Ein Statusbericht
„Keine Zweckmäßigkeit geht uns so nah an als die moralische und nichts geht über die Lust, die wir über diese empfinden.“ (Friedrich Schiller)
Heute oszilliert Kunst zwischen den Polen wohlfeiler Bewunderung und kritisch polarisierter Empörung. Das heutige Ausstellungspublikum ist jung, divers und will Spaß; es besteht in der Regel aus selbstbewussten Fans und immer weniger aus – traditionell ernst blickenden – Bildungsbürgerinnen.
Der Konsum von und die aktive Lust auf einzigartige Kunsterlebnisse passt genau in unsere Zeit: Er steigert unser individuelles soziales Prestige, die Fähigkeit zum diskursiven Streit, aber weniger den Anspruch auf „klassische“ Bildung und die früher übliche Bewunderung von „Meisterwerken“. Heute dienen diese höchstens als Hintergrund fürs Selfie, aber nicht mehr als zeitlos-ewiges Ausnahmeprodukt eines Genies. „Meisterwerke“ sind heute Anlässe sich diese bewusst gegen die Traditionen anzueignen und zeitgenössisch neu zu erzählen.
Galt einst etwa Schillers Formel „Anmut ist eine bewegliche Schönheit“, dann fragt sich wo eigentlich heute die Lust am hellwach zugespitzten Kunststreit bleibt. Welche Zumutungen können wir aushalten, darf etwa „Bosheit … auch unterhaltsam“ (Jessy Wellmer) sein? Ist Kunst, die auf die eine oder die andere Weise nicht aktivistisch polarisiert, überhaupt noch Kunst? Wer hier sofort eine Antwort parat hat, muss nicht gleich recht haben.
Kunst und ihre zunächst eher spröde- kunstfremden Ausstellungsprojekte funktionieren heute lustvoll und diskursiv, wohlmeinend selbstermächtigend und niedrigschwellig, emphatisch und gerne wohlfeil. In jedem Fall entsteht ein immer provokanteres, unterhaltsames und „billiger“ herstellbares, sinnlich konsumierbares Vergnügen, das auf eine steigende öffentliche Nachfrage der heutigen Event-Generation trifft.
Gleichzeitig stellt sich uns aktuell die grundsätzlichere Frage nach einem tiefer gelegten Sinn, der Relevanz einer permanent moralisch kommunizierenden Kultur und ihres zunehmend scharfen, moralisierenden Tons. Das Problem einer streitbar zugespitzten Moral in den sozialen Medien wird sich zukünftig noch steigern.
Es existiert aber bisher kaum ein Esprit für eine ästhetisch überzeugende, die Widersprüche genießende neue Gegenwartsmoral, geschweige denn eine diesbezügliche praktisch anwendbare Theorie. Die erste Maxime einer widersprüchlich ästhetischen Moral lautet (zumindest nach chat gpt): Handle so, dass deine Handlung eine Spur hinterlässt, die Formen dieser Welt nicht nur ausgesuchter und angemessener, sondern empfindlicher, durchlässiger und kontrastreicher macht.
Kunst handelt als unzeitgemäßes Ritual der Moderne, als moralisch widersprüchliches Vergnügen des Gegenwärtigen für den Geist der jeweils einzelnen Betrachtenden und auf Rechnung eher verunsicherter Augen. Es entwickelt sich gerade heute eine Praxis eines kritisch getriggerten moralischen Vergnügens, das Meta-Affekte wie Ironie, Irritation, Parodie, Perplexität und Esprit nicht ausschliesst sondern kultiviert – und gleich erneut triggert. Ein Vergnügen wird dann hypermoralisch, wenn es Freiheit durch Komplexität ermöglicht und Komplexität durch Abeit an moralischen Zumutungen erträglicher macht.
Kunst kommuniziert, so Heinrich Böll 1966, die Untröstlichkeit des modernen Menschen angesichts der von ihm angerichteten Katastrophen. Heutige Augen müssen ertragen, was die nächsten Zukünfte bringen werden und wie wir trotzdem die Zumutungen und Ungerechtigkeiten der Gegenwart werden überleben müssen …
Heute heißt Lebenskunst und Empowerment was früher unter Heiligkeit und Heroismus gebucht wurde – schrieb Peter Sloterdijk in seinem Buch „Du musst Dein Leben ändern“ (2011). Die Lebens-Kunst unserer heutigen (immer noch) demokratischen Gesellschaft darf vieles – etwa die herrschenden sozialen, ungerechten Verhältnisse kritisieren, das eigene Denken polarisieren und ja auch sich selbst als Kunst bestätigen. Sie kann dabei als Kunst sogar so tun als ob sie bald verschwinden würde. Kunst darf nicht nur politisch sein. Sie ist es ja schon längst …















