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Brandstifter, Rechtsradikale und Herzensmenschen: Das neue demokratische Spektrum? 

Immer noch „nichts gewusst“?

Die Stimmung auf dem Willy-Brandt-Platz ist wieder erfreulich unaufgeregt. Osnabrückerinnen und Osnabrücker sind hier zusammengekommen, um gegen die Querdenker Stellung zu beziehen, die sich im benachbarten Schlosspark versammeln, und diesmal ganz offen Nazis einladen, dabei zu sein: Rechtsradikale gehörten zum demokratischen Spektrum, deshalb sei ihre Teilnahme von jedem Befürworter der Grundrechte zu respektieren.

Auch die dort Anwesenden, die die bösen „Mainstreammedien“ nicht lesen, können ab jetzt nicht mehr behaupten, sie hätten nicht gewusst, dass sie gleich mit Nazis auf die Straße gehen. Peter zur Linde ruft es ihnen allen laut und deutlich zu. Der nächste Redner reklamiert, dass man heute für die alten Menschen auf die Straße gehe, die nach dem Krieg das Land wieder aufgebaut hätten – und von denen übrigens viele nicht mehr leben würden, wenn sie auf Menschen wie den Redner gehört und sich nicht impfen lassen hätten.

Hier das Video friedliebender Rechtsradikaler, die u. a. das Rathaus anzünden wollen

Eine Million mehr Tote, sagte Danny Altmann vom Imperial College London, einer der führenden britischen Virologen gerade im BBC, würde es inzwischen ohne die Impfungen geben, und lange Schlangen vor den Krankenhäusern – Bilder, an die man sich aus Italien und New York noch erinnert. Hinter die Menschen – Politiker, Virologen und vor allem das überlastete Personal in den Kliniken – die das verhindert haben, stellen sich die Menschen auf dem Willy-Brandt-Platz. Es gibt nur wenige, kurze Reden – wer Argumente hat, braucht keine Agitation.

Oberbürgereisterin Katharina Pötter hatte vor einer Woche betont, dass es ihr wichtig sei, bei den Impfbefürwortern Gesicht zu zeigen. Das gleiche gilt auch für den Ersten Stadtrat Wolfgang Beckermann, Stadtbaurat Otte, Bürgermeisterin Eva-Maria Westermann und etliche Vertreter der Fraktionen im Rat, die heute wieder anwesend sind. Dabei sind auch viele junge Menschen, VfL-Fans und die „Omas gegen Rechts“, die von Anfang an regelmäßig bei den Gegendemonstrationen dabei sind. Man könne Rechte nicht an ihrem Äußeren erkennen, sondern an ihren Taten und Gedanken, sagt eine von ihnen in ihrer Rede.

Die „Omas“ stehen auf dem Platz neben jungen Leuten mit einer Fahne der Antifa, der in den telegram-Kanälen der Querdenker häufig Gewaltbereitschaft zugeschrieben wird. Die Antifa-Vertreter vor Ort zeigen stattdessen Kreativität: Das System sei zwar „gemein, aber nicht geheim“, verrieten sie den Veschwörungserzählern unter den Querdenkern bei den letzten Demonstrationen auf einem großen schwarzen Plakat. Es sind hochaggressive Querdenker, die im Verlauf der Demonstration heute die Fäuste ballen, „Fick das System!“ schreien und brüllen, dass das Rathaus brennen müsse.

Gerhard Torges hat bereits Morddrohungen erhalten. Selbstverständlich mache er trotzdem weiter, sagt der Mann, der sich vor ein paar Wochen alleine 2.300 Querdenkern entgegenstellte. Viele bedanken sich dafür bei ihm. Trotz der ernsten Situation gibt es in seinem Umfeld Humor. „Corona ist eine Erkältung und die Welt ist eine Scheibe“, steht auf einem gelben Plakat. Was man unter den Impfbefürwortern nicht findet, sind Kinderwagen und Kinder mit Plakaten, die von ihren Eltern mit auf die Demonstration geschleppt werden. „Eure Kinder wollen vor allem, dass ihr euch impfen lasst!“ ruft eine Frau den Impfgegnern zu.

Es sei verständlich, dass einige unter den Querdenkern nichts von der Impfplicht hielten, schließlich habe die Schulpflicht bei ihnen ja auch nichts gebracht, tönt es aus einem Lautsprecher, als die Impfgegner am Park vorbeiziehen. Dabei behaupten Statistiken, dass zumindest ein Teil der Querdenker durchaus gebildet sei. Der Mann, der vor den Kameras ein Schild entfaltet, auf dem er die Antifa mit der Hitlerjugend gleichsetzt, hat allerdings im Geschichtsunterricht wohl eher Schiffe versenken gepielt und sollte ohne Umweg über die nächtste Demonstration noch einmal auf LOS zurückgehen. Dabei handelt es sich tatsächlich um eine bekannte Ablenkungsstrategie der Rechten: Man erinnert sich noch daran, wie Donald Trump behauptete, der Sturm auf das Kapitol, an dem sich viele bekennnende Neonazis beteiligten, sei von der „dunklen Macht“ der Antifa organisiert worden. Als Beweis sollte das Foto eines bärtigen angeblichen Antifa-Mitglieds dienen, das sich als Gründer einer Skinhead-Organisation herausstellte – nicht alle Nazis haben Glatzen. Ein Banner der Osnabrücker Rundschau warnt „Abstand halten – zur AFD“. Daran halten sich Peter zur Linde und alle, die ihm heute folgen, ganz sicher nicht.

Gerhard Torges, der Organisator der Gegendemonstration, hat die Teilnehmerinnen und Teilnehmer dazu aufgerufen, den Querdenkern und ihren Behauptungen, sie lebten in einer Diktatur, heute den Rücken zuzukehren. Eine grauhaarige ältere Dame mit dem Gesicht zum Park, wo ein unsichtbarer Trompeter Beethoven spielt, sagt, die Demonstranten gingen ihr „am Arsch vorbei“. Das gleiche bringt eine junge Frau auf einem Plakat zum Ausdruck, die sich damit gegen die nervenden Herzchen wehrt, die die Menschen mit den seriell hergestellten „Mensch bleibt Mensch“ Schildern den Impfbefürwortern ständig zuwerfen. Sie stehen nicht für Empathie mit den Opfern der Pandemie, sondern für die Zugehörigkeit zu den „Herzensmenschen“, einer Gruppe von Querdenkern um den Stuttgarter Michael Ballweg.

Die Querdenker, denen es sonst sehr wichtig ist, dass man sie beachtet, marschieren an den Gegendemonstranten heute schweigend vorbei. Sie sollten ihnen zeigen, dass es schmerze, ignoriert zu werden, hatte Peter zur Linde sie dazu aufgerufen. Tatsächlich halten sich die meisten daran. Die Impfbefürworter schmerzt aber etwas ganz anderes: Die Dummheit, die in den kruden Theorien der Verschwörungserzähler zum Ausdruck kommt. „Aluhut tut selten gut“, stellt eine Osnabrückerin auf einem selbstgemalten Plakat fest.

Auf dem Willy-Brandt-Platz ist ganz sicher neben Humor auch genug Intelligenz vorhanden. Der Träger des Osnabrücker Integrationspreises und des Bundesverdienstkreuzes, Professor Dr. Reinhold Mokrosch, ist hier der erste Redner. „Kant hätte sich impfen lassen (Kategorischer Imperativ)“ – auch dieser junge Mann hat auf jeden Fall von einer guten Schuldbildung profitiert. Die Versammlung der Impfbefürworter hier ist aber keineswegs elitär: Die Antwort auf die wildgewordenen Herzbuben unter den Impfgegnern: „Am Arsch!“ auf dem Plakat der jungen Frau neben ihm versteht wohl jeder.

 

 


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