmt kein Ende. Aber alle laufen locker ihren Stil. Der Marathon ist auch noch jung….

Ich beherzige den Tipp meines Freundes und erfahrenen Laufkollegen Heiko „Genieße jeden Meter der Strecke. Sie ist wunderbar!“ Das tue ich. So mache ich entlang der Laufstrecke Fotos von den Sehenswürdigkeiten. Schloss Charlottenburg und Funkturm.

Plötzlich eine Stimme von hinten: „Bernardo, quieres ser el ultimo?“  Eine italienische Mitläuferin spricht mich auf der Strecke auf mein verhaltenes Tempo an. Auf meinem  Trikot des portugiesischen Nationalteams ist „Bernardo“, ein Nationalspieler, aufgedruckt. Die Italienerin fragt, ob ich bewusst Letzter werden möchte. Dann wünscht sie einen guten Lauf und entschwindet mit ihren beiden Freundinnen. Sie quälen sich halt mehr.

Nach fünf Kilometern die erste Verpflegungsstation. Ich nehme mit zwei Becher Wasser und gönne mir eine kurze Laufpause. Das machen viele. Weiter geht es fast den gesamten Kudamm Richtung Gedächtniskirche. Hier war ich noch nie. Eine Läuferin vor mir wird plötzlich schnell. Sie rennt in eine nahegelegene Pizzeria. Was sie dort macht? Toiletten sind rar gesät an der Strecke.

Ich mache Fotos von Gedächtniskirche, KaDeWe und U-Bahnhof Wittenbergplatz. Die Strecke zieht sich. 12 Kilometer sind geschafft. Immerhin. Während der Vorbereitung war ich vor zwei Wochen 18 Kilometer um den Flugplatz in Faro gelaufen. Die drei Kilometer mehr müssten also heute auch funktionieren. Ich habe gelernt, dass es nicht notwendig ist, die ganze Strecke bei der Vorbereitung zu laufen.

Vorbei an der U-Bahn Nollendorfplatz geht es bald in Potsdamer Straße zum gleichnamigen Platz. Gott sei Dank. Dort will meine Frau auf mich warten. Dank tracking kennt sie immer meine Position und will mich anfeuern. Vorher kommt noch die letzte Verpflegungsstation mit Wasser und Bananen. Danach ist eine Dusche aufgebaut. Erfrischend bei dem Wetter. Schnell ein Foto.

Jubelnde Kinder

Richtung Potsdamer Platz sehen ich von weitem eine jubelnde Kinder. Oh, wie schön. Die ganze Großfamilie mit ihren Jüngsten jubelt mir zu. Das Besondere: Schwager Günther lässt mich schnell einen Schluck Bier aus seinem Glas trinken. Himmlisch! Jetzt aber ab auf die letzten  fünf Kilometer. Am Ausgang des Platzes jubeln meine Frau und meine Tochter. Schnell ein Küsschen und weiter geht’s. Das Anfeuern, auch der vielen Musikbands, ist sehr, sehr anregend. Auch Zuschauer und ihre Kinder pfeifen, klatschen und feuern uns an.

Viele halten Plakate „ Ihr schafft das!“, „Ihr seid klasse!“, „Weiter so“.   Eine Zuschauerin hält eine Sprühflasche mit Wasser und ihren Händen. Da muss ich hin. Ab zur anderen Straßenseite und genießen! Am Check Point Charlie das nächste Foto, auch am Französischen Dom. Die Strecke hält hier noch einige Schleifen bereit. Ist immer noch nicht das Ende in Sicht? Am Ende der Straße Musik, Lärm, Geschrei. Cheerleader kommen ins Blickfeld.

Fast geschafft! Vor dem Brandenburger Tor.
Fast geschafft! Vor dem Brandenburger Tor.

Hier geht es endlich ins Finale. „Unter den Linden“ erwartet uns. 400 Meter noch. Jetzt genießen. Wie Heiko es empfohlen hat. Fotografieren nicht vergessen. Das Brandenburger Tor kommt immer  näher. Abgesperrt für uns Läufer. Ein erhebendes Gefühl. Da schreit noch jemand am Rand. Meine Frau hat sich durchgekämpft. Eine kurze Begrüßung, Der Zieleinlauf lockt. Foto. Durch das Tor, das Ziel ist 200 Meter hinter dem Tor. Der Sprecher steht auf der Laufbahn und kommentiert emotional das Einlaufen. Ich halte ihm meine Hand zum Abklatschen hin. Es hat funktioniert. Und jetzt. Geschafft! Unglaublich! Glücksgefühle! Wahnsinn!  21 Kilometer im Laufschritt durch Berlin ohne große Pausen und ohne den Wunsch, aufzugeben. Glückwunsch an mich selbst! Ich bin stolz!!


Duschen mit dem Nachbarn

Und noch ein Abschlussfoto mit Medaille! 21,0175 Kilometer waren ganz schön lang! Für mich 2 Stunden und 48 Minuten. Das Duschen nach dem Lauf in einem Extra Dusch-LKW ist herrlich! Ein Läufer meint „So eine wunderbare Brausedusche habe ich nicht einmal zu Hause!“ Und mein Duschnachbar? Ist 26 Jahre alt und kommt „aus der Nähe von Osnabrück“.  „Ach, woher denn?“ „Aus Neuenkirchen/Vörden“  Um die Ecke also!

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