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Rollstuhlfahrerinnen sagen: Nur Mut!

Festivalerfahrungen von Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen

Der nächste Sommer scheint noch weit entfernt. Aber wer in 2025 eines der großen Musikfestivals besuchen möchte, muss jetzt schon planen. Das gilt besonders für Menschen mit körperlichen Beeinträchtigungen. Sie haben spezielle Bedürfnisse, was Campingplätze, Sanitäranlagen, Wegstrecken anlangt. Viele scheuen daher den Besuch eines mehrtägigen Festivals.

Steffi R. besucht gern Rockfestivals sowie große Konzertveranstaltungen. Die Vielzahl bunter Eintrittsbändchen, die ihren Unterarm schmücken, zeugt davon. Dass sie im Rollstuhl sitzt, ist für sie kein Hinderungsgrund. Und sie möchte Menschen mit ähnlichem Schicksal ermutigen, es ihr gleich zu tun.

Steffis Favorit unter den Festivals ist das viertägige „Wacken Open Air“. Seit 2014 hat sie keine Ausgabe versäumt, immer mit ihrem Ehemann Michael an ihrer Seite.

Das schleswig-holsteinische W:O.A, so die Eigenschreibweise, zählt zu den größten Heavy-Metal-Festivals weltweit. 85.000 Eintrittskarten wurden laut Veranstalterangaben für das W:O:A 2024 verkauft. In dieser Masse an Besuchern ist Steffi R. nicht die einzige Person mit einem Handicap. Sie bewohnt die „Wheels-of-Steel“-Area, zünftig benannt nach einem Song der britischen Hardrock-Band Saxon. Er bezeichnet ein eigenes Camping- und Service-Areal für Menschen mit körperlichen Einschränkungen. Diese Personengruppe wird in Wacken nicht ins einsame Abseits geschickt – bis zu vier Begleitpersonen dürfen pro Parzelle mitgebracht werden. Auch ein Osnabrücker Autokennzeichen war dort vertreten.
Die Anfänge waren bescheiden, berichtet Mona Sambale vom Trägerverein Alsterarbeit, der 2021 die Betreuung dieses Festivalbereichs übernommen hat. „Ein drei mal drei Meter großer Halbpavillon, ein bisschen Reparaturmaterial, Bereifung und eine Person. Das war 2014.“ Die gemeinnützige GmbH Alsterarbeit ist ein Unternehmen der Evangelischen Stiftung Alsterdorf.

Zug um Zug wurde das Angebot den Bedürfnissen angepasst. Über das gesamte Festivalgelände verteilt finden sich heute Sanitäranlagen, die allein Menschen mit Beeinträchtigung vorbehalten sind. Rollstuhlfahrer finden barrierefreie Toiletten vor, geeignete Zuwegungen und Rampen, Podeste, die eine gute Sicht auf die Bühnen gewähren. Im Zeltbau auf der „Wheels-of-Steel“-Area können Sauerstoffgeräte aufgefüllt, Batterien nachgeladen werden. Menschen mit Behindertenausweis erhalten ein „Kurze-Wege-Bändchen“, das ihnen die Benutzung ansonsten gesperrter Trassen und der Notausgänge erlaubt. Seit jüngerer Zeit wird vermehrt Aufmerksamkeit auf Hör- und Sehbehinderungen gerichtet. Bei einigen Konzerten übersetzt eine Dolmetscherin Texte und Moderationen in Gebärdensprache.

Alle beschriebenen Dienstleistungen sind kostenlos. Das Personal engagiert sich ehrenamtlich, der medizinische Bedarf wird von einem Sanitätshaus gestiftet, die Infrastruktur vom Veranstalter.

Mittlerweile treten jährlich 78 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter die Reise nach Wacken an. Sie arbeiten schichtweise von morgens zehn bis abends um zehn. „Meistens länger“, berichtet Dirk Geisler, der Leiter der Einrichtung augenzwinkernd, denn das Zentrum neben dem „Wheels-of-Steel“-Campingplatz ist auch ein beliebter Treffpunkt. Viele kommen zum wiederholten Male, kennen sich untereinander. Es hat sich eine kleine Gemeinschaft gebildet, eine „große Familie“, wie viele Beteiligte übereinstimmend zum Ausdruck bringen.

Die Nachfrage nach den speziellen Campingplätzen für Menschen mit Handicap ist über die Jahre stetig gewachsen. Schon Monate vor Festivalbeginn waren alle Plätze ausgebucht. Was Rollstuhlfahrerinnen und -fahrer sowie Gehbehinderte keineswegs abschreckt. Auch auf den übrigen Campingplätzen trifft man, wie überhaupt auf dem gesamten 240 Hektar großen Gelände, Personen, die auf Gehhilfen angewiesen sind, deren Sehvermögen eingeschränkt ist, die medizinische Hilfsmittel benötigen. Entscheidend dabei: Im Anlaufpunkt auf dem „Wheels-of-Steel“-Areal finden sie fachlich versierte Ansprechpartner. Hier stehen Orthopädiemechaniker, Reha- und Medizintechniker bereit. Defekte Rollstühle werden wieder mobil gemacht, Prothesen repariert oder neu angepasst. Auch bei Verletzungen, die erst im Verlauf des Festivals auftreten, kann manchmal geholfen werden, sodass die Betroffenen den Konzerten weiter beiwohnen können. Zwei Physiotherapeutinnen halten sich – nicht nur – für solche Fälle bereit.
Mit den technischen und medizinischen Dienstleistungen ist die Tätigkeit von Alsterarbeit nicht erschöpft. Die Mitarbeitenden helfen, wenn ausländische Metalheads ihren Rollstuhl nicht über Ländergrenzen transportieren können. Zehn bis fünfzehn Prozent der einschlägigen Anfragen kommen aus dem Ausland. Für solche und ähnlich gelagerte Fälle gibt es einen Bestand an Leihartikeln, auch Rollatoren und andere Gehhilfen.
Die allerdings müssen eigens gekennzeichnet sein. Potenziell gefährliche Gegenstände wie Stockschirme dürfen nicht mit auf das Gelände genommen werden. Ein gelbes Siegel verrät den Ordnern, die die Zugänge kontrollieren, dass es sich um ein genehmigtes medizinisches Hilfsmittel handelt.

Auch Andrea Schütt zählt seit Jahren als Rollstuhlnutzerin zu den regelmäßigen Festivalbesuchern. Ein Auftritt der Scorpions war einst der Auslöser, sich erstmals nach Wacken zu wagen. Seither trifft man sie alljährlich beim traditionellen Auftritt der Wacken Firefighters. In diesem Jahr standen ferner unter anderem Amon Amarth, Extrabreit, Blind Guardian auf ihrem Programm. Und die Metalband Amalgam, die sich über das inklusive Netzwerk „barner 16“ zusammengefunden hat.

Andrea engagiert sich im Rahmen von Alsterarbeit, konnte über die Jahre mit einigen Anregungen dazu beitragen, den Service für Menschen mit Beeinträchtigung zu verbessern. Als Autorin ist es ihr ein Anliegen, diese Personengruppe zur Teilhabe am kulturellen Leben zu ermutigen, auch zum Besuch von Musikfestivals wie dem „Wacken Open Air“. Es sei noch zu wenig bekannt, welche Möglichkeiten in diesem Zusammenhang offenstehen.
Andrea Schütt, Steffi R. und andere Festivalbesucher loben den Service, nicht weniger die besondere Atmosphäre in Wacken. Menschen mit Beeinträchtigungen welcher Art auch immer wird Respekt entgegengebracht. Hilfsbereitschaft und Toleranz werden groß geschrieben. Gewisse Unachtsamkeiten gibt es immer, wo viele Leute versammelt sind, in Wacken nicht minder. Aber niemand wird wegen seines Aussehens gehänselt, beleidigt, abgelehnt. Betroffene haben keine Angst, ein amputiertes Glied zu zeigen, keine Scheu, über ihre Erkrankung zu sprechen.

Michael R. bringt auf den Punkt, warum alljährlich tausende Menschen ein Wacken-Ticket ordern, obwohl das kommende Programm noch gar nicht feststeht: „Hier ist es so, wie das Leben sein sollte.“

Der Unterschied wird deutlich, sobald man das Festivalgelände verlässt, so die Andreas Erfahrung. Man gerate förmlich in eine andere Welt. Verminderte Gehfähigkeit werde mit geistiger Behinderung gleichgesetzt, Rollstuhlfahrer werden ausgegrenzt, angegiftet, angepöbelt. Eine Entschuldigung bleibt in den meisten Fällen aus.

Aber, so fügt Andrea Schütt hinzu, das Verständnis wächst. Dazu haben unter anderem die Medienberichterstattung und insbesondere die Paralympics beigetragen.

Auch andere Veranstalter sind mittlerweile sensibilisiert. Jonas Rohde von der FKP Scorpio Konzertproduktion verweist auf Anfrage auf die „Special Needs Camps“, die auf den von dem Unternehmen veranstalteten Festivals Hurricane, Southside, Highfield und M’era Luna eingerichtet wurden. In jüngster Zeit wurde ein Erfahrungsaustausch mit Alsterarbeit begonnen.

Andernorts scheint man noch nicht ganz so weit zu sein. Auch Rock am Ring wurde um Auskunft gebeten. Die lakonische Antwort des „Teams Rock am Ring“: „Herzlichen Dank für ihre Anfrage. Diese möchten wir freundlich absagen. Viele Grüße …“
Aus dem Osnabrücker Raum hat einzig Stephan Pohlmann vom Georgsmarienhütter Non-Profit-Festival „Hütte rockt“ auf die Erkundigung reagiert und ausführlich geantwortet: „Tatsächlich ist es so, dass wir so vielen Menschen wie möglich den Eintritt ermöglichen wollen und daher auch in diesem Kontext in den letzten Jahren viel gemacht haben:

  • Es stehen eine erhöhte Fläche für Rollstuhlfahrer:innen sowie ein befahrbares WC im Infield und ein befahrbares Dixi im Campingbereich zur Verfügung.
  • Es gibt gesonderte Parkplätze, bei Bedarf auch Strom, z. B. zur Kühlung von Medikamenten.
  • Ermäßigte Tickets gibt es für Menschen mit einem Schwerbehindertenausweis. Bei Vorlage eines Schwerbehindertenausweises und dem Zusatz B kann zudem je eine Begleitperson einfach mit aufs Gelände.
  • Begleithunde dürfen natürlich ebenfalls mit auf das Gelände.

(…) Generell haben wir in der Vergangenheit versucht, Hürden im Voraus abzubauen (z. B. eben beim Punkt Zutritt für die Begleitpersonen), so dass z. B. auch Menschen im Rollstuhl ohne lange Planung und Voranmeldung unser Festival besuchen können.“

Trotz allem – Festivals bleiben eine gewisse Herausforderung. Sagt auch Stephan Pohlmann: „Ein Thema ist natürlich: Was passiert bei Matsch und schlechtem Wetter? Dazu gibt es bei uns einen Notfallplan zur Befestigung von Wegen. Da das ‚Hütte Rockt‘ aber – wie ja viele Open-Air-Festivals – auf einer großen Wiese stattfindet, die den Rest des Jahres landwirtschaftlich genutzt wird, kann das nur bis zu einem gewissen Punkt garantiert werden – bei sehr starken Regenfällen kann es schon stellenweise schlammig werden.“
Wacken-Wallfahrern bleibt 2023 in unguter Erinnerung. Dauerregen machte Veranstaltern und Gästen zu schaffen, verwandelte das Gelände in ein kaum zu bezwingendes Schlammbad. „Das war richtig Arbeit“, erinnert sich Andrea Schütt. Aber es kam für sie nie in Betracht, auf das Festival zu verzichten. Auch 2025 wird sie sicherlich in Wacken zu finden sein. Erkennbar an dem Gefährt mit dem Aufnäher: „Pimp my Rolli 2012 Contest Winner“.

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