Hollywood in Altona
(… eine wahre Geschichte aus dem Buch „Sind Sie frei?“ von Kalla Wefel)
Ich wollte heute gar nicht mehr in die Taxe steigen und hätte Regina nicht geklingelt, um mich abzuholen, wäre mir für Rainer Geist schon eine passende Ausrede eingefallen.
Die Funkerin nervt seit einer Viertelstunde mit der Suche nach einem ganz bestimmten Mercedes-Modell rum, das irgendein spinnerter Kunde in Altona verlangt.
»Ist denn wirklich kein ›Strich-Achter‹ auf der Straße? Das hat auch noch bis zu einer halben Stunde Zeit.«
An einer roten Ampel springt ein Kollege aus seiner Taxe, reißt meine Fahrertür auf und motzt mich an: »Mensch, warum meldest du dich denn nicht! Die sucht verzweifelt ‘nen ›Strich-Acht‹, und du schipperst hier mit diesem Prachtmodell durch Altona!«
Mein absolutes Desinteresse für Automarken, erst recht für unterschiedliche Modellbezeichnungen ein und derselben Marke treibt meinen Kollegen so sehr zur Verzweiflung.
»Schon gut. Junge, reg dich ab. Dafür weiß ich, wer 1967 sechster in der Regionalliga Nord gewesen ist!«
Ohne auf einen Kommentar meines aufgebrachten Kollegen zu warten, melde ich mich schließlich für die Tour: »Drei-Doppel-Sechs kann die Strich-Achter-Tour fahren.«
Die Funkerin ist hörbar erleichtert und gibt mir eine Traumtour. »Drei-Doppel-Sechs, fahren Sie bitte in die Friedensallee 7, dort wartet ein Filmteam auf Sie!«, verkündet Sie in fast feierlichem Ton.
Ich schlucke erst einmal, finde aber schnell zu alter Form zurück und bestätige mit einer gewissen Vorahnung: »Na, dann meld ich mich mal ab nach Hollywood! Danke, Drei-Doppel-Sechs.«
Vor dem Haus Nummer sieben herrscht tatsächlich reges Treiben. Zwischen diesem geplanten Chaos rennt Regisseur Hark Bohm herum und gibt Anweisungen für die nächste Szene: »Das Taxi rollt langsam hier heran, und dann steigt Hanne … ähm … aus.«
Na bitte, meine Taxe ist also als Darstellerin eingeplant, das lässt auf einiges hoffen.
Ich suche den Aufnahmeleiter und frage ihn: »Sag mal, wie lange braucht ihr eigentlich meinen Wagen?«
»Ach, rechne mal so bis zwei, drei Uhr morgens. Also gut sechs Stunden, das geht doch in Ordnung, oder?«
»Klar. Und wie denkt ihr euch das mit der Bezahlung?«, erkundige ich mich eher beiläufig.
»Sind vierzig Mark die Stunde okay?«
Ich weiß nicht, woher ich die bodenlose Frechheit nehme, kopfschüttelnd zwanzig Mark mehr zu fordern. Es muss an der teuren Lederjacke des Aufnahmeleiters liegen; so eine wollte ich immer schon mal haben.
Wir einigen uns jedenfalls auf sechzig Mark die Stunde. Und wofür? Dafür, dass ich mit dem Wagen viermal um den Pudding fahre, damit der Tonmeister genügend Sound für die spätere Synchronisation hat. Ansonsten wird die Taxe auf einen Tieflader gehievt, der von einem VW-Bus gezogen wird. Also verfahre ich noch nicht einmal unnütze Kilometer.
In meinem Kopf klingelt die Kasse: Sechs mal sechzig macht … dreihundertsechzig. Alles für mich, denn die Uhr brauche ich ja nicht mal einzuschalten.
Bevor der Aufnahmeleiter verschwindet, frage ich ihn: »Was für ‘n Film wird hier eigentlich gedreht?«
»Ach, das geht um diese Bachmeier-Story!«
»Na, das ist ja toll … erst im Stern und jetzt im Kino, oder was?«
»Na ja, so ungefähr.«
»Fehlen nur noch die Platte und dann das Buch, näh?«
Er hört mir aber schon nicht mehr zu und wendet sich ab.
»Dieser Film ist doch wohl die letzte Wichse«, flüstert mir ein Kabelträger zu. Ich zucke mit den Achseln.
»Mensch, du sollst nicht lachen! Schau mehr nach links, entschlossener …!« Hark Bohm brüllt gerade eine Regieanweisung über die Straße hinweg und fügt leise, so dass ihn nur die Umstehenden verstehen können, »du blöde Kuh!« hinzu.
Die Atmosphäre scheint gestresst zu sein.
Kein Wunder, denn bei der Verfilmung der Bachmeier-Story gibt es ein Wettrennen zwischen Hark Bohm und Burkhard Driest, der sich auch auf diesen Stoff gestürzt hat. So eine attraktive Rächerin hat es schon in sich und macht sich offenbar recht gut an der Seite eines alternden Filmemachers.
Jedenfalls schaffe ich es, das Künstlerhonorar meiner Taxe auf fast sechshundert Mark hochzuschrauben, was in etwa einem Drittel ihres tatsächlichen Zeitwerts entspricht. Allein für eine Innen- und Außenreinigung kassiere ich noch mal zweihundert Mark extra und zahle später ganze sechs Mark für eine einfache Heißwäsche.
Ich wusste doch, dass man beim Film viel Geld verdienen kann.
Nachdem Drei-Doppel-Sechs auf seine alten Tage von der Straße weg noch für den Film entdeckt worden ist (a Mercedes-Star was born!), treffe ich mich mit Regina im Schachcafé. Ich erzähle ihr von Hollywood und Altona, von den Skandalen und Intrigen.
Wir lachen noch bis in die Morgenstunden hinein über Groucho Marx und Woody Allen und andere wirklich tolle Leute vom Film, und wir lästern über die alten Männer vom ewig neuen deutschen Film wie die Teufel. Der Alkohol fließt in Strömen.
Ein Chauffeur fährt uns in einer Luxuslimousine in Richtung Süden – also nach Hamburg-Harburg, Ortsteil Heimfeld.
Traumfabrik Altona.















