Hans Calmeyer: Schindler oder Schwindler? Erneute Debatte im Museumsquartier Osnabrück
Die Osnabrücker Debatte, ob der frühere NS-Verwaltungsfunktionär und Jurist Hans-Georg Calmeyer Retter oder Täter, Widerstandskämpfer oder Opportunist war, setzt sich unverändert fort. Am 21. August, 19 Uhr, lädt das Museumsquartier zu einem weiteren Austausch der Sichtweisen.
Für OR-Lesende ein Dauerthema
Lesende der Osnabrücker Rundschau dürften die Debatte auch deshalb umso informierter verfolgen, das sich in der OR bereits mehrfach Beiträge des ILEX-Kreises wiederfanden, die stets Menschen aus Osnabrück in den Vordergrund stellten, die als NS-Gegner aktiv oder zumindest resistent Widerstand geleistet haben, deshalb schon vor 1933 ihr Leben riskierten – und häufig verloren. Die unverändert online abrufbare OR-Serie und die überarbeitete und erweiterte Buchfassung unter dem Titel „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit. 36 Biografien mutigher Menschen“ dokumentieren dies bis heute. Unverändert hörenswert ist dazu ein Podcast der OR mit Mitgliedern des ILEX-Kreises.
Um was geht es?
Blicken wir zurück: Der Osnabrücker Jurist Hans Georg Calmeyer, war von 1941 bis 1944, während der deutschen Okkupation der Niederlande, Teil der deutschen Besatzungsverwaltung. Dort verantwortete er das Überleben, aber auch den Tod in den Niederlanden lebender Jüdinnen und Juden. Er entschied in „rassischen Zweifelsfällen“ über den Status „Arier“, „Jude“ oder „Mischling“. Davon hing das Leben der Betroffenen ab. Durch sein Handeln entgingen knapp 3.000 Verfolgte der Deportation. Zugleich hat er den Tod einer sehr hohen Zahl anderer Jüdinnen und Juden zu verantworten und sich am NS-Terror mitschuldig gemacht. Diskutiert und von der OR aufgegriffen wurde all dies besonders umfassend anno 2022 in einem öffentlichen Symposium. Auch ein von OR-Redakteur Reiner Wolf produzierter Film zum Thema hat weitere Eiblicke ermöglicht.
Bislang unbearbeitet ist überdies Calmeyers Rolle bei der Rekrutierung zahlloser Menschen, die im Deutschen Reich Zwangsarbeit erleiden mussten. Die historische Einordnung seines Handelns wird bis heute intensiv und kontrovers diskutiert – was über die Veranstaltung hinaus fortgesetzt werden dürfte.
Wer spricht und debattiert mit?
Deshalb sollte man sich diesen Termin unbedingt merken: Am Donnerstag, den 21. August um 19 Uhr, lädt nun das Museumsquartier Osnabrück zu einer öffentlichen Gesprächsveranstaltung mit dem Journalisten Rainer Lahmann-Lammert ein. Im Dialog mit dem Historiker und Kurator Dr. Thorsten Heese geht es um die Komplexität der Person Calmeyers und die Rolle der Medien in der Auseinandersetzung mit ihrer Deutung.
Die Auswahl der Gesprächspartner birgt angesichts der speziellen Thematik einen besonderen Reiz: Rainer Lahmann-Lammert hat die erinnerungskulturelle Debatte um Calmeyer über viele Jahre journalistisch begleitet. Als Redakteur der Neuen Osnabrücker Zeitung berichtete er seit den 1990er Jahren über die späte öffentliche Aufmerksamkeit für Calmeyer, über seine posthume Ehrung durch Yad Vashem als „Gerechter unter den Völkern“ und die Verleihung der Justus-Möser-Medaille durch die Stadt Osnabrück. Zugleich dokumentierte Lahmann-Lammert aber auch die kritischen Stimmen, die auf die Ambivalenzen von Calmeyers Handeln hinwiesen.
Ausblicke
Die Veranstaltenden versprechen, nicht bei einer historischen Debatte zu verharren: Die Veranstaltung widmet sich nämlich nicht nur der Person Hans Georg Calmeyer, sondern richtet den Blick auch auf die Gegenwart: Wie wird Erinnerung gestaltet? Welche Verantwortung tragen Medien bei der Vermittlung von Geschichte? Und wie gehen wir mit Biografien um, die sich einer eindeutigen moralischen Bewertung entziehen?
Die OR hatte sich seinerzeit bereits ausgiebig mit der aktuellen Präsentation der Villa im Museumsquartier befasst, die vormals den Namen des NSDAP-Mitglieds Schlikker trug. Das angekündigte Gespräch findet im Veranstaltungssaal statt. Der Eintritt ist frei.