Donnerstag, 28. März 2024

Sport als Propaganda-Show: Eigentlich ein alter Hut …

Zeitreise: Fußball-WM in Italien anno 1934

Vergleiche sind immer problematisch. Auch dieser scheint gewagt: Kann man 100 Jahre faschistische Machtergreifung in Italien und die aktuelle WM in Katar miteinander spiegeln? Beide Ereignisse scheinen auf den ersten Blick absolut nichts miteinander zu tun zu haben. Und das zweifellos diktatorisch regierte Katar lupenrein faschistisch zu nennen, wäre trotz aller Kritik natürlich etwas gewagt. Gewagt, weil es die einmalige Bestialität italienischer wie deutscher Faschisten verharmlosen würde.

Dennoch: Es gibt durchaus ein Bindeglied mit markanten Parallelen! Die Fußball-Weltmeisterschaft anno 1934 war nämlich, ebenso wie die jetzige im Wüstenstaat, ein lupenreines, teuer finanziertes Propagandaspektakel, bei der ein Staat und sein System als Marketingprodukt verkauft wurden, um weltweit aufflammende Kritik auf ein Minimum einzudampfen.


Die Welt von 1934

Verlassen wir zunächst die zunächst plump anmutende Vergleichsebene. Wagen wir stattdessen eine Zeitreise ins Jahr 1934. Der Faschismus ist in diesem Jahr noch nicht tonangebend in der US-amerikanisch und europäisch geprägten Welt. Aber immerhin: Italien ist seit 1922 ein Staat, in dem Demokratie, Meinungsfreiheit, unabhängige Gerichte und freie Presse brutal zerstörte Relikte der Vergangenheit sind. Das Deutsche Reich ist dem italienischen Beispiel seit 1933 gefolgt und betrachtet den italienischen Faschismus mit seinem Diktator Mussolini ganz offen als Vorbild. Selbst Österreich ist seit Februar 1934 ein klerikal anmutender Faschismus unter christlich-sozialen Diktatoren. Die USA, Großbritannien, Frankreich, Spanien, Benelux-Staaten und Skandinavien sind jedoch noch offiziell demokratischen Ideen verpflichtet. Regierungsparteien verschmähen die Diktaturen mit ihren Verbrechen und zweifelhaften Ritualen.

Image-Werbung ist angesagt. Vor allem Italiens Diktator Mussolini ist es, der als erster vor aller Welt um Ansehen für sich und sein System buhlen will, indem er vor der Welt ein Großereignis präsentieren will. Was in Italien zu jener Zeit geschieht, hat jüngst unser Redaktionsmitglied Rolf Wortmann eindrucksvoll dargestellt: https://os-rundschau.de/rundschau-magazin/rolf-wortmann/vor-hundert-jahren-erfolgte-in-italien-die-machtergreifung-der-faschisten/

Mussolini wird mit seinem Buhlen um das weltweite Fußballereignis Erfolg haben: Die Endrunde der Fußball-Weltmeisterschaft 1934, der „Campionato Mondiale Di Calcio“, darf aufgrund geschickter Manöver vom 27. Mai bis zum 10. Juni 1934 tatsächlich in Italien stattfinden.

Vorausgegangen ist ein Bewerbungswettlauf, der in der Tat durchaus konkrete Verweise auf die Katar-Entscheidung zulassen dürfte.
 

Perfekte Vorarbeit und gigantische Bauvorhaben

Alles beginnt mit einem Rückblick. Mussolini und seine Kumpanen wurmt noch unvermindert das Geplänkel der Endzwanziger um die weltweit erste WM, die 1930 an Uruguay gefallen war – deren Elf dann auch den Titel gewann. Italien hatte sich schon damals ausgiebig um die Austragung der WM bemüht, musste aber mangels begüterter Mäzene gegenüber Uruguay den Kürzeren ziehen. Jetzt aber soll alles anders laufen! Geld und geschickt genutzte Kontakte bringen Mussolini schließlich in die Erfolgsspur.

Nahezu alles wird nun vom „Duce“ und seinen Zuträgern perfekt eingeleitet: Den Zuschlag zur Ausrichtung der publikumswirksamen WM erhält Italien am 14. Dezember 1932 in Zürich. Benito Mussolini, der sich 1925 endgültig zum Diktator Italiens aufgeschwungen hat, ist gewaltig aus der Tasche gekommen. Er stellt das notwendige Kleingeld für eindrucksvolle acht nagelneue oder massiv erweiterte Stadien zur Verfügung. Errichtet werden diese mit kostengünstigen Bauarbeitern, die mies entlohnt werden und ohne gewerkschaftliche Rechte sind. Allen Arbeitern werden überdies die Löhne gekürzt, ohne dass sie sich dagegen wehren können. 1934 stehen die imposanten Bauwerke in Bologna, Florenz, Genua, Mailand, Neapel, Rom, Triest und Turin. Es sind Stadien, die damals weltweit ihren Vergleich suchen. Alles soll international Furore machen: Bei der WM-Premiere 1930 in Uruguay war noch allein in der Hauptstadt Montevideo gespielt worden.

Mit seinen Muster-Stadien gaukelt Mussolini der Welt ein starkes Italien vor, das sogar an das untergegangene Imperium Romanum anknüpfen will. „Panem et circenses“ (Brot und Spiele) hatten schon damals die von Mussolini angehimmelten römischen Kaiser ihr erfolgreiches Motto genannt, um ihre Macht auch in Gestalt populärer Großereignisse auszubauen.

Eile tut für Mussolini allerdings not. Die Lira befindet sich in Wahrheit längst im inflationären Sinkflug. Mussolini denkt aus all diesen Gründen doppelt eigennützig: Neue Arenen können nicht nur Spielstätten wie im angebeteten Römischen Reich die Amphitheater sein. Sie können zugleich vortrefflich als perfekte Kulisse zur Selbstinszenierung und faschistische Propagandashows genutzt werden.

Der Duce weiß es verlässlich: Wo immer er unter Massenpublikum auftaucht, sorgen seine schwarz uniformierten Schlägertruppen für gigantisch inszenierte Jubelstürme. Überdies will der Diktator bei der WM sichergehen. Er hat seinen glühenden Anhänger Giovanni Mauro an die Spitze des italienischen Fußballverbandes gestellt. Der ideale Verbindungsmann zwischen Verband, FIFA und faschistischer Partei ist Giorgio Vaccaro, zugleich der General einer faschistischen Miliz.

Der Clou des Duce gelingt bereits vor dem Anpfiff des ersten Spiels. Konservative, Liberale wie christlich ausgerichtete Demokraten zeigen sich in etlichen Staaten tolerant bis freundlich gegenüber dem massiv in Szene gesetzten Mussolini-Spektakel. Zwei Jahre später, anlässlich der Olympischen Spiele im nationalsozialistisch regierten Berlin, wird sich diese freundliche Toleranz noch verhängnisvoller wiederholen. Die freundlichen Reaktionen sind überdies in beiden Fällen von der Hoffnung getragen, dass sich in beiden Diktaturen Besserungen einstellen.
 

Gegenturnier in Paris

Protest gegen Katar zeigt sich heutzutage vor allem durch Nichtgucken und politische Erklärungen. 1934 besitzen Kritisierende die Kraft zu einer politischen wie sportlichen Alternative. Sozialdemokratische, sozialistische und kommunistische Parteien in den meisten bürgerlichen Demokratien durchschauen das Propagandamanöver der italienischen Schwarzhemden. Dabei bleibt es nicht bei Protestnoten und Ankündigungen. Noch in den Vorjahren haben sich die Mitgliedsvereine der Sozialistische Arbeiter-Sport-Internationale (SASI) und der Rote Sportinternationale (RSI) heftig bekämpft. Angesichts der international fühlbaren faschistischen Bedrohung rückten sie nun aber eng zusammen und betonen ihre Einheitsfront gegen den drohenden internationalen Faschismus.

Als erste große Veranstaltung, an der sich Sozialdemokraten wie Kommunisten beteiligen, findet im August 1934 im Pariser Stade Pershing ein mehrtägiges internationales Arbeitersportlertreffen statt. Gut 10.000 Zuschauende und Teilnehmende aus zahlreichen Staaten sind dabei. Im Rahmen des Treffens findet – im direkten Kontrast zur italienischen WM – ein als „Arbeiterfußball-Weltmeisterschaft“ deklariertes Turnier statt. Es begreift sich offen und mutig als Gegenveranstaltung zur WM in Italien. Dass dieses Turnier am Ende von der sowjetischen Mannschaft gewonnen wird, die im Endspiel Norwegen besiegt, gilt als zweitrangig. Im Mittelpunkt stehen Freude an Bewegung und Spiel, Solidarität und Völkerfreundschaft, naturgemäß auch die Warnung vor Krieg und Faschismus.


Das Turnier: Farce des „Fair Play“

Bei allen gemeinsam anmutenden Hintergründen der italienischen und der katarischen WM: Mindestens ein Ablauf von Ereignissen dürfte unvergleichbar bleiben. Deshalb seien sie hier nur skizzenhaft angedeutet.

Mussolini und seine Vasallen setzen von Beginn an alles daran, dass der WM-Sieger allein Italien heißen darf. Alles ist überschaubar. Die WM wird nur im K.o.-System ausgetragen. Den ersten Skandalakt bildet das Viertelfinale, das Italien gegen Spanien bestreitet. Die Italiener hatten den iberischen Rivalen schon bei der WM-Vergabe ausgebootet. Nach einem 1:1 nach Verlängerung wird nur einen Tag später ein Wiederholungsspiel angesetzt. Spaniens Torwart Nogués wird beim entscheidenden 1:0 für Italien gleich von mehreren Spielern behindert – Italiens legendärer Stürmer Giuseppe Meazza stützt sich gar auf den Keeper auf. Kopfschüttelnd nehmen Unbeteiligte zur Kenntnis, dass der Schweizer Schiedsrichter René Mercet dieses Tor gibt. Dies wiederum toppt er noch, indem er den Spaniern, die aufgrund von Verletzungen nur noch sieben Spieler auf dem Feld haben, in der zweiten Halbzeit zwei reguläre Tore verweigert.

Vor dem Halbfinale geht Mussolini dann weiter systematisch auf Nummer sicher: Einen Tag zuvor lädt er den schwedischen Schiedsrichter Ivan Eklind, den Schweizer Mercet und den belgische Schiedsrichter Louis Baert als prächtig bewirtete Ehrengäste eines Banketts zu sich ein. Dabei scheint vor allem für die Schiris weit mehr herausgesprungen zu sein als leckeres Essen. Im Spiel lässt Eklind es deshalb zu, dass Österreichs Star-Spieler Sindelar, von Italienern übel ohne Sanktion gefoult, krankenhausreif vom Platz getragen werden muss. Meazza und drei weitere Italiener bugsieren später den Ball mitsamt dem österreichischen Torhüter Peter Platzer über die Linie. Eine Flanke auf den völlig freistehenden Österreicher Karl Zischek köpft der Referee höchstpersönlich unter johlendem Publikum aus der Gefahrenzone.

Im so erreichten Endspiel gegen die Tschechoslowakei verweigert Eklind den Tschechoslowaken mehrere klare Elfmeter. Italien gewinnt am Ende mit 2:1 in der Verlängerung. Randbemerkung: Deutschland schlägt Österreich 3:2 im Spiel um Platz 3. Die Duce-WM ist jedenfalls gerettet. Die vor allem durch Brutalität und ungeahndete üble Fouls aufgefallene Azzuri-Mannschaft besteht fortan aus verehrten Nationalhelden. Alle passen vorzüglich zum faschistischen Vorzeigestaat Mussolinis.

Ganz erfolgreich bleiben die italienischen Faschisten jedoch nicht. Die hohen Eintrittspreise und der parallel laufende Giro d’Italia führen dazu, dass die Bevölkerung dem Geschehen weit überschaubarer folgt, als sich dies der „Duce“ eigentlich gewünscht hat. Die deutschen Nazis werden dies bei ihrer Propaganda-Olympiade zwei Jahre später effektiver machen.

Und die Verbesserungen, die sich wohlmeinende demokratische Beobachter sowohl in Deutschland wie in Italien erhofften? Spätestens Weltkrieg und Holocaust sollten klar gemacht haben, dass man 1934 wie 1936 blanken Illusionen aufgesessen war.

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