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Anne Reinert: Ist die Pressefreiheit bedroht?

Die Videokampagne #allesdichtmachen thematisiert die gravierenden Nebenwirkungen der Corona-Pandemie. Nur leider macht sie das durch platte und gefährliche Schwarz-Weiß-Zeichnerei.

Irgendwie hat Jan Josef Liefers ja Recht. Um die Pressefreiheit in Deutschland könnte es tatsächlich besser bestellt sein. Gerade hat Reporter ohne Grenzen die neue Rangliste der Pressefreiheit veröffentlicht. Deutschland ist im Vergleich zum letzten Jahr von Platz 11 auf Platz 13 gesunken. Statt wie zuvor noch mit der Note „gut“ bewertet die Nichtregierungsorganisation die Lage der Pressefreiheit nur noch als „befriedigend“.

Nur in der Analyse irrt der Besserwisser-Doktor aus dem „Tatort“ ganz gewaltig. Denn die Pressefreiheit ist nicht durch Gleichschaltung bedroht, sondern durch Corona-Leugner:innen und Rechtsradikale, durch diejenigen also, die von sich behaupten, nichts mehr sagen zu dürfen. 65 sicher dokumentierte gewalttätige Angriffe auf Journalist:innen gab es im letzten Jahr. Das waren fünf Mal so viele wie im Jahr zuvor.

Drohung und Gewalt gegen Presseleute

Allein auf der „Querdenker“-Demonstration im November 2020 in Leipzig kam es zu 43 Übergriffen und Behinderungen journalistischer Arbeit durch Rechtsradikale. „Besonders Fotografinnen, Fotografen und Kameraleute berichten von massiven Bedrohungen, Rempeleien und Angriffen durch größere Hooligan-Gruppen“, berichtet Reporter ohne Grenzen in einem entsprechenden Bericht auf seiner Website. Medienschaffende seien „auf den Kopf geschlagen, geboxt oder von Gruppen um bekannte Rechtsextreme vor sich hergetrieben worden“.

Das, liebe Allesdichtmacher:innen, ist Bedrohung der Pressefreiheit und nicht die Berichterstattung über Corona und die Einschränkungen.

„Kritischer Diskurs?“

Ja, wir alle sind es müde. Jan Josef Liefers ist müde und Heike Makatsch auch. Wir dürfen davon ausgehen, dass auch Angela Merkel und Peter Altmaier die Faxen dicke haben, genauso alle Oppositionspolitiker:innen, alle Wissenschaftler:innen, alle Kassierer:innen und wie erst alle Pflegekräfte. Wir alle haben es satt. Wer will schon Corona? Nur leider hilft dagegen keine #allesdichtmachen-Kampagne, die das Befolgen von Corona-Regeln mit Spießertum und Meinungslosigkeit gleichsetzt.

Sie habe Raum schaffen wollen für einen „kritischen Diskurs“, schreibt Heike Makatsch auf ihrem Instagram-Profil, und distanziert sich gleichzeitig von „rechtem Gedankengut und rechten Ideologien“.

 

Man will es ihr glauben, Und sie hat ja irgendwie Recht. Denn wer kennt sich noch aus in dem Wirrwarr der ganzen Maßnahmen? Dazu bringt die Pandemie grausame Nebeneffekte mit sich wie die Zunahme häuslicher Gewalt und psychischer Störungen. All das wird in den Videos thematisiert.

Über all das müssen wir sprechen. Doch das eine (die psychischen Folgen, die Gewalt, die soziale Isolation) mit Protest gegen die Beschränkungen zu vermischen, schlägt in eine gefährliche Kerbe, nämlich die der Corona-Leugner:innen.

Die Macher:innen hinter den Videos teilen diese Ideologie oder haben eine Chance verpasst, nämlich all die Kollateralschäden ganz ironiefrei und ohne ausgestreckten Zeigefinger in Richtung Politik und Wissenschaft aufzubereiten.

Mehr Medienkompetenz

Wenn dagegen Jan Josef Liefers so unausgegoren über Gleichschaltung und Pressefreiheit fabuliert, weist das vielmehr auf einen gefährlichen Mangel an Medienkompetenz hin. Dabei hat er selbst auf Twitter fast 250.000 Follower:innen. Auf den Folgen-Button der Neuen Osnabrücker Zeitung haben nicht mal 16.000 Menschen geklickt, auf den der taz rund 62.000. Das nur mal zum Vergleich.

#allesdichtmachen steht für den Beweis, dass es Medienkurse braucht. Nicht nur, wie längst oft angeboten, für Jugendliche und über 65-Jährige, sondern für diejenigen irgendwo dazwischen. Für Menschen, die schon lange nicht mehr zur Schule gehen und die auch nie wieder eine besuchen werden. Für Menschen wie Jan Josef Liefers und Heike Makatsch.

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