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Mittwoch, 8. Oktober 2025

Offener Brief der Initiative „Strukturwandel Kunst und Kultur“

Absage des Stücks „Ödipus Exzellenz“ zieht weitere Kreise

Die Arbeitsgruppe „Strukturwandel Kunst und Kultur“ ist noch einmal mit Klartext auf die vom Intendanten verantwortete Absage des Stücks „Ödipus Exzellenz“eingegangen. Im Zeitraum vom 16. September bis zum 4. Oktober haben den unten dokumentierten offenen Brief insgesamt 617 Menschen aus Osnabrück und bundesweit unterschrieben. Die OR dokumentiert die Zeilen im Wortlaut.

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Pötter,
sehr geehrte Vorsitzende der Ratsfraktionen,
sehr geehrte Ratsmitglieder der Stadt Osnabrück,

die Absage des Stücks „Ödipus Exzellenz“ durch den Intendanten des Theaters Osnabrück Ulrich Mokrusch hat bundesweit und über die Landesgrenzen hinaus Aufsehen erregt. Nicht nur weil die Entscheidung der Theaterleitung die künstlerische Freiheit von Regieteam und Ensemble beschnitten, sondern auch eine wichtige Initiative zur Aufarbeitung sexueller Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche verhindert hat.

Dieser Fall hat im Theater Osnabrück, unter Kulturschaffenden und in der Stadtgesellschaft eine breitere Debatte über die Institution Theater, seine Machtstrukturen und die Notwendigkeit grundlegender Reformen entzündet. Das Theater muss demokratisiert werden, wenn es seine Relevanz für eine demokratische und vielstimmige Gesellschaft behalten will. Es muss sich öffnen für neue Formen der Beteiligung und Zusammenarbeit.

Heute übersenden wir Ihnen deswegen einen offenen Brief zum Strukturwandel am Theater.

Wir fordern die Verantwortlichen in Verwaltung und Rat der Stadt Osnabrück auf, die Debatte auch auf politischer Ebene zu führen und die strukturellen Voraussetzungen für nachhaltige Veränderungen im Theater zu schaffen, die auch den Kulturstandort Osnabrück insgesamt stärken.

Der Brief wurde im Zeitraum vom 16. September bis zum 04. Oktober von insgesamt 617 Menschen aus Osnabrück und bundesweit unterschrieben, davon 24 Erstunterzeichner*innen.

Mit freundlichen Grüßen

Elisabeth Lumme, Katrin Mundt, Simon Niemann
(für die Arbeitsgruppe Strukturwandel Kunst und Kultur)

 

Hier der Wortlaut des offenen Briefs:

Sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin Pötter, sehr geehrte Vorsitzende der Ratsfraktionen, sehr geehrte Ratsmitglieder der Stadt Osnabrück,

wir möchten mit diesem offenen Brief auf die Notwendigkeit aufmerksam machen, die aktuellen Ereignisse um die Absage der Produktion „Ödipus Exzellenz“ am Theater Osnabrück auf politischer Ebene zu diskutieren und fordern eine grundsätzliche politische Debatte über die Entscheidungs- und Arbeitsstrukturen an den Städtischen Bühnen. Nur so lässt sich weiterer Schaden vom Theater und dem Kulturstandort Osnabrück abwenden.

Das Theater gehört nicht der Intendanz allein. Sie ist zwar die künstlerische Leitung, ist aber ebenso für die Bewahrung der Kunstfreiheit verantwortlich. Das Theater ist ein Ort der Gemeinschaft, des Zusammenkommens, des Gesprächs und des Streits. Es kann ein Ort für eine lebendige und gelebte Demokratie mit all ihren Widersprüchen sein – wenn das Theater allen gehört: dem Publikum, den Mitarbeitenden, der Leitung, der ganzen Stadt. Aufgabe der Intendanz ist es, diesen Raum zu ermöglichen und zu schützen.

Doch seit diesem Juni wissen wir, dass der Intendant Ulrich Mokrusch ein anderes Verständnis von Theater vertritt. Die geplante Premiere von „Ödipus Exzellenz“ am 31. August fand nicht statt, das Regieteam wurde entlassen, das Bühnenbild entsorgt. „Ödipus Exzellenz“ war eine Produktion, in der die Aufarbeitung der Missbrauchsfälle in der katholischen Kirche, und im Bistum Osnabrück im Speziellen, im Zentrum stand. Das Stück, welches das Schweigen brechen und zur jahrelang versäumten Aufarbeitung beitragen wollte, wurde nun selbst zum Schweigen gebracht und damit auch die Stimmen der Betroffenen.

Der Intendant bekundete mehrfach öffentlich, das Osnabrücker Publikum vor diesem Stück „schützen“ zu wollen. Doch brauchen und wollen wir diesen Schutz? Durch die Entscheidung des Intendanten sind nicht nur die Mitarbeitenden des Theaters, das entlassene Regieteam und die Betroffenen übergangen, sondern auch die Osnabrücker*innen von der Möglichkeit einer offenen Debatte ausgeschlossen worden (…).

In seiner Studie „Macht und Struktur im Theater“ benennt Thomas Schmidt (Professor und Leiter des Studiengangs Theater- und Orchestermanagement an der Hochschule für Musik und Darstellende Kunst Frankfurt) die Mechanismen, die Entscheidungen wie jene von Intendant Mokrusch ermöglichen: „Struktur und Macht sind zwei prägende und miteinander verknüpfte Aspekte des deutschen Theaterbetriebes. Er beruht auf der streng hierarchischen Organisation von 1900 und hat seitdem strukturell kaum Veränderungen erfahren. Das beeinträchtigt nicht nur die Innovationsfähigkeit dieser wichtigen Institution, sondern führt auch zu unangemessen starken Machtpositionen der Intendanten, zu Konflikten mit den Ensembles und Mitarbeiter*innen und behindert die Entfaltung und Erneuerung der künstlerischen Potentiale dieser Kulturtechnik.“

Was das bedeutet, haben wir im Falle der abgesagten Premiere von „Ödipus Exzellenz“ hautnah miterlebt. Der Fall hat bundesweit und international Schlagzeilen gemacht. In der medialen Öffentlichkeit wurde intensiv über die Unterdrückung der Kunstfreiheit in der „Provinz“ debattiert. Zur Diskussionsveranstaltung der Giordano-Bruno-Stiftung mit dem Schauspieler Thomas Kienast, der künstlerischen Leitung der Produktion Karl Haucke, Lorenz Nolting und Sofie Boiten sowie der Grünen-Politikerin Kristina Pfaff kamen neben Presse und Fernsehen über 200 Menschen. 

Wir wollen diesen Skandal nicht auf sich beruhen lassen. Wir wollen ihn zum Anlass nehmen für eine ernsthafte Auseinandersetzung mit den Strukturen, die hier versagt haben, und ein Gespräch anstoßen über neue Formen der Zusammenarbeit, der Beteiligung und Verantwortlichkeit am Theater Osnabrück. 

Wir fordern, 

  • dass Sie die Diskussion um die Machtstrukturen im Theater, die bereits in der Stadtgesellschaft und unter den Theatermitarbeitenden stattfindet, auf politischer Ebene kritisch weiterführen. Stadt und Kulturverwaltung tragen Verantwortung für den Kunst- und Kulturstandort Osnabrück und insbesondere das Theater als städtischen Kulturbetrieb.
  • dass Sie in der Diskussion die Perspektive der von sexualisierter Gewalt in der katholischen Kirche Betroffenen mitdenken. Sie sehen in der Absage der Produktion „Ödipus Exzellenz“ ein Fortführen der kirchlichen Vertuschungsmechanismen.
  • dass Sie sich – auch mit Blick auf die Besetzung der nächsten Intendanz – für neue Beteiligungsmöglichkeiten im Theater einsetzen. Eine Demokratisierung dieser Institution ist dringend notwendig.
  • dass Sie sich klar zu der im Grundgesetz verankerten Kunstfreiheit bekennen. Auch Sie tragen Verantwortung dafür, dass die Integrität künstlerischer Vorhaben geschützt wird, potenziell kontroversen Themen in der Öffentlichkeit Raum gegeben wird und autoritäre Gesten nicht das letzte Wort behalten.

Es gibt Handlungsbedarf. Auch hier in Osnabrück und gerade jetzt!“

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