Am 30.06.2003 erscheint er offiziell, der Sampler, auf dem elektronische Musiker und Verwandte ihr musikalisches Statement zu einem Osnabrücker Phänomen abgeben, das zwar mittlerweile physikalisch verschüttet, geistig bei vielen aber noch präsent ist. Der Neumarkttunnel, diese Verbindung zwischen Stadtteilen, gleichzeitig Sehnsuchtsort, Zuflucht, Shoppingmeile, Szenetreff und Drogenumschlagplatz , musste 2013 der städteplanerischen Wüste des Neumarkts weichen. Jetzt gibt es online und auf Vinyl das musikalische Denkmal für das Osnabrücker Wahrzeichen.

Danach liefern Kicky Ring und das Original Haseland Orchester mit „Raketen-Jesus“ und „Landpartie“ – beide von ihren hörenswerten Debütalben – ihre musikalischen Visitenkarten ab. Während Kicky Rings Elektro Heiland auf einer Surfwelle mal eben am Brunnen vorbeirauscht, kommt das Haseland Orchester nach seiner Landpartie kurz vorbei um sich in der Auslage von Wöhrl die neuen Bademoden anzusehen oder bei Coppenrath einen Kaffee zu trinken. Das Stimmungsbarometer steigt auf cool und entspannt.
Mit dem Beitrag von Han Jammer „Kontaktverlust“ zieht dann die Crime-Scene in den Tunnel ein. Vor einem Hip-Hop Beat entfalten sich perkussive Synthies vor cinematischen Flächen und Chören. Miami Vice im Tunnel! Angesichts der nur 2,65m hohen Decke zieht man hier schon einmal den Kopf ein.
Die Titel von Ficht, „Nachtficht“ und der Brägen Band, „Submilbe“ beruhigen die Stimmung dann weiter. Die Tunnelpassanten chillen vor spärlichen, nur angedeuteten Beats, lassen sich treiben. Ein paar Düsseldorfer und Berliner Touristen sind auch dabei und treffen sich mit elegischen Improvisationen, fließenden Texturen und stoischen Beats.

„Demagnetesierte Generation“ von poesie fysiek treibt die Tristesse dann noch weiter. Vor elektrischen Brummgeräuschen improvisiert ein verstimmtes Klavier und Wasser tropft von der Decke. Avantgardistisch ergibt sich hier eine deutliche Nähe zur Musique Concrete der Sechziger Jahre. Einsamkeit und Melancholie kennzeichnen anschließend die wunderschöne Elektroballade „Schicht am Ende des Tunnels“ von Sankt Otten. Ein Prospekt, das in einer Auslage an einem der Tunnelausgänge hinter Glas liegt sinniert über die Liebe, Passanten und Busfahrpläne. „Pneumum“ von Plasma bringt mit wabernden Flächen und Industrial-Sounds noch einmal die Stimmung von poesie fysiek zurück, bevor die Osnabrücker Institution Poison Dwarfs mit „Farewell“ und einem letzten Versteckspiel den endgültigen Abschied vom Neumarkttunnel einleutet.
Alles in allem ist der Neumarkttunnel eine gelungene und spannende musikalische Reise durch die Zeit und in ein verschüttetes architektonisches Wahrzeichen, mit Liebe und Sinn für einen roten Faden von Joachim Giese zusammengestellt. Parallel dazu zeigt die Platte ein lebendiges und facettenreiches Bild der Elektronik-Szene Osnabrück. Das ausgewogene und transparente Mastering von Martin Schmeing in der Mühle der Freundschaft sorgt zusätzlich für einen musikalischen Genuss auf analogen und digitalen Abspielgeräten.
Weitere Infos unter: www.neumarkttunnel.de
Die Vinylausgabe ist erhältlich bei Shock-Records an der Hasestraße.














