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Samstag, 13. September 2025
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Clasenkampf mit Trommelfeuer

Verwaiste Illusionen

Mist! Nun hatten wir es uns fast vier Wochen in den verweichlichten KOZ-Redaktionssesseln gemütlich gemacht und uns voller Häme gefreut, dass uns NOZ-Schlachtross und Trump-Versteher Michael Clasen in dieser Zeit mit unsäglichen Kommentaren in Ruhe ließ. Womöglich, so argwöhnten wir,  hat er endlich andere Schwerpunkte für seine Arbeit als „Chef vom Dienst“ gefunden. Das sei ihm gegönnt, solange er seine Kolleg*innen nicht mit rechten Sprüchen oder gar Vorgaben malträtiert, aber das wäre dann eine ganz andere Geschichte.


Brutaler Mord und nie gerufene Lehrmeister

Aber egal! Vorbei ist vorbei. Jetzt fand unsere Ruhe jedenfalls wieder ein abruptes Ende. Hintergrund des neuen Clasenkampfes war der – ohne jeden Zweifel – verabscheuungswürdige Mord am rechtsextremen Trump-Einpeitscher Charlie Kirk. Um es klar zu sagen: Derartige Morde waren und sind verachtenswert und bilden das exakte Gegenteil einer demokratischen Auseinandersetzung, für welche die OR seit ehedem steht. Auch Kirk verdient, wie alle Opfer von Gewalt, Respekt und Mitgefühl für die Angehörigen.


Wie aber reagiert Michael Clasen?

„Vergiftetes politisches Klima. Warum das tödliche Attentat auf Trump-Unterstützer Charlie Kirk auch uns trifft“ überschrieb der Redakteur seinen online bereits am 11. September in die NOZ-Welt gehämmerten Kommentar. 

Darin versucht der Mann fürs Grobe – wie üblich von hinten durch die Brust ins Auge – die eigentlichen Hintergrunde einer verabscheuungswürdigen Mordtat in sein rechtes Weltbild zu rücken. Schön wäre es im Übrigen gewesen, Clasen hätte sich auch so ausführlich mit den vergangenen Morden an US-Demokraten befasst und sie ebenso kritisiert. Aber lassen wir jetzt den Originalton sprechen:

Auch in Deutschland sollte die Gesellschaft wieder lernen, unterschiedliche Meinungen besser auszuhalten, ohne Andersdenkende gleich als „rechts” zu diffamieren. Einige Medien sollten sich selbstkritisch fragen, was sie zum vergifteten Klima beigetragen haben. Trump etwa zu kritisieren, ist völlig in Ordnung. Aber ist dieses Bashing als „Despot“ noch angemessen? Es gilt, verbal abzurüsten, damit ein Diskurs wieder möglich wird, bei dem jeder seine Meinung offen sagen kann, ohne Angst haben zu müssen.


Hä? Trump-
„Bashing“ als „Despot“?

Da fragt man sich, wer eigentlich das von Clasen wahrgenommene „Bashing“ auslöst. Diejenigen um Trump, Vance und deren Bataillone, die aktuell den Rechtsstaat aushöhlen? Oder sind es nicht etwa Trump, Vance und bis zuletzt deren Claqueure wie Kirk, die dafür sorgen, dass die demokratische Gewaltenteilung derzeit in Gestalt eines gleichgeschalteten Supreme Court geschliffen, wenn nicht gar schrittweise komplett abgeschafft wird?

Alles zugunsten eines autoritären Staatsgebildes, das dem Präsidenten restlos alles gestattet, was er durchknallen will? „Bashing“ aus Sorge um eine traditionsreiche Demokratie, die bald keine mehr sein dürfte, wenn sie überhaupt noch eine ist.

Was ist mit der Aushöhlung des demokratischen Wahlrechts, indem Wahlkreise künftig akribisch so zugeschnitten werden, dass die Parlamentsmehrheit der Trump-Fans für alle Zeiten feststeht? Alles in einem System, in dem sogar zu befürchten ist, dass die Opposition der Demokratischen Partei, die in Trumps und Vances Augen „linksradikal“ ist, zerschlagen wird.

Wer betreibt unnötiges „Bashing“, wenn kritisiert wird, dass die Nationalgarde in demokratisch regierten Städten aufmarschiert – um am Ende das öffentliche Leben zu kontrollieren?

Darf man es etwa kein „Bashing“ starten, wenn der Präsident Verbrechen aus der US-Geschichte wie Sklaverei oder exterritoriale Kriege aus Lehrbüchern, Museen und Ausstellungen bannen will, Schüler*innen, Lehrende und die Freiheit der Wissenschaft auf seine eigene Weltwahrnehmung reduziert?

Ist es nur „Bashing“, wenn Menschen sich dagegen wehren, dass der globale Klimawandel, den die Spatzen schon von den Dächern pfeifen, von Trump als Hirngespinst diffamiert wird? Und wenn zwingend nötige Umweltprojekte vor die Hunde gehen, weil Trumps Öko-Welt angeblich völlig intakt ist?

Ist es „Bashing“ von Trump, wenn man dessen restlose Einstellung humanitärer Programme im südliche Afrika kritisiert? Was dazu führen könnte, dass Millionen von Menschen ohne Medikamente an HIV versterben?

Ist es „Bashing“, das brutale und völkerrechtswidrige Morden und Sterbenlassen im Gaza-Streifen anzuprangern, das Trump und Netanjahu eint, um an der Gaza-Küste eines Tages eine Strandpromenade für Reiche aufzubauen – und eine Million Einheimische brutal zu vertreiben? Rund 60.000 Tote im Gaza-Krieg und eine dort restlos zerstörte Infrastruktur sollen mit Schulterzucken akzeptiert werden?

Nein, das Bashing als Depot ist schon lange nicht mehr angemessen, vielmehr könnte es durchaus sogar heißen: als Faschist, Vergewaltiger und Mörder.

Anmerkung: Unabhängig davon ist es ohnehin komisch, dass Rechte wie Clasen oder Ewert gleich am Rad drehen, wenn man sie als das bezeichnet, was sie sind – nämlich rechts. Tituliert man Linke als links, zucken die nur gelangweilt mit den Schultern.


Hetzer und Heizer

Ausgerechnet Michael Clasen, der den Kampf gegen alles Linke dermaßen befeuert, dass die Heizer auf seiner Titanic mit dem Kohleschaufeln gar nicht mehr mithalten können, appelliert also an „einige Medien“, Selbstkritik zu üben. Denn beim Clasenkampf gegen alles, was der Chef vom Dienst für „woke“ hält, sind im Grunde allein die Todfeinde der Trump-Politik selbst schuld, wenn es ihnen an den Kragen geht. Originalton:

Lösungen sind oft gar nicht mehr gewollt – auch von links. (…) Charlie Kirk zählte zu den profiliertesten ultra-konservativen Aktivisten und Podcastern Amerikas. Der tödliche Schuss auf ihn könnte das tragische Ergebnis einer toxischen politischen Landschaft sein, in der Worte zu Waffen werden und Gegner zu Feinden erklärt werden. Es geht oft gar nicht mehr um Argumente, Austausch und Lösungen, sondern nur noch um Krawall.


Was Clasen für normale
„Argumente“ hält

Dass Clasen sich derart vehement für die Legitimierung der Kirk-Positionen ins Zeug legt, dürfte daran liegen, dass ihm ganz persönlich etliche davon sympathisch sein dürften. Wer war der Ermordete? Charlie Kirk war nicht nur ein Debattierer mit Schaum vorm Mund, sondern auch ein religiöser Fanatiker und ein Verteidiger politischer Gewalt. Er war, wie sein Mentor Trump, ein Verächter der Demokratie, der Justiz und des Rechtsstaates.

Den Klimawandel gab es für ihn ebenso wenig wie die von Darwin beschriebene Evolution, welche US-Ultras derzeit aus öffentlichen Bibliotheken und aus Lehrplänen verdammen. Für die Putschisten, die einst das Kapitol stürmten, um Trump trotz Wahlniederlage wieder an die Macht zu bringen, verspürte Kirk mehr als offene Sympathie – und forderte im Gegenteil Verfahren gegen diejenigen, welche die Putschisten ins Gefängnis brachten.


Ausflug in die Kirk-Gedankenwelt

Nach dem Hammerangriff auf den Ehemann der Demokratin Nancy Pelosi 2022 forderte Kirk hämisch, „Irgendein großartiger Patriot“ solle doch bitte die Kaution des Attentäters bezahlen.

An einer Veranstaltung der Awaken Church am 5. April 2023 in Salt Lake City (US-Bundesstaat Utah) tönte er: „Ich denke, es lohnt sich. Ich denke, es lohnt sich, leider jedes Jahr einige Todesfälle durch Schusswaffen in Kauf zu nehmen. Ich denke, es ist den Preis wert, dass es leider jedes Jahr einige Waffentote gibt, damit wir den Zweiten Verfassungszusatz haben, um unsere anderen gottgegebenen Rechte zu schützen.“

Zum Hintergrund: Der Zweite Verfassungszusatz (Second Amendment) der US-Verfassung schützt das Recht des Volkes, Waffen zu besitzen und zu tragen, mit dem Hinweis, dass eine gut regulierte Miliz für die Sicherheit eines freien Staates notwendig sei. Er wurde 1791 zusammen mit der restlichen Bill of Rights verabschiedet.

Den modernen Feminismus kritisierte Kirk mit dem Hinweis, Frauen seien heute unglücklicher als in den 1950er-Jahren. Daraus lässt sich logisch nur schlussfolgern, jene alte Welt mit Frauen als Menschen zweiter Klasse und weit weniger Rechten wieder herzustellen.

Steinigung, also Folterung und Ermordung homosexueller Menschen? In der Debatte mit einer LGBTQ-nahen Kinderbuchautorin hatte Kirk an die Bibelstelle Levitikus 20,13 im Alten Testament erinnert, in denen nach Kirk jene Steinigung für homosexuelle Handlungen genannt wird. „Ich sag’s ja nur“, hatte er dann stichelnd bemerkt. Geschickt verwandte er die Anmerkungen als Zitat. Nur: Wer sich hierzulande bewusst macht, welch riesige Bedeutung das bei uns längst in Sektenstuben verbannte Alte Testament in den USA hat, darf durchaus die Schlussfolgerung ziehen, dass auch jene Lehre der Ermordung Homosexueller zum diskutablen Forderungskatalog Erzkonservativer zählen darf.

Was bleibt? Charlie Kirk ist tot, doch seine faschistoid eingefärbten Gedanken sind keinesfalls verschwunden. Im Gegenteil. Kommentatoren wie Michael Clasen werden, das ist zu befürchten, in Kirks Sinne weiter schreiben. Und wir werden dagegen halten. Versprochen!




Dazu ein Gedicht von Heinz Erhardt:

Es scheint so
Es scheint so, dass auf dem Planeten,
den wir so gern mit Füßen treten
und ihn dadurch total verderben –
dass hier also nur Gute sterben!
Denn: las man je im Inserat,
dass ein Verblichener Böses tat?
Dass er voll Neid war und verdorben,
und dass er nun mit Recht gestorben?
Es kann hier keinen Zweifel geben:
die Schlechten bleiben alle leben!

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