„Parolen aus dem Koffer“ – eine spannende Ausstellung von Manfred Blieffert zum Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit

„Parolen aus dem Koffer“
so lautet der Titel der Ausstellung, die der Osnabrücker Künstler Manfred Blieffert jetzt im Augustaschacht vorstellte 

Ob er einen Koffer bauen könne, mit dem man heimlich Parolen stempeln könnte, wurde der Künstler vor etwa einem Jahr von Mitgliedern von ILEX gefragt, eine Gruppe von unabhängigen OsnabrückerInnen, die sich auf die Spuren des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Osnabrück begeben hat.

Ein Mitglied der Gruppe konnte sich noch lebhaft daran erinnern, wie Ludwig Landwehr, einer der führenden Köpfe des politischen Widerstands in Osnabrück, von einem solchen Koffer erzählt hatte.

Blieffert fand das Thema spannend, und nahm die Herausforderung an. Als Künstler, der sich mit einer mobilen Druckwerkstatt häufig politisch engagiert, verstand er, welchen Schwierigkeiten Menschen im Widerstand gegenüber standen, wenn sie versuchten, mit dem gedruckten oder mittels des Koffers gestempelten Wort Kritik an der menschenverachtenden Politik der Nationalsozialisten zu verbreiten. Das Drucken, so Blieffert, war immer schon ein Dorn im Auge der Obrigkeit, weil dadurch widersprechende Meinungen verbreitet werden können.

Blieffert kennt sich nicht nur mit Drucksachen aus, sondern als politisch engagierter Künstler, der mit seiner Kunst zu aktuellen Themen Stellung nimmt, auch mit den Kontroversen, die sie auslösen können. Flugblätter und politische Parolen heimlich zu verbreiten, war allerdings neu für ihn. In einem Regime wie dem Nationalsozialismus war das aber nicht anders möglich, und nur unter hohem persönlichen Risiko, so Michael Gander, Geschäftsführer der Gedenkstätten Gestapokeller und Augustaschacht. Heimlich und mit raffinierten Mitteln wie einer Flugblattabwurfvorrichtung seien die Nachrichten darum verbreitet worden.

Offener Protest kam nicht in Frage, weil er die sofortige Festnahme zur Folge gehabt hätte, denn ein Recht auf eine abweichende Meinung gab es ab 1933 nicht mehr.

So wurden verschiedene Methoden entwickelt, um Flugblätter zu verbreiten, ohne dass man dabei erwischt wurde. Einige wenige überlieferte Lebenserinnerungen und die fortlaufenden Forschungen der ILEX Gruppe in verschiedenen Archiven und der erhaltenen Gestapokartei lieferten das Material für Manfred Bliefferts künstlerische Auseinandersetzung mit dem Thema.

Es blieb nicht beim Koffer. Eine von Blieffert nachgebaute Flugblattabwurfvorrichtung verschaffte den Verbreitern ausreichend Zeit, sich in Sicherheit zu bringen. Wie sie funktionierte, kann man ab Sonntag in der Ausstellung herausfinden. Wie groß die Gefahr war, erwischt zu werden, spürte Blieffert hautnah, als er mit dem Stempelkoffer oder Farbe und Pinsel unterwegs war, um seine Botschaften zu verbreiten. Schließlich fanden alle Aktionen während der NS-Zeit in einem gnadenlosen Überwachungsstaat und unter Beobachtung misstrauischer NachbarInnen statt. Die Gestapo hatte überall Zuträger, Spitzelei war weit verbreitet. So konnte man in Lebensgefahr geraten, weil der Nachbar sich fragte, warum man mit einen Koffer das Haus verließ, aber schon nach ein paar Stunden wieder zurückkam.

Bei Bliefferts Aktionen wurde sinnlich erfahrbar, wie risikoreich der Widerstand war, den die meisten, die ihn wagten, mit langen Zuchthaus- oder sogar KZ-Aufenthalten, nicht wenige auch mit ihrem Leben bezahlten. Allein unter den Kommunisten und Sozialdemokraten, die in Osnabrück politischen Widerstand leisteten, sind mindestens vierzehn Todesopfer zu verzeichnen.

Anders als die von den Widerständlern  damals verwendete Mennige, die sich lange hielt, sollte die von Blieffert verwendete Farbe auch noch umweltfreundlich sein, weshalb er ein eigenes Rezept entwickelte.

Nach einiger Zeit sollen die Namen an öffentliche Orten wieder verschwinden – eine Anspielung darauf, dass der Widerstand und viele seiner Protagonisten bis zu den Forschungen der ILEX-Gruppe aus der öffentlichen Wahrnehmung in der Stadt verschwunden waren, während die gesamte  Aufmerksamkeit sich jahrelang auf die Tätigkeit eines Osnabrücker Anwalts in den Niederlanden richtete.
Dabei stieß die Gruppe sogar auf die bisher unbekannte Tatsache, dass es in Osnabrück eine Untergrundbewegung gegeben hatte. Ihr Leiter: Josef Burgdorf, genannt „Ilex“, bis 1933 Redakteur der Sozialdemokratischen „Freien Presse“, der der Gruppe der ForscherInnen den Namen gab.

Anstelle politischer Parolen hinterließ Manfred Blieffert die Namen von Personen, die Widerstand geleistet haben und die Frage danach, wer diese Menschen waren. Als Antwort auf Fragen wie „Wer war Henry Brandt?“ brachte er in der Nähe Informationen an, die diese Frage beantworteten.

Die Ausstellung zeigt, wie Manfred Blieffert die einfallsreichen Methoden von damals, die der ILEX-Kreis recherchierte und ihm während der Forschungen laufend berichtete, nachgebaut und selber ausprobiert hat, ebenso heimlich und oft im Schutz der Dunkelheit wie vor 90 Jahren. Auf ein Dach gestiegen, um darauf „Nieder mit Hitler“ zu malen wie Fritz Bringmann es 1933 tat, ist er zwar nicht, dafür aber auf das Gerüst der Villa Schlikker, in deren Keller seinerzeit Josef Burgdorf misshandelt wurde – ein symbolischer Akt auch im Hinblick auf die umstrittene Ehrung Hans Calmeyers durch die inzwischen aufgegebene Umbenennung des Hauses.

Die praktische Ausführung der Aktionen war – auch in der heutigen Zeit – nicht leicht. Für die Luftballons, die Flugblätter aus den Niederlanden über die Grenze nach Deutschland tragen sollten, muste nicht nur ein Sponsor für das Gas gefunden werden, sondern auch die Windrichtung stimmen und Westwind wehen. Die enge Verbindung des Widerstands in der Region Osnabrück mit Niederländern während der NS-Zeit ist Blieffert und dem ILEX-Kreis, auch in Bezug auf die Euregio-Region, so wichtig, dass sie für diese Aktion extra über die Grenze ins Nachbarland gefahren sind –  Verbindungen, wie sie durch die Gedenkstätte Augustaschacht seit langem intensiv gepflegt werden.

Seine künstlerischen Interventionen und die praktische Ausführung hat Blieffert in einem künstlerisch gestalteten Projekttagebuch (zum Preis von 5 Euro in der Ausstellung zu erwerben) und einem Film dokumentiert, der in der Ausstellung, und auch bei YouTube zu sehen ist.

Die Forschungen der ILEX-Gruppe sind vorläufig, sie will die Liste mit über 109 Namen von Personen ausdrücklich als Aufforderung zu weiteren wissenschaftlichen Forschungen verstanden wissen. Wie spannend diese Forschungsergebnisse sein Können, zeigt ein im Rahmen der Ausstellung erscheinendes Buch mit 36 Biographien, die die Mitglieder des ILEX-Kreises näher erforscht haben und die die vielen Facetten von Widerstand und Widerständigkeit zeigen, die trotz aller Überwachung im NS-Staat möglich waren.

Die Eröffnung der Ausstellung „Parolen aus dem Koffer – Auf den Spuren des Widerstands gegen den Nationalsozialismus in Osnabrück“ findet am Sonntag, den 10. September 2023, um 11 Uhr in der Gedenkstätte Augustaschacht, Zur Hüggelschlucht 4, in Hasbergen statt.

Begleitende Veranstaltungen, zu denen u.a. eine Radtour auf den Spuren des Widerstands in Osnabrück gehört, werden auf der Website der Gedenkstätte und der Internetseite  https://parolen-aus-dem-koffer.jimdosite.com bekanntgegeben.

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