„Der Dicke“ und seine Riesen
Quakenbrück, Bramsche und Osnabrück – Basketball wurde und wird in unserer Region großgeschrieben. Derzeit spielen die Osnabrück Panthers in der Bundesliga. Panthers-Spielerinnen werden in Nationalmannschaften berufen. Unvergessen ist die Deutsche Meisterschaft des VfL Osnabrück im Jahr 1969. Und dann gab es da noch die Giants – das turbulente Projekt eines sehr reichen Mannes.
Einmal jubeln sie Norbert Meyer zu, als sei er ein ganz Großer. Einer von den Giants, die sie alle sehen wollen und die in den nächsten Jahren durch sämtliche Ligen bis hoch in die Bundesliga durchmarschieren werden. Meyer war damals kein Giant, sondern lediglich ein Spieler der zweiten Herrenmannschaft von Eintracht Rulle in der Bezirksliga.
Die Ruller traten am Abend des 12. November 1977 gegen die Basketballer des TV Bissendorf-Holte an, aus denen später die Giants Osnabrück wurden. Schon damals spielten beim TVB Topspieler, die der Osnabrücker Mäzen Peter Perwas mit viel Geld, das er als Versicherungsverkäufer verdient hatte, köderte. Denn der bullige Perwas hatte eine Vision: Osnabrück sollte Deutschlands Basketballhochburg werden. Er wollte es allen beweisen.
Stunden vor dem Spiel in Bissendorf saß Norbert Meyer noch im Dortmunder Westfalenstadion. Der BVB spielte gegen den HSV, der den britischen Starspieler Kevin Keegan zu Beginn der Saison unter Vertrag genommen hatte. „Den wollte ich unbedingt sehen“, erinnert sich Meyer. Deswegen hatte er seinem Basketballtrainer gesagt, dass er für das Spiel in Bissendorf nicht auf ihn zählen solle, er aber nachkommen könne. Der BVB gewinnt vor 44.300 Zuschauern mit 2:1, Keegan sieht die einzige gelbe Karte des Spiels und Meyer fährt mit gepackter Sporttasche nach Bissendorf.
Am frühen Abend ist dort die Halle gerammelt voll. Perwas‘ Truppe ist damals schon eine Attraktion. Doch das Spiel steht auf der Kippe. Aus Rulle sind nur vier Spieler angereist. Fünf müssen es mindestens sein. Dann kommt Norbert Meyer, schlüpft in sein Ruller Trikot und wird gefeiert. Denn die Show, die sie alle sehen wollen, kann nun beginnen. „Wir haben mit fast 100 Punkten Abstand verloren“, erinnert sich Meyer.
Ein Junge ist damals bei diesem und fast allen anderen Heimspielen dabei. Der Junge heißt Peter, genauso wie sein Vater. Der Junge feiert drei Jahre lang in Bissendorf Aufstieg um Aufstieg. 1980 werden aus den Oberliga-Basketballern des TVB die Giants Osnabrück, die fortan in der Schlosswallhalle in Osnabrück spielen. Der Junge feiert weitere Aufstiege der Giants: in die Regionalliga, in die 2. Liga und 1983 in die Bundesliga. Schon in den frühen Jahren, als die Giants in den unteren Ligen durchmarschierten, spielten Stars für sie. Ein Kuriosum. Es war in etwa so, als hätte man den großen Kevin Keegan für die Sportfreunde Lotte auflaufen lassen. Ehemalige Nationalspieler folgten dem Ruf des Mäzens, reisten freitags aus Hannover an, schliefen im Hotel und punkteten samstags nach Belieben gegen hoffnungslos unterlegene Teams.
„Die Giants waren eine Sensation“, erinnert sich Norbert Meyer. „Die Schlosswallhalle in Osnabrück platzte aus allen Nähten. Die Tribüne war voll, Zuschauer standen unten direkt am Spielfeldrand.“ Andere Zeitzeugen erinnern sich an Fans, die sich draußen an den Hallenfenstern die Nase plattdrückten, um noch etwas zu sehen. Der Junge, dessen Vater das Spektakel ermöglicht hat, liebte die Show. Sponsoren verteilten Pralinen. Es gab Plakate von den Giants. Der Vater, der damals als großer Autoliebhaber gilt, spendierte den Spielern weiße VW Golf GTI. Die Giants – ein Wanderzirkus in Weiß.
Der US-Amerikaner Sheldon Anderson gehörte dazu. Auch der Texaner Tom Norwood begeisterte als Giant. Ingbert Koppermann, mehrfacher Nationalspieler, ließ seine Karriere bei den Giants ausklingen. Es folgten nach und nach weitere Nationalspieler: Erhard Apeltauer, Rudi Kleen, Dirk Weitemeyer. Perwas griff tief in die Tasche. In der ersten Bundesligasaison 1983/84 spielte auch das Osnabrücker Nachwuchstalent Christian Welp, der zehn Jahre später in letzter Sekunde Deutschland zum Europameister machen sollte, für die Giants. Ihn zog es später in die NBA.
Weltstar an der Angel
Einmal hielt sich sogar ein Weltstar für wenige Wochen in Osnabrück auf: Oscar Schmidt, den sie den Pelé des Basketballs und die heilige Hand nannten, hing schon am Haken von Perwas. Auf einem offiziellen Mannschaftsfoto ist Schmidt im Anzug der Giants zu sehen. Schmidt hat aber nie ein Pflichtspiel für die Giants gemacht. Vermutlich war er selbst für Perwas eine Nummer zu groß. Die heilige Hand zog weiter, sorgte für Furore in der italienischen Liga, spielte bei fünf Olympischen Spielen für Brasilien. Unvergessen bleibt sein Punkteschnitt von 42,3 pro Partie bei den Sommerspielen in Seoul 1988. Mehrere Anfragen von NBA-Teams lehnte Schmidt ab.
Vier Jahrzehnte nach der Glanzzeit der Giants lädt der Sohn des damaligen Mäzens zum Gespräch ein. Der Vater starb bereits 1994 bei einem Autounfall. Der Junior wird in gut zweieinhalb Stunden die Geschichte seines Vaters erzählen, natürlich schon irgendwie familiär eingefärbt, aber auch an einigen Stellen sehr offen und schonungslos. Und er wird immer wieder Anekdoten aus seinem eigenen Leben als Inhaber einer Agentur für Sportmarketing und Sponsoring preisgeben, die ähnlich spektakulär sind, wie die ganze Lebensgeschichte des Vaters. Peter Junior ist eng vernetzt mit Bayern München, organisiert Reisen der Osnabrücker High Society zu den Champions-League-Spielen in die VIP-Lounges der Bayern, geht bei Fußballgroßturnieren und Banketten ein und aus, saß einst stundenlang neben Diego Maradona, First Class, in einer 747 von Tokyo nach Frankfurt, und trank mit dem Fußballstar Gin Tonic. Man könnte eine große Geschichte über den Junior schreiben, auch über seinen Bruder Klaus, der Basketballnationalspieler wurde und derzeit Co-Trainer der deutschen Nationalmannschaft und der Frankfurt Skyliners ist. Doch Anlass des Treffens sind die Giants und Peter Senior, den viele aus dem Umfeld der Giants nur „den Dicken“ nannten. Die örtliche Presse beschrieb in einst als „220-Kilo-Mann“.
„Der Dicke“ kam eigentlich aus dem Fußball, kickte einst selbst recht gut und investierte anfangs Geld in eine Mannschaft des VfL Voxtrup. Mit Rolf Henke, der einst die Basketballer des VfL Osnabrück trainierte, der 1969 Deutscher Meister wurde und in den Jahren danach in der Bedeutungslosigkeit verschwand, schmiedete „der Dicke“ den Plan, einen Basketballverein hochzuzüchten. Anfangs soll Perwas bei erfolgreichen Würfen seiner Basketballer noch „Tor“ gerufen habe. Er wohnte damals in Voxtrup. Bissendorf liegt nicht weit entfernt. Im Artikel „Furore nach Maß“ berichtete damals der „Kicker regional“ über die Anfänge von Perwas‘ Riesen in Bissendorf: „Aus der Idee am Kamintisch wurde etappenweise Wirklichkeit. Mit dem früheren Nationalspieler Ingbert Koppermann, der aus seinem jetzigen Wohnsitz Hannover seinen 96-Mannschaftskameraden Heinz Kläfker gleich mitbrachte, mit den OSCern Norbert Stahmann und Claus Beckmann sowie den VfLern Uwe Borcherding, Ralf Borcherding und Dieter Kampmeyer war für den Anfang in der Bezirksklasse vorgesorgt.“
Osnabrücker Basketball-Legende
Auch Eckard Meyer war früh dabei. Der heute 71-Jährige bittet an einen großen Tisch in seinem Wohnzimmer in Wallenhorst. Meyer, 1,95 Meter groß, hat ein Album mit Fotos und Texten zu den Giants auf den Tisch gelegt. Und ein von seiner Tochter Pia aufwendig gestaltetes Buch, in dem viele ehemalige Weggefährten von Meyer zu Wort kommen. So auch Sheldon Anderson, Heinz Kläfker und Dirk Weitemeyer. Ein ganz besonderes Geschenk zum 70. Geburtstag der Osnabrücker Basketball-Legende. Meyer wurde mit 18 Jahren als Spieler des VfL Osnabrück Deutscher Meister. Er spielte 1970 bei der Junioren-EM in Griechenland, absolvierte einige Länderspiele für Deutschland und ließ sich Ende der 1970er-Jahre vom USC Münster nach Bissendorf ködern. Es sei nicht nur das Geld gewesen. Vielmehr habe ihm die Idee von seinem Ex-Trainer „Rolli“ Henke und Perwas interessiert. Zudem habe er nicht mehr länger zwischen dem Osnabrücker Land und Münster pendeln wollen.
Eckard Meyer sagt, dass die Spiele in den unteren Klassen langweilig waren. Man habe auch nur einmal pro Woche trainiert. Aber das Drumherum – das sei schon was gewesen. Freitags und samstags lud Perwas in die Gaststätte Anton in Bissendorf ein und ließ es krachen. Es floss reichlich Sekt. „Perwas hat immer Fürst Metternich geordert, auch zum Grünkohl“, erinnert sich Meyer. Für die Spiele in den unteren Klassen suchten sich die Spieler ihre eigene Motivation: Schaffen wir 200 Punkte in einem Spiel? Knobelnd wurde entschieden, wer den 150. Punkt machen darf.
Eckard Meyer kritisiert heute, dass man ganz unten angefangen hat. Es habe damals durchaus die Möglichkeit gegeben, in einer höheren Liga zu starten. So hätte man schon einige Jahre eher in die Bundesliga aufsteigen können, nicht erst 1983. „Aber Perwas wollte den Durchmarsch von ganz unten“. Er habe ohnehin oft sein eigenes Ding gemacht. So habe er auch gegen den Willen der Spieler – Meyer ist damals Kapitän – einen Trainer zu den Giants geholt. Wenig Mitspracherecht, aber viel Entertainment. Eckard Meyer, der immer die Nummer 14 trug, bekommt auch einen weißen GTI geschenkt. Er ist dabei, als die Giants in die Bundesliga aufsteigen. Er ist auch dabei, als Perwas mit seinen Giants auf die Bahamas und später dann in die USA fliegt. Perwas organisiert für das Team Karten für die NBA Finals; die Philadelphia 76ers treffen auf die Los Angeles Lakers um Magic Johnson. Perwas zahlt alles.
Meyer spielt noch eine Saison Bundesliga mit den Giants, dann entscheidet er sich, auch wegen der Geburt seiner Tochter Pia und seines Alters, etwas kürzer zu treten. Er wechselt 1984 als Spielertrainer nach Quakenbrück. Zu dieser Zeit zeichnete sich bei den Giants eine Zeitenwende an. Denn Perwas ließ die Giants eines Tages fallen wie eine heiße Kartoffel, nämlich dann, als sein beinah-autokratischer Führungsstil in Frage gestellt wurde. „Rücktritt nach Vorwürfen“ titelte die örtliche Presse damals.
„Bei den verleumderischen Vorwürfen erkläre ich hiermit meinen unwiderruflichen Rücktritt“, soll der Mäzen demnach bei einer außerordentlichen Mitgliederversammlung gesagt haben. Es ging auch um die Finanzsituation der Giants, um Verbindlichkeiten und um von Perwas erhobene Darlehensforderungen in Höhe von 600.000 D-Mark. Auch Kritik an Perwas‘ Führungsstil wurde laut. Das Märchen der Osnabrücker Giants platzte an diesem Abend. Der Mäzen drehte den Geldhahn zu. Die Giants spielten noch einige Jahre Bundesliga, stiegen 1987 sang- und klanglos ab und meldeten sich vom Spielbetrieb ab.
Norbert Meyer, der jahrzehntelang für die Neue Osnabrücker Zeitung arbeitete, denkt gern an sein Spiel mit Rulle in Bissendorf zurück. Mit einer Mischung aus Neid und Bewunderung habe man damals auf das geschaut, was in Bissendorf und später in der Schlosswallhalle passierte. „Hatte man die Giants in der Liga, wusste man schon, wer aufsteigt“.
Eckard Meyer, der jahrzehntelang als Grundschullehrer arbeitete, möchte seine Zeit mit den Giants nicht missen. „Das war meine zweite Karriere“, sagt er. Meyer kann viele atemberaubende Anekdoten über Perwas und die Giants erzählen, die aber nicht alle abgedruckt werden sollen.