Sonntag, 28. April 2024

Buntes Panorama der Lokalgeschichte

Neuerscheinung für den Gabentisch: Osnabrücker Mitteilungen 2023 

Wieder einmal präsentiert der Historischen Verein  zum Jahresende ein regionales Geschichtsbuch mit spannenden 376 Seiten. Es ist bereits der 128. Band der Osnabrücker Mitteilungen (OM), den der Verein für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück nun vorlegt und der von vielen Fans lokaler Historie bereits mit Vorfreude erwartet wird.

Im Mittelpunkt des Sammelbandes stehen dreizehn Beiträge von 16 Autorinnen und Autoren. Alle präsentieren ein buntes Panorama der Lokalgeschichte. Zur aufmerksamen Lektüre bieten sich Texte, die sich in ihren Schwerpunkten vom Mittelalter bis zur Zeitgeschichte erstrecken und teilweise völlig neue und bislang unbeachtete Aspekte der Historie beleuchten. Bereits die folgenden Kurzfassungen belegen dies überzeugend.


Bauten, Gärten und Pokale

Für jedermann etwas: So könnte man den Inhalt des Bandes übertschreiben. Deshalb der Reihe nach: Michaela Jansen-Igel erläutert zunächst in ihrem Beitrag „Leerstellen“ (S. 9-32) die Ergebnisse der 2019 durchgeführten Grabungen im Vorhof des Iburger Schlosses und setzt diese in den Kontext mit den archivalischen Quellen zur Bautätigkeit der Osnabrücker Bischöfe.

Klaus Niehr untersucht in seinem kunstgeschichtlichen Aufsatz „Der König auf dem Schachbrett“ (S. 33-48) den um 1300 angefertigten Osnabrücker Kaiserpokal, dekonstruiert ältere Deutungsansätze und liefert neue Interpretationen. Gerd Steinwascher, früher einmal persönlich Leiter des hiesigen Landesarchivs, befasst sich in dem Beitrag „Vom Westfälischen Frieden zur Friedensstadt“ (S. 49-69) mit dem Erinnern und Feiern des Westfälischen Friedens in Osnabrück in den vergangenen Jahrhunderten: Das Friedenswerk diente städtischer Selbstbehauptung, protestantischer Polemik, fiel als Ausverkauf deutscher Interessen in Ungnade und wurde schließlich im mit großem Aufwand begangenen Jubiläum von 1998 als europäischer Friedensvertrag gefeiert.

Ernst Kosche widmet sich in einem weiteren Kapitel den „Gärten vor der Stadt“ (S. 71-90). Die Pachtgärten außerhalb der Stadtwälle dienten bis zum Beginn des 19. Jahrhunderts der Lebensmittelversorgung. Darüber hinaus nutzte das wohlhabendere städtische Bürgertum ihr Land, um dort parkähnliche Anlagen zu errichten, die der Erholung dienten. Mit der Aufhebung des Festungsgebotes 1843 wurden sie sukzessive zu Bauland.


Illustre Sagen, Osnabrücks Franzosenzeit – und besondere Einblicke zur Auswanderung

Rainer Drewes widmet sich der reichhaltigen Sagenliteratur des Osnabrücker Landes (S. 121-133). Selbst das Osnabrücker Steckenpferdreiten der Osnabrücker Grundschulen geht in seinem Ursprung auf eine Sage zurück. Dies unterstreicht einmal mehr die Kraft und die Lebendigkeit dieser Textsorte bis in die Gegenwart.

Rolf Spilker erschließt bislang unbeachtete Quellen im Landesarchiv in Osnabrück über die frühindustrielle Entwicklung Osnabrücks und die Entwicklung des städtischen Gewerbes um 1800. Seine Analyse eröffnen aufschlussreiche Erkenntnisse zum wirtschaftspolitischen Handeln der französischen Autoritäten zur Zeit des Oberemsdepartements (S. 91-119), als Osnabrück einen offiziellen Teil Frankreichs bildete.

Annika Heyen wirft Schlaglichter auf das „System erzwungener Auswanderung aus dem Regierungsbezirk Osnabrück“ zwischen 1832 bis 1866 (S. 135-163). Im Königreich Hannover wurden systematisch auf Kosten der Regierung verarmte und kleinkriminelle Personen über bremische Häfen in die USA abgeschoben. Allerdings geschah dies nicht aus Wohltätigkeit, sondern dahinter verbarg sich eine Form des Strafvollzuges, eine spezielle Form der Bestrafung der Abgeschobenen.


NS- und Nachkriegszeit

Thorsten Heese und Bernd Kruse skizzieren auf der Grundlage eines Zeitzeugenberichts das berührende Schicksal der „Martha Müller“, die mit vielfältiger und bedingungsloser Unterstützung als ‚Halbjüdin‘ die NS-Zeit in Osnabrück überlebte (S. 165-204). Die Folgen der Verfolgung und Diskriminierung begleiten Martha Müller bis heute und sind für ihr Leben Belastung und Lebenskraft gleichermaßen.

Hans-Bernd Meier rekonstruiert auf der Grundlage von schriftlichen Erinnerungen des Leutnants Walter Kurtz sowie moderner Analysemethoden wie dem Gutachten eines Wundballistikers den Mord an fünf Zwangsarbeitern im April 1945 in Schledehausen (S. 205-234). Auch wenn dieses Kriegsendphaseverbrechen bis heute nicht abschließend aufgeklärt werden konnte, bietet Meier eine überzeugende Theorie, wie sich dieser Fememord zugetragen haben könnte.

Jessica Wehner und Christoph Rass analysieren ausgewählte Patientenakten psychisch belasteter Displaced Persons in der Landes-Heil- und Pflegeanstalt Osnabrück, die heute im Landesarchiv aufbewahrt werden (S. 235-260). Die beeindruckenden Fallbeispiele weisen auf die diversen Problemlagen hin, denen diese Menschen in Kriegs- und Nachkriegszeit im Kontext von Gewalterfahrungen und gewaltinduzierter Mobilität ausgesetzt waren. Und sie offenbaren den schwierigen Umgang mit den psychischen Folgen solcher Erfahrungen, die mit denen von gegenwärtigen Betroffenen vergleichbar sein dürften.

Jonathan Roters untersucht die „Institutionelle Diskriminierung der Sinti im Osnabrück der Nachkriegszeit“ (S. 261-293). Der Autor belegt die Kontinuität einer Kriminalisierung der Sinti nach 1945, so dass ihre Verfolgung aus ‚rassischen Gründen‘ in der NS-Zeit ausgeblendet wurde. Das Stigma der ‚Asozialität‘ haftete den Sinti bis in die 1980er Jahre an, auch aufgrund ihrer wohnpolitischen Diskriminierung, die die Mehrheitsgesellschaft in ihren Vorurteilen sogar noch bestätigte.

Janine Wasmuth, Max Pochadt und Christoph Rass befassen sich erstmals mit der – bislang wenig beachteten – „Migration aus Spanien nach Osnabrück zwischen 1960 und 1980“ (S. 295-322). Zeitweilig wohnten mehr als 3.000 Spanierinnen und Spanier in Osnabrück; allerdings verließen viele von ihnen bereits Ende der 1970er Jahre die Stadt. Die Untersuchung bietet gleichzeitig einen exemplarischen Blick auf die Ausländermeldekartei, einer enorm vielfältigen Quelle für sozialwissenschaftliche und sozialhistorische Betrachtungen der jüngeren Migrationsgeschichte Osnabrücks.


Möser, Rezensionen und Berichte

Im Bereich der „Möseriana“ erschließt Martin Siemsen „Ein unbekanntes Faksimile eines Briefes von Justus Möser“ an Friedrich Nicolai vom 19. April 1782 (S. 323-328).

Mit 15 Rezensionen zu Geschichtswerken aus dem Osnabrücker und dem Niedersächsischen Raum wird in den Osnabrücker Mitteilungen ein kommentierter Überblick der aktuellen Neuerscheinungen auf diesem Gebiet geboten (S. 329-359). Die Rezensionen des Bandes werden in Kürze auch online bei recensio.regio (vgl. www.recensio-regio.net) zu lesen sein.

Wie gewohnt beschließen die Berichte zu den Aktivitäten des Historischen Vereins im abgelaufenen Jahr die Osnabrücker Mitteilungen (S. 361-373).


Termin zum Vormerken: 18. Januar, 19 Uhr!

Am 18. Januar 2024 werden die „Osnabrücker Mitteilungen 2023“ um 19 Uhr im Vortragssaal des Museumsquartiers in feierlichem Rahmen vorgestellt. Zu diesem Anlass werden ausgewählte Beiträge kurz vorgestellt – eine vielfältige und kurzweilige Geschichtsstunde. Im Anschluss wird zu einem kleinen Umtrunk eingeladen.


Bibliographische Angabe:

Osnabrücker Mitteilungen: Mitteilungen des Vereins für Geschichte und Landeskunde von Osnabrück 128 (2023), Bielefeld: Verlag für Regionalgeschichte; 376 S., 64 Abbildungen; ISSN 0474-8158 / ISBN 978-3-7395-1522-9, Preis 24,00 €.

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