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Ukraine: Ein Jahr Krieg und kein Ende?

Zum militärischen Stand der Dinge und was für eine Art von Frieden folgen könnte

Am 24. Februar jährt sich der Tag, an dem auf Befehl von Wladimir Putin russische Truppen die Ukraine überfielen. Gegen jedes Völkerrecht, unter Missachtung der UNO, in einem einseitigen Akt der Aggression. Russland führt seitdem einen erbarmungslosen Krieg gegen das Nachbarland. Tausende sind bislang ums Leben gekommen, darunter auf Seiten der Ukraine viele Zivilisten, Kinder. Millionen Menschen sind geflohen.

Der von Putin gewünschte schnelle Erfolg, die Ukraine komplett zu erobern, ist allerdings ausgeblieben. Dem ukrainischen Militär ist es gelungen, die Gebietsverluste im Osten begrenzt zu halten und das übrige Staatsgebiet zu verteidigen Mit erfolgreichen Gegenoffensiven sind den ukrainischen Truppen mehrere begrenzte Rückeroberungen gelungen. Ohne massive Hilfe der westlichen Staatengemeinschaft (NATO, EU) wäre das nicht möglich gewesen.


Frühling der Entscheidung soll kommen

Nun spekulieren Beobachter und Experten des Kriegsgeschehena auf einen Frühling der Entscheidung. Die Russen – darauf verdichten sich Hinweise – bereiten eine Offensive in den Regionen Donezk und Luhansk vor. Sie wollen schnell zuschlagen, bevor die westlichen Panzer auf dem Schlachtfeld ankommen, die Deutschland, die USA und weitere Nato-Partner der Ukraine liefern. Aber auch die ukrainische Seite spricht von geplanten Offensiven und will sich weiter aufrüsten, um die okkupierten Gebiete zurückzuerobern – einschließlich Krim.

Wer ist im Vorteil? Immer mehr Experten glauben: Russland kann zwar den Krieg nicht mehr gewinnen, aber auch die Ukraine sei nicht stark genug, um Putins Truppen komplett aus ihrem Land zu vertreiben.

Täglich prasseln Meldung auf uns ein über den vermeintlichen Verlauf, den die Auseinandersetzung jetzt oder bald nehmen könnte. Nüchtern betrachtet muss man vieles davon als Kaffeesatzleserei bezeichnen, d.h. man kann die Nachrichten und Einschätzungen nur bedingt als verlässlich betrachten. Die Einzigen, die mehr wissen könnten, sind westliche Geheimdienste, und die werden sich – zumal in Kriegszeiten – hüten, ihre Erkenntnisse preiszugeben. Also sind sowohl die Medienmacher*innen als auch die Konsumenten*innen mehr denn je darauf angewiesen, das Berichtete kritisch zu reflektieren, um sich ein Bild zu machen.

Exemplarisch kann man das Hin und Her zur Leopard-Lieferung unter die Lupe nehmen. Von ukrainischer Regierung wurden Leopard 2-Panzer gefordert mit der Begründung, man brauche sie unbedingt für die Offensiven zur Rückeroberung. Nicht von der Hand zu weisen, dass u. a. diese Zielformulierung jemanden wie Kanzler Scholz hat zögern lassen. Nachdem die Entscheidung nun gefallen ist und die tatsächlichen Kapazitäten an Fahrzeugen überschlagen werden, stellt sich heraus, dass selbst mit diesen hochmodernen Panzern eine durchschlagende Wende an den Fronten nicht zu schaffen ist. Für Scholz sind sie auch mehr als Stärkung der Verteidigung gesehen.

Um die militärstrategischen Ziele der ukrainischen Führung erfolgreich anzugehen, bedarf es mehr: Kampf-Jets und Mittelstreckenraketen. Davon gehen die meisten aus, die die Lage aus militärischer Sicht analysieren.

Und genau dies wird nun von der Ukraine gefordert. Die Reaktionen der westlichen Unterstützer sind ambivalent. Großbritannien und die USA zeigen sich offen, dem nachzukommen, andere Verbündete sind da zurückhaltender.

Das liegt an der in NATO und EU durchaus unterschiedlichen Auffassungen über die realen Kriegsziele. Wenn deutsche Regierungsangehörige immer wieder bestätigen, dass sie die Ukraine ausstatten in allem, was sie braucht, oder betonen, die Ukraine bis zum Sieg zu unterstützen, dann fehlt diesen Bekenntnissen sehr oft eine klare Definition dessen, was das konkret bedeutet. Vermieden wird, sich ausdrücklich hinter die Aussagen Selenskyjs zu stellen: Wiederherstellung der Grenzen vom 24. Feb. 2022, Rückeroberung und Befreiung der Krim.

Eine weitere Unwägbarkeit ist die Bedrohung durch sog. taktische oder strategische Atomwaffen, die von russischer Seite in den Raum gestellt wurden.

Von westlichen Politikern wird diese Option tendenziell als wenig wahrscheinlich bewertet und dementsprechend sind auch maßgebliche Medienbeiträge dazu. Aber niemand weiß, wo die wahre rote Linie Putins gezogen ist.

(Siehe u. a.:https://os-rundschau.de/rundschau-magazin/ralph-gehrke/nuclear-messaging-der-rhetorische-umgang-mit-der-nuklearen-bedrohung/)

Der bulgarische Osteuropaexperte Ivan Krastev sieht sie mit der Krim verbunden (Stern Nr.7/23). Die Halbinsel sei das Herzstück des russischen Selbstverständnisses in Bezug auf den Ukraine-Konflikt. Wenn die Krim wieder an die Ukraine zurückfiele, wäre das gleichbedeutend mit einer Niederlage und damit dem Ende Putins. Russland wäre keine Großmacht mehr. Dazu werde Putin es nicht kommen lassen. Und einer wie Scholz weiß das.

Uns erwartet also mit hoher Wahrscheinlichkeit in den nächsten Wochen und Monaten ein ultimatives militärisches Kräftemessen zwischen einer russischen Armee, die alles in die Schlacht wirft, was sie an Menschen und Material aufbieten kann, auf der anderen Seite die ukrainischen Verteidiger, hochmotiviert und aufgerüstet mit westlichen Waffen. Beide werden ihre Maximalziele nicht aufgeben: Die Ukraine will die Ostgebiete zurück sowie die Krim und Russland die Eroberung der annektierten Regionen, die sie noch nicht eingenommen haben. Niemand kann mit Sicherheit voraussagen, wer dabei nennenswerte Gewinne erzielt. Genauso ungewiss ist, wie lange es noch andauern wird. Sicher ist allerdings, dass es weiterhin zu viele Menschenopfer kosten wird, auf beiden Seiten.

Bis zum Tag X, zu dem sowohl die russische Seite als auch die ukrainische so viel Boden wie möglich gutgemacht haben wollen um ihre Verhandlungspositionen zu stärken.


Verhandlungen, worüber?

Wenn Russland gewinnen sollte, gibt es keine Verhandlungen, sondern Diktate einer Besatzungsmacht. Sollte die Russen verlieren, wären sie raus. Folgen würden Reparationsforderungen, die ignoriert würden.

Ernsthafte Verhandlungen kommen in Betracht, wenn beide Parteien zu dem Schluss kommen, dass eine Fortführung der Kampfhandlungen nichts mehr bringt.

Nur, worüber sollte verhandelt werden? Beide Kontrahenten werden um ihre bekannten Positionen nicht feilschen. Das haben sie zur Genüge klargestellt. D.h., wenn überhaupt miteinander gesprochen wird, dann allenfalls über Konditionen und Formalitäten eines Waffenstillstands. Mehr nicht.

Zu dieser Konstellation hat Krastev ebenfalls eine interessante Perspektive entworfen, die in den kommenden Monaten spruchreif werden könnte.

Er weist darauf hin, dass die meisten Konflikte der letzten 30 Jahre nicht mit Friedensverhandlungen beigelegt wurden. Er geht davon aus, dass die Kampfhandlungen zwischen den Gegnern allmählich einfrieren und irgendwann leise aufhören, ohne dass es darüber einen offiziellen Konsens gebe. Er verweist auf das Beispiel Korea und hält es für immer wahrscheinlicher, dass es auch im Osten Europas zu einem schleichenden Ende des Krieges kommen wird.

Das sehe dann so aus, dass die aktuellen Frontverläufe zu Grenzbefestigungen ausgebaut würden. Jede Partei beharrt auf ihren maximalen Forderungen. Man steht sich feindlich und weiterhin jederzeit schussbereit gegenüber. So entsteht an der europäischen Ostgrenze ein neuer Eiserner Vorhang, der den Kontinent politisch wieder in zwei Lager teilt: Westlich-demokratische Länder mitsamt EU auf der einen Seite, die Diktatur Russland auf der anderen. Zu Jahrestagen wird man sich gegenseitig drohen und Vorwürfe machen, bekannte Forderungen erneuern.

Putin wird dies im Innern als Sieg verkaufen können, weil er ja Luhansk und Donbass zum großen Teil russifiziert hat, und natürlich die Krim als eigentliche  Trophäe feiern.

Auch die Ukraine wird nach einer Zeit der Wut und Trauer dazu übergehen, sich stolz zu zeigen, einer Großmacht die Stirn geboten zu haben. Ihre Nation wird aufgewertet als westlicher Frontsaat, die Kriegsschäden bezahlen die Verbündeten. Nicht zu vergessen: Mit dem Krieg hat die Ukraine eine der bestgerüsteten Armeen Europas aufgebaut. Aufnahme in EU und NATO wären nurmehr eine Zeitfrage. Der globale Handel wird sich Umwege suchen, wobei Geschäfte auch über dreckige Grenzen nicht ausgeschlossen sind. Die geltenden Sanktionen lassen bestimmte Geschäfte mit Russland ja auch zu. Das Ausmaß wird von der jeweiligen politischen Klimalage bestimmt sein – mal geht mehr, mal weniger.

Wie lang ein solcher Zustand halten kann, zeigt Korea. Dort leben zwei Staaten einer Nation so gegenübergestellt immerhin seit 70 Jahren. Man könnte es einen neuen Kalten Krieg nennen, mit dem Vorteil, dass endlich keine Menschen mehr sterben.

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