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Freitag, 9. Mai 2025
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„Verantwortung im Schutt“ & „Doppelbelichtungen“

Osnabrücker Ausstellungen zum 80. Jahrestag der Befreiung

Am 4. April wurde im Erich Maria Remarque-Friedenszentrum die Ausstellung „Verantwortung im Schutt. Geburtsstunde der Demokratie in Osnabrück“ im Rahmen des Programms „80 Jahre Befreiung“ eröffnet. Fotos, Dokumente und persönliche Zeugnisse zeigen eindrucksvoll die schweren Jahre der Zerstörung und des Wiederaufbaus Osnabrücks nach dem Zweiten Weltkrieg. 

Historische Reden und nachdenkliche Impulse rundeten den Auftakt ab. Die Ausstellung ist bis zum 15. Juni geöffnet – eingebettet in ein stadtweites Veranstaltungsprogramm unter dem Titel „Befreiung und Demokratie“, das rund um den 8. Mai, dem 80. Jahrestag des Kriegsendes, stattfindet. Die Ausstellung gewährt einen tiefen Einblick in die dunkle Zeit der Bombenangriffe und die Hoffnung des Wiederaufbaus. Eindrucksvolle Fotografien dokumentieren die verheerenden Folgen der Angriffe auf Osnabrück – besonders im September 1944 und am Palmsonntag 1945. Trümmerlandschaften, zerstörte Gebäude und notdürftige Lebensverhältnisse prägen das Bild.

Zugleich richtet sich der Blick nach vorn: Die Ausstellung zeigt unter anderem den Wiederaufbau des Osnabrücker Rathauses im Jahr 1948 – genau 300 Jahre nach dem Westfälischen Frieden, der in eben jenem Gebäude unterzeichnet wurde. Besonders eindrücklich sind die ausgestellten Dokumente der ersten Ratssitzung nach Kriegsende, in denen sich die Hoffnung auf einen demokratischen Neuanfang widerspiegelt. Ergänzt wird die Ausstellung durch persönliche Notizen und Briefauszüge des Schriftstellers Erich Maria Remarque. Der gebürtige Osnabrücker, weltbekannt durch seinen Roman „Im Westen nichts Neues“, verfolgte die Entwicklungen in seiner Heimatstadt aus der Ferne und kommentierte sie mit der ihm eigenen kritischen Haltung gegenüber Krieg und politischem Umbruch.


Politische Gegenwart im Blick

Nach der Begrüßung von Dr. Sven Jürgensen, Leiter des Erich-Maria-Remarque-Friedenszentrums und von Oberbürgermeisterin Katharina Pötter kamen Dr. Jürgensen und Ehrenbürger Hans-Jürgen Fip ins Gespräch. Besonders Fip sorgte für Nachhall, als er auf eine Frage zur gegenwärtigen politischen Debatte über die AfD und den Umgang mit demokratischer Verantwortung antwortete: „Ich war immer ein Befürworter der Brandmauer. Das hat sich geändert, als ich ein Paper bei einem Seminar in Tübingen zur Verantwortungsethik demokratischer Macht las. Alle waren der Meinung: Man muss sich inhaltlich auseinandersetzen. Wir dürfen nicht den souveränen Bürgerin seiner Wahlentscheidung disqualifizieren. Diese Sichtweise“, so Fip weiter, sei „erfolgversprechender als der Versuch, politische Kräftedurch symbolische Abgrenzung zu isolieren. Stattdessen müsse man den Dialog suchen, um zu verstehen, warum Menschen ihre Stimme so abgeben, wie sie es tun.“


Ethik in der Verantwortung – vom historischen Extrem zur aktuellen Debatte

Der Rückgriff auf Max Webers Unterscheidung zwischen Gesinnungs- und Verantwortungsethik, wie sie etwa durch Richard Nixon in seiner Vietnam-Strategie angewandt wurde, bietet einen aufschlussreichen Rahmen zur Einordnung heutiger politischer Auseinandersetzungen. In der Rückschau zeigt das Beispiel der „madman theory“ eindrücklich, wie stark politische Kommunikation und strategisches Handeln von ethischen Kategoriengeprägt – oder bewusst verfremdet – werden können.

Nixon gab sich als irrationaler Gesinnungsethiker, um seine verantwortungsethisch motivierte Politik zu verschleiern. Diese Perspektive ergänzt auch die Diskussion, die bei der Ausstellungseröffnung im Erich Maria Remarque-Friedenszentrum angestoßen wurde.

Fips Haltung ist Ausdruck eines verantwortungsethischen Umdenkens, das demokratische Prozesse nicht über moralische Abgrenzung, sondern über die ernsthafte Auseinandersetzung mit den Gründen hinter politischen Entscheidungen schützen will. So schlägt die Ausstellung „80 Jahre Befreiung“ nicht nur einen Bogen zur Vergangenheit und zum Wiederaufbau Osnabrücks nach dem Zweiten Weltkrieg, sondern macht auch deutlich, wie sehr Fragen der politischen Verantwortung heute aktueller denn je sind.

Die Verbindung von historischer Reflexion mit gegenwärtigem politischem Denken und Handeln zeigt, dass Demokratie ständige Abwägung erfordert – nicht zwischen Idealen und Opportunismus, sondern zwischen moralischem Anspruch und Verantwortung für die Folgen. Öffnungszeiten der Ausstellung im Erich Maria Remarque-Friedenszentrum: Es ist dienstags bis freitags von 10:00 bis 13:00 Uhr sowie von 15:00 bis 17:00 Uhr geöffnet, samstags und sonntags von 11:00 bis 17:00 Uhr. Der Eintritt ist frei.


Ausstellung in St. Marien: „Doppelbelichtungen“

Am 4. April wurde im Rahmen des Programms „80 Jahre Befreiung“ in der benachbarten Kirche St. Marien die Schau „Doppelbelichtungen – Die Marienkirche damals und heute“ eröffnet. Sie dokumentiert die Zerstörung der über 700 Jahre alten gotischen Hallenkirche am 13.September 1944 sowie ihren behutsamen Wiederaufbau. Die Fotoausstellung kann zu folgenden Zeiten besucht werden: dienstags bis freitags von 10:00 bis 13:00 Uhr sowie von 15:00 bis 17:00 Uhr, samstags und sonntags von11:00 bis 17:00 Uhr. Der Eintritt ist frei.

Auch diese Ausstellung ist Teil eines umfangreichen stadtweiten Veranstaltungsprogramms unter dem Titel „Befreiung und Demokratie“, das vom städtischen Büro für Friedenskultur koordiniert wird. Insgesamt 32 Veranstaltungen – darunter Ausstellungen, Lesungen, Filmvorführungen, Theateraufführungen, Vorträge und Online-Präsentationen wie die aktuelle OR-Serie – widmen sich der Erinnerung an das Kriegsende und den demokratischen Neuanfang.

Dabei wird auch ein kritischer Bogen zu aktuellen rechtspopulistischen und antidemokratischen Strömungen gespannt. Am 8. Mai 2025, dem offiziellen Gedenktag zum Kriegsende, findet zudem eine Podiumsdiskussion im Forum am Dom Osnabrück statt, bei der u. a. die Historikerin Prof. Dr.Juliane Brauer über die Bedeutung der Befreiung und ihre heutige Relevanz sprechen wird.

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