Donnerstag, 2. Mai 2024

Gesichter meiner Stadt: Ammar Al-Saadi – von Bagdad zum VfL

Diese neue Serie bildet das multikulturelle und internationale Leben in Osnabrück und Umgebung ab. In dem vor einigen Jahren gegründeten Jugendmedienprojekt treffen Schülerinnen und Schüler auf Menschen in unserer Region, die aus verschiedenen Regionen der Welt nach Osnabrück & Umzu gekommen sind, führen Interviews und schreiben Porträts. Die Vielfalt der Region soll durch viele verschiedene Porträts hier lebender Menschen mit Migrationshintergrund gezeigt werden. Dabei geht es nicht nur um Erfolgsgeschichten, sondern auch um ganz Alltägliches. Die Osnabrücker Rundschau veröffentlicht in loser Reihenfolge Porträts, die Schülerinnen und Schüler der Ursulaschule Osnabrück im Profilkurs „Welt der Medien“ (Jahrgangsstufe 9) für GESICHTER MEINER STADT geschrieben haben.

 

Ammar Al-Saadi (Irak)
Von Bagdad zum VfL
von Mira Altenhoff

Die Herausforderung, ein Porträt über einen Menschen mit Migrationshintergrund zu schreiben, hat mich sofort begeistert und über Freunde meiner Eltern, Familie Wessels, habe ich den Kontakt zu Ammar Al-Saadi bekommen, der sofort bereit ist, mit mir zu sprechen.

Es ist November 2021 und ich treffe mich mit Ammar bei mir zu Hause. Das Gespräch findet an unserem Küchentisch statt. Meine Mutter ist auch dabei, da Ammar sie darum gebeten hatte. Erst ein paar Tage später, in einem Gespräch mit meiner Mutter, verstehe ich warum. Es sind die ersten kulturellen Unterschiede, die mir dabei ganz bewusst werden. Für ihn und in der irakischen Kultur gehört es sich nicht, als erwachsener Mann mit einem minderjährigen Mädchen alleine in einem Raum zu sein.

Ich lerne Ammar, 31 Jahre alt, langsam kennen. Er ist Fußballtrainer für die Jugendmannschaften beim VfL Osnabrück und OTB. Er lebt seit 2015 in Deutschland. Seine Muttersprache ist Arabisch, aber er spricht neben Deutsch auch noch Türkisch und Englisch. Er ist sehr höflich und hat viele Unterlagen und Fotos von sich dabei. Das hilft mir sehr, alles besser zu verstehen und zeitlich einzuordnen.

Ich habe einige Fragen vorbereitet: Woher kommt Ammar und warum musste er seine Heimat verlassen? Auf welchem Weg ist er geflüchtet? Das Gespräch mit ihm geht aber zunächst in eine andere Richtung. Ammar berichtet von der Gegenwart, seinen Eindrücken und Erfahrungen hier in Deutschland. Ich verwerfe meine Vorbereitungen also zum Teil und lasse mich von Ammar und seiner Geschichte inspirieren. Später kann ich ihm per E-Mail noch einige Fragen zur Vergangenheit stellen und bekomme hilfreiche Antworten.

Ammar kommt aus der Stadt Bagdad im Irak. Von Osnabrück ist die irakische Hauptstadt etwa 4600 Kilometer entfernt, mit dem Flugzeug wäre man etwa acht Stunden unterwegs. Die politische Lage ist schwierig und in den letzten 30 Jahren gab es immer wieder Kriege im Land.

Ammar wuchs in guten Verhältnissen auf und hatte eine sehr schöne Kindheit im Irak. Er lebte zusammen mit fünf Geschwistern bei seinen Eltern und bekam eine gute Schulbildung. Schon früh hat sich Ammar für den Fußball begeistert. Er hatte sehr viel Talent und spielte schon ab seinem 14. Lebensjahr in den Jugendnationalmannschaften vom Irak. Bereits mit 15 Jahren hat er dann auch in der ersten irakischen Profiliga gespielt und wurde in seiner Erfolgszeit von den vier besten Vereinen unter Vertrag genommen, wie z.B. von „Al Shorta“. Als Stürmer ist er mehrfach als Torschützenkönig und bester junger Spieler ausgezeichnet worden.

Ammar hatte ein erfolgreiches Leben ohne finanzielle Sorgen im Irak. Seine Familie und seine Freunde haben ihn immer unterstützt und waren sehr stolz auf ihn. Und trotzdem gab es diesen einen Tag, den 1. September 2013, an dem Ammar seine Heimat plötzlich verlassen musste. Ammar beschreibt es so: „Mir passierte ein Unfall und ich wurde unter Druck gesetzt. Ich war gezwungen, den Irak sofort zu verlassen. Ich hatte keine Zeit, nachzudenken, ich musste alles zurücklassen und ich konnte mich nicht von meiner Familie verabschieden. Ich hatte nur einen Tag Zeit und ich habe als Fluchtziel die Türkei gewählt. Erst sieben Tage später, nach meiner Ankunft in der Türkei, konnte ich meine Eltern informieren, wo ich war.“ Ich spüre, dass er diese Flucht und seine Gründe nicht genauer beschreiben möchte. Er blieb zwei Jahre in einem Flüchtlingslager in Istanbul. Schon hier arbeitete er ehrenamtlich als Fußballtrainer für Flüchtlinge.

In der Türkei wollte Ammar aber nicht bleiben. Er hatte Ziele und er möchte in einer europäischen Profiliga Fußball spielen. Seine Flucht führt ihn dann im August 2015 in ein DRK- Auffanglager in Bückeburg, in der Nähe von Minden in Niedersachsen. Nach drei Monaten in der Flüchtlingsunterkunft wurde Ammar von einer Familie mit zwei Kindern aufgenommen und konnte dort ein Jahr lang leben. Er beginnt, Deutsch zu lernen, und engagiert sich während seiner Zeit in Bückeburg ehrenamtlich beim Deutschen Roten Kreuz. Er möchte etwas zurückgeben, da ihm bei der Ankunft in Deutschland so viel geholfen wurde. Dafür hat Ammar sogar eine Auszeichnung bekommen.

Seine Gastfamilie, zu der er noch heute Kontakt hat, zieht 2016 nach Neuseeland und Ammar muss sich nun um eine eigene Wohnung kümmern. Er verfolgt immer noch sein Ziel, wieder als Fußballspieler Erfolg zu haben. In Niedersachsen findet er die Vereine Hannover 96 und den VfL Osnabrück für einen Neustart interessant. Da die Stadt Hannover für ihn aber zu groß und unübersichtlich ist, entscheidet er sich für Osnabrück. Die Wohnungssuche war nicht einfach und über drei Monate fuhr er immer wieder mit der Bahn von Bückeburg nach Osnabrück, um eine Wohnung zu finden. Nach langer Suche hat er dann einen hilfsbereiten türkischen Mann kennengelernt, der ihm eine Wohnung angeboten hat. Der erste Ansatz für einen Neustart in Osnabrück.

Im weiteren Gespräch verstehe ich langsam, warum dieser Neustart so schwer war und auch immer noch ist. Es gibt so viele Hürden: Sprache, Kultur, Verständnis, Behörden. Und vor allem: Ammar musste bei Null anfangen. Er hat alles zurückgelassen. Nicht nur seinen Beruf und sein Hab und Gut, sondern auch seine sozialen Kontakte, seine Familie und seine Freunde. Alle sind weit weg und können ihm nicht helfen. Ich frage mich, während er erzählt, wie es mir wohl gehen würde, wenn ich auf einmal in einem fremden Land bin, die Sprache nicht verstehe, die Kultur nicht kenne, immer auf Hilfe angewiesen bin. Keine Fehler machen darf. Niemanden kenne.

Ammar ist in Osnabrück kein Spieler beim VfL Osnabrück geworden. Der Weg hatte zu viele Hindernisse. Wie bewirbt man sich ohne einen Spielervermittler und mit nur wenigen Deutschkenntnissen? Persönlich darf er nicht vorsprechen. Stattdessen soll er eine E-Mail mit Bewerbungsunterlagen schicken. Aber wie schreibt man auf Deutsch eine E-Mail? Wen spricht man an? Wie schreibt man einen Lebenslauf? Wer kann einem dabei helfen? Am Ende hat er keine E-Mail abgesendet.

Aber Ammar will nicht aufgeben und sucht sich neue Ziele. Er möchte Fußballtrainer werden. Er erkennt, dass dafür vor allem die Sprache und das Verständnis für die deutsche Kultur sehr wichtig sind. Er habe für diese Bildungschance hart kämpfen und sich gegen viel Ablehnung in den Ämtern wehren müssen.  In unserem Gespräch erzählt Ammar jetzt immer wieder mit viel Begeisterung von seiner Arbeit als Jugendfußballtrainer beim VfL und OTB hier in Osnabrück. Mittlerweile hat er es nämlich schon weit mit seinen Zielen geschafft: Er ist als Trainer tätig und hat dafür die C-Lizenz vom Deutschen Fußball-Bund erlangt.

Diesen Weg zurück auf den Fußballplatz hat Ammar vor allem mit Hilfe von Stefan Wessels, einem ehemaligen Profifußballspieler, der nun als Trainer arbeitet, geschafft. Durch einen glücklichen Zufall hat er im Frühjahr 2018 über eine andere Person Kontakt zu Stefan aufnehmen können. Stefan hat ihn direkt ernstgenommen und ihm ein Praktikum beim OTB angeboten. Hier konnte er schnell selbst Erfahrungen sammeln, aber auch sein Können und seine Ideen mit den Kindern teilen. Die Kinder dort, ganz entgegen seinen Ängsten, hatten ihm gegenüber keine Vorurteile. Ganz im Gegenteil: Es ging einzig und allein um Fußball und die Kinder haben sich über seinen Einsatz gefreut. Ganz besonders ein Sohn von Stefan Wessels, Jonas, hat ihn mit seiner Freude am Fußball berührt. Für Ammar ein Schlüsselmoment. Er ist sich ganz sicher, dass er diesen Trainer-Weg weiter gehen möchte. Ammar konnte nicht nur die Kinder, sondern auch den OTB überzeugen und hat noch im Sommer desselben Jahres seine erste Co-Trainerstelle bekommen.

Immer wieder betont Ammar, wie wichtig ihm die Familie Wessels ist. Er sagt selber: „Stefan und seine Familie hat mir Gott geschenkt.“ Er ist voller Dankbarkeit für die Unterstützung, welche er erfahren hat und immer noch bekommt. Er ist immer willkommen, Frau Wessels übt wöchentlich mit ihm Deutsch und – noch viel wichtiger – er lernt mit ihr, die deutsche Kultur zu verstehen. Ammar ist Stefan Wessels nicht nur dankbar für seine Hilfe, sondern Stefan ist für ihn auch ein großes Vorbild und er spricht über ihn und seine Arbeit mit großer Bewunderung. Immer wieder tauscht er sich mit ihm über die Trainertätigkeit aus und er ist stolz auf die gemeinsame Arbeit mit ihm. Die Hilfestellungen bringen ihn weiter voran, niemals demotivieren sie ihn.

Zum Abschluss unseres Treffens betont Ammar noch einmal, wie glücklich er hier in Deutschland ist und dass er hier fern von seinen Familienmitgliedern, die alle noch im Irak leben, ein neues Zuhause, Freunde und Unterstützer gefunden hat. Vor allem ist es die Arbeit mit den Kindern und Jugendlichen, die ihn täglich motiviert und ihm große Freude bereitet. Er erfährt viel Anerkennung von ihnen und lernt viel mit und von den Kindern.

Ammar hat zwar die schlimme Erfahrung von Bedrohung machen müssen, welche ihn zur Flucht aus seiner Heimat getrieben hat. Trotzdem gab und gibt es immer Menschen auf seinem Weg, die ihn bestärken und an ihn glauben. Vor allem hat er gelernt, an sich selbst zu glauben. Es ist für ihn ein großes Glück, jetzt in einem Land zu leben, welches ihm die Freiheit für eigene Entscheidungen gibt. Und diese Erfahrungen sind auch immer Teil seiner Arbeit als Trainer. Er möchte die jungen Fußballer ermutigen, über den Fußballplatz hinaus an sich zu glauben, voneinander zu lernen und respektvoll miteinander umzugehen. Eine Niederlage ist nie ein Misserfolg, sondern eine Chance sich zu verbessern.

Ammar guckt immer nach vorne. Sein Ziel, nicht sein Traum, ist es, Trainer der deutschen Nationalmannschaft zu werden.

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