Die Lagerhalle zeigt einen sehenswerten Dokumentarfilm über den lebenslanginnovativen Medienkünstler Nam June Paik
1987 gelang dem US-Regisseur Emile Ardolino ein Überraschungshit: Der mit kleinem Budget gedrehte Tanzfilm „Dirty Dancing“ spielte allein in den USA mehr als das Zehnfache seiner Herstellungskosten ein. Einige Monate vorher konnte man Emile Ardolino noch in New Yorker Fernsehstudios antreffen. Er inszenierte TV-Filme, Shows, Informationssendungen. Die Lagerhalle zeigt „Nam June Paik: The Moon is the Oldest TV“ am 21.10.2025 um 18 Uhr und 20:15 Uhr.
Nichts, was in der Programmgeschichte nennenswerte Spuren hinterlassen hätte. Mit einer Ausnahme: 1984 leitete Emile Ardolino die Live-Sendung „Good Morning Mr.Orwell“, die gleichzeitig in New York und Paris aufgenommen und per Satellit nach Deutschland, Kanada, Korea und in andere Länder ausgestrahlt wurde. Beteiligt waren unter anderem Peter Gabriel, Laurie Anderson, Alannah Currie von den Thompson Twins, der Tänzer Merce Cunningham, Peter Brötzmann. Keine Show der üblichen Art, sondern ein experimentelles Projekt des Medienkünstlers Nam JunePaik mit wilden Bildmontagen, Verzerrungen, Collagen.
Nam June Paik war zu diesem Zeitpunkt bereits eine Art Popstar, nicht nur innerhalb der Kunstwelt. Eine Szene des Films „Nam June Paik: The Moon is the Oldest TV“ zeigt, wie er 1996 in New York auf der Straße um ein Autogramm gebeten wird. Seine Installation „TV-Buddha“ hatte Paik 1974 berühmt gemacht. Es handelt sich um eine Buddha-Skulptur, deren Abbild von einer Videokamera auf einen Bildschirmübertragen wird. Beide Buddhas schauen einander an – Zen im elektronischen Zeitalter.
Nicht nur fand diese Installation die Aufmerksamkeit der Massenmedien, sie bescherte Nam June Paik auch erstmals nennenswerte Verkäufe. Zuvor hatte erjahrelang in bitterer Armut gelebt, sich zeitweilig nur von Corned Beef und Reisernährt. Hereinkommende Gelder investierte er in seine Kunst. Die war nicht billig zuhaben, denn Paik arbeitete mit Fernsehern und anderen Geräten, gestaltete Installationen, inszenierte Performances, baute schon damals einen Roboter, den er ferngesteuert über die Straße wanken ließ.
Paik wurde 1932 in Seoul geboren, erlebte als Kind die japanische Besetzung seines Heimatlandes, floh später mit seinen Eltern vor dem Koreakrieg nach Japan. Sein Berufsziel war Komponist. Insbesondere bewunderte er Arnold Schönberg – wegen dessen „radikaler Haltung“. Seine begonnenen Studien setzte er ab 1956 in München fort. In Deutschland lernte er John Cage und die Fluxus-Bewegung kennen und schloss sich ihr an, bildete eine Gemeinschaft mit Karlheinz Stockhausen, Bazon Brock, Yoko Ono, Dick Higgins und anderen, die heute zum Kanon der modernen Kunst zählen.
In den Aktionen vor allem John Cages spielten Radios eine größere Rolle. Paik dachte weiter, begann mit Fernsehern zu experimentieren, erwarb das nötige technische Grundwissen. Mit Magneten veränderte er das – damals noch monochrome – Bild. Seine erste größere Ausstellung fand im März 1963 in Wuppertal statt und trug den Titel „Exposition of Music – Electronic Television“. Der mit Humor gesegnete Paik zeigte dort teils interaktive Objekte mit Namen wie „Kindergarten der »Alten«“, „Freigegeben ab 18 Jahre“, „HOMMAGE à Rudolf Augstein“, „A Study of German Idiotology“. Enttäuscht von der Resonanz in Deutschland, zog es Paik nach New York, damals die Kapitale des noch jungen Fernsehens.
Während in Deutschland gerade erst das zweite Programm auf Sendung ging, gab es in den USA bereits mehrere große Networks und zahlreiche lokale Stationen. Einige davon sollten Paik neue Arbeitsfelder erschließen. Unter anderem erfand er einen Bild-Synthesizer, mit dem er das elektronische Bild schon während der Aufnahme künstlerisch verfremden konnte. Gerade erst der Anfang eines enormen Œuvres. Selbst im hohen Alter, durch einen Schlaganfallhalbseitig gelähmt, arbeitete Paik ungebrochen weiter, arbeitete mit Lasertechnik, schuf riesige Skulpturen aus gestapelten oder gehängten Fernsehern.
2006 starb er in Miami Beach. „Ich mache keine Kunst“, hat er einmal gesagt, „die Kunst macht mich.“„Nam June Paik: The Moon is the Oldest TV“ ist ein Dokumentarfilm der koreanisch-amerikanischen Regisseurin Amanda Kim, sehenswert schon allein wegender raren archivalischen Schätze, die bereits den jungen, noch völlig unbekannten Paik bei seiner künstlerischen Arbeit zeigen, ebenso Weggenossen wie Joseph Beuys, Stockhausen, die Cellistin Charlotte Moorman – die einmal wegen einer freizügigen Performance von der Polizei abgeführt wird – und andere.
Doch nicht nur Kunstinteressierte werden sich für den Film begeistern können. Als ehemalige Mitarbeiterin des Magazins „Vice“ und des zugehörigen TV-Kanals „Viceland“ kennt sich Amanda Kim mit der Popkultur auch der jüngeren Zeit bestensaus. Das zeigt sich, wenn sie Videoarbeiten Nam June Paiks mit später entstandenen Musikclips vergleicht. Ob die Talking Heads mit „Once in a Lifetime“, Prince mit „When Doves Cry“, Tocotronic mit „Pump Up the Jam“ – überall ist der Einfluss Nam June Paiks spürbar. Und auch das Konzept des Internets nahm er gedanklich und künstlerisch schon früh vorweg. Eine beeindruckende Lebensleistung. Die Lagerhalle zeigt „Nam June Paik: The Moon is the Oldest TV“ am 21.10.2025 um 18 Uhr und 20:15 Uhr in der mehrsprachigen Originalfassung mit deutschen Untertiteln. Der Eintritt kostet 6 Euro.