Aus dem Flugschreiber eines Außerirdischen
Zur Jahreswende tut es gut, unsere Welt mal aus einem völlig anderen Blickwinkel zu zeigen. OR-Kollegin Kerstin Broszat machte den Anfang. Sie hat jüngst ein wenig statistisch auf Vergleiche zwischen Menschen und Schweinen verwiesen.
Sensationellerweise fiel unserer Redaktion kurz danach der Flugschreiber eines außerirdischen Wesens in die Hände. Er lag plötzlich auf einer Rasenfläche in der Bramscher Straße 77. Die Redaktion musste ihn nach dem Fund sofort mithilfe einer frisch angeschafften Software übersetzen. Offenbar kennen diese Außerirdischen meistens nur Präsens und schreiben etwas erlebnishaft. Oder ist es ein Softwarefehler? Egal. Wir veröffentlichen alles wie folgt völlig unkommentiert im Wortlaut.
Zwischenbericht 0541
Tork vom Kork kreist mit seinem Schiff gelangweilt um die Erde. Er gähnt. Die Erde ist seit Samstag sein hundertsiebzehnter bewohnter Planet. Siebenunddreißig soll er noch bis Monatsende schaffen.
Er gähnt nochmal. Wie immer muss er jeweils zwei betäubte Einheimische unterschiedlicher Spezies zu sich hoch beamen. Danach soll er die Daten der Spezies zum Heimatplaneten senden und die Hochgebeamten zurückbeamen. Noch nie waren die Hochgebeamten besonders intelligent. Zumindest gab es bisher keine, die sich gegenseitig Schaden zugefügt haben. So blöd kann ja wohl niemand sein, denkt Tork. Auf einem gemeinsamen Planeten müssen doch alle logischerweise zusammenhalten, oder?
Ohne weiter nachzudenken hat er sich jetzt auf dem Planeten einen Raum ausgesucht, den sein Anzeigesystem als „Deutschland“ bezeichnet. Wie gewohnt rauscht, piept, flimmert und vibriert es. Tork ist müde. Spannend findet er das schon lange nicht mehr.
Wie immer klappt alles langweilig perfekt. Danach liegen zwei betäubte Erdlinge präpariert auf ihren Messplatten. Tork hat mal wieder alle Sensoren zielgenau eingestellt. Links liegt schnarchend ein mit Textilien umhülltes Exemplar, das als Form der Spezies „Mensch“ auf dem Monitor erscheint. In einer Unterzeile blinkt der Name. „Clemens Tönnies“, liest Tork gähnend vom Display.
Der rechte Erdling ist völlig nackt. Er besitzt aber haargenau die gleiche Hautfarbe wie der Erdling Tönnies. Als Name wird eine merkwürdige Zahl angezeigt. Der Bordcomputer erfasst und vergleicht sofort die erhobenen Daten. Organe wie das Herz ähneln sich verblüffend. Der Rechner findet heraus, dass der zweite Erdling „Schwein“ genannt wird. Nach kurzem Daddeln sind alle wichtigen Daten der beiden Erdlinge abrufbereit. Tork drückt auf die Vorlesetaste. Die hauchende Stimme der Konservenfrau betört Tork schon lange nicht mehr.
Vortrag der Konservenfrau
Erdling Tönnies kommt zuerst dran. Die Konservenfrau wirkt dieses Mal stimmlich nüchtern:
„Von Erdlingen der Spezies Tönnies leben rund 85 Millionen im Untersuchungsraum namens Deutschland. Die Spezies bezeichnet sich selbst als intelligent. Was das ist, habe ich nicht herausbekommen. Der Erdling Tönnies wohnt in einem Großraum, den andere als Schloss bezeichnen. Er ist damit beschäftigt, Tausende andere Erdlinge damit zu beauftragen, die Erdlinge namens Schwein zu vielen Tausenden jeweils in eine Art Kastenkäfig einzusperren, in denen sich die einzelne Spezies kaum bewegen kann. Dafür wird diese Spezies permanent kalorienreich gefüttert. Weil die Spezies sich danach nicht mehr bewegen kann, wird die aufgenommene Nahrung schnell in Fett umgesetzt, was den Bewegungsraum im Kastenkäfig noch enger macht. Danach werden die Erdlinge namens Schwein in hunderttausendfacher Weise liquidiert, falls sie nicht schon vorher per Herzschlag aus dem Leben geschieden sind. Die toten Schwein-Erdlinge werden daraufhin ausgeblutet und auf hohe Haken gespießt, die sich danach Fließbändern nähern. Erdlinge der Spezies Mensch nennen das alles ‚Industrielle Fleischproduktion‘.
Sofort beginnen Erdlinge der Spezies Mensch damit, Erdlinge der Spezies Schwein zu zerschneiden, die einzelnen Leichenteile zu verpacken und in Kühlräumen zu stapeln. Andere Erdlinge der Spezies Mensch stapeln die Leichenteile der Spezies Schwein anschließend bis hoch unter der jeweiligen Decke in Fahrzeuge und liefern alles gegen ein Belohnungssystem aus. Die Kaufenden der Spezies Mensch wiederum sorgen dafür, dass Leichenteile der Spezies Schwein erhitzt und anschließend mit Hilfe von Kauwerkzeugen im Sprechorgan verzehrt werden.
Die vielen Erdlinge der Spezies Tönnies, die für ihn arbeiten, sind meist in engen Behausungen untergebracht, die ein wenig geräumiger sind als jene der Schweine-Erdlinge. Erstere müssen, nachdem sie ihre eigenen Käfige verlassen haben, dafür arbeiten, dass Tönnies nicht arbeiten muss. Die Behausung des Erdlings Tönnies ist einhundertdreiundzwanzigmal so groß wie die Behausung eines Erdlings, der für Tönnies arbeitet.“
Programmwechsel
Tork wechselt das Programm. Er ist neugierig geworden, was die Platte noch zusätzlich zum Erdling „Schwein“ sagt. Ist diese Spezies auch so merkwürdig? Bringt sie womöglich auch Millionen Exemplare der Spezies Mensch um, weil hungrige Schweine dadurch satt werden wollen? Umgehend haucht die Konservenfrau ihre Antwort raus. Tork meint dabei, eine etwas verweinte Stimme zu hören:
„Vom Erdling Schwein leben im Untersuchungsraum Deutschland über 23 Millionen. Sie gehören ebenfalls zu den intelligenten Erdlingen des Planeten. Sie erkennen sich im Spiegel, hören auf ihren Namen und schließen Freundschaften. Sie sind sozial und neugierig, sensibel und lernfähig. Ihr sehr kurzes Dasein, das oft nur ein Vierzigstel oder gar Hundertstel der Spezies Tönnies ausmacht, verleben Schweine in einem engen Kasten in stinkenden Gebäuden. Schweine werden vor ihrer Ermordung durch Weisungsgebundene der Spezies Tönnies so lange gefüttert, bis sie ihren Umfang massiv vermehrt haben, ohne sich bewegen zu können. Mutterschweinen werden ihre Kinder sofort nach der Geburt entnommen. Kinder, die einen weiteren Schwanz zwischen den Hinterbeinen haben, werden kurz nach der Geburt liquidiert und zerlegt. In sogenannten Läden auf dem Planeten Erde sind täglich Milliarden von Leichenteilen der Spezies Schwein zu finden. Es gibt allerdings Erdlinge der Spezies Mensch, die so viele Leichenteile der Spezies Schwein verspeisen, dass sie sich letzterem immer mehr ähneln.“
Vom Planeten Kork erschallt die gewohnte Stimme im Raumschiff, die den Hörenden routinemäßig zu einer Bewertung zwingt: „Wer, Tork, ist deiner Einschätzung nach das höher entwickelte Lebewesen?“
Der Gefragte ist ratlos, schluckt und schwitzt. Das Gähnen weicht hellem Entsetzen. Er schüttelt entgeistert den Kopf. Dann schaltet er hektisch und verwirrt die Antworttaste aus. Rasend schnell beamt er beide Erdlinge auf ihren Planeten zurück. Dabei vertippt sich Kork. Erdling Schwein landet in einem Schloss. Erdling Tönnies liegt irgendwann in einem stinkenden Kastenkäfig. Tork korrigiert das nicht. „Wird bestimmt nicht auffallen“, denkt er halblaut vor sich hin.
Armes Schwein
Nichts, was das Schwein beschreibt, klingt gut.
Warum verdient es diese Wut?
Schweinerei und armes Schwein.
Dreckschwein, Kampfschwein, armes Sein!
Schweinefraß und Schweinehund:
mensch flucht sich viele Münder wund.
Phrasenschwein und Schweinebande,
lebt hier ein übles Vieh im Lande?
Schweinearbeit, Schweinepest,
Schweineknödel auf dem Fest.
Schweinigel, blödes Schwein:
beim Borstenvieh klingt gar nix fein.
Schweinepriester, Schweinebacke:
Irgendwie ist alles Kacke!
Ein Tier gebärt Wortprügelei.
Irgendwie – `ne Sauerei!
Heiko Schulze
Anmerkung Kalla Wefel:
Alle Menschen sind gut, aber das nicht alleine,
denn manche sind doch nur gute Schweine …