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Sonntag, 16. März 2025
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Lehre aus dem 20. Juli 1944: „Demokratie muss jederzeit verteidigt werden!“

Ansprache der SPD-Fraktionsvorsitzenden Susanne Hambürger dos Reis 

Eine Gedenkfeier anlässlich des 20. Juli sollte es immer verdienen, angemessen in der städtischen Öffentlichkeit gewürdigt zu werden. Denn ein Thema kommt im Zuge der Aufarbeitung der Geschichte des „Tausendjährigen Reiches“ meistens viel zu kurz: die des Widerstandes gegen den Nazi-Terror. Falls doch an Widerstand erinnert wird, steht viel zu häufig jener minimale Teil der Wehrmacht im Vordergrund, der sich um Generaloberst von Stauffenberg gruppiert hat.

Vergessen wird vielfach, dass die allermeisten Menschen, die oft unter Einsatz ihres eigenen Lebens Widerstand leisteten, aus der sozialdemokratischen oder kommunistischen Arbeiterbewegung gekommen sind. Bewusst dokumentiert die OR deshalb jene vielbeachtete Rede, welche die Vorsitzende der SPD-Ratsfraktion, Susanne Hambürger dos Reis, anlässlich der offiziellen städtischen Feierstunde zum 20. Juli vor dem Mahnmal an der Dominikanerkirche gehalten hat.

„Seit vielen Jahren ist es für uns als Mitglieder der Osnabrücker Sozialdemokratie nicht nur selbstverständlich, an dieser Feier zu Ehren des Widerstandes gegen den Nationalsozialismus teilzunehmen. Es ist zugleich auch eine Verpflichtung gegenüber all den vielen Opfern des deutschen Faschismus, von denen sehr viele, und das ist kein Geheimnis, auch Genossinnen und Genossen unserer Partei gewesen sind.

In diesem Jubiläumsjahr 2023 sind mehrere hochaktuelle Anlässe hinzugekommen, um hier zu sein und ein Zeichen zu setzen. Der brutale Krieg in der Ukraine erinnert uns alle täglich daran, wie wahnsinnig fragil mühsam errungene demokratische Freiheiten sein können, wenn sie von brutalen Machthabern und Nationalisten bedroht sind. Nicht zuletzt aus eigenen geschichtlichen Erfahrungen wissen wir, wie wichtig es ist, sich aktiv allen menschenverachtenden Ideologien entgegen zu setzen. Dies sage ich heute auch in aller Deutlichkeit gegenüber allen Stimmen, die die AFD verharmlosen und deren Sieg in einer thüringischen Landratswahl mit fast gleichgültigem Schulterzucken zur Kenntnis nehmen.

Wenn jemand Stimmen gewinnt, indem er gegen Minderheiten hetzt, indem er demokratische Politikerinnen und Politiker und demokratische Medienvertreter verächtlich macht, wenn rechte Kräfte Grundfesten eines demokratischen Miteinanders erschüttern wollen, dann müssen wir alle aktiv dagegenhalten. Unsere Demokratie muss jederzeit verteidigt werden! Manche Wahrheiten der Vergangenheit kann man deshalb nicht oft genug wiederholen. Wie sagte einmal, ganz in diesem Sinne, der SPD-Vorsitzende Kurt Schumacher am 23. Februar 1932 im deutschen Reichstag? Er sagte es nur ein Jahr, bevor ihn die deutschen Faschisten für fast 12 Jahre ins KZ eingepfercht haben. Ich zitiere Schumacher:

„Die ganze nationalsozialistische Agitation ist ein dauernder Appell an den inneren Schweinehund im Menschen. Wenn wir irgendetwas beim Nationalsozialismus anerkennen, dann ist es die Tatsache, dass ihm zum ersten Mal in der deutschen Politik die restlose Mobilisierung der menschlichen Dummheit gelungen ist.“

Kann man nicht auch Wahlerfolge der AFD mit ähnlichen Worten auf den Punkt bringen?  Und zwar ausdrücklich verknüpft mit der Ehrung solcher Menschen, die sich mutig der Gehirnwäsche der Faschisten mit offenem Widerstand widersetzt haben. Auch unser deutsches Grundgesetz, 1949 mitbeschlossen vom Osnabrücker Sozialdemokraten und Widerstandskämpfer Hans Wunderlich als Mitglied des Parlamentarischen Rates, beinhaltet das Recht aller Menschen auf Gegenwehr, sobald demokratische Freiheiten bedroht sind.

Dass die Sehnsucht nach Frieden hier nicht weniger zu historischen Botschaften der deutschen Sozialdemokratie zählt, muss ich als Vertreterin einer Partei, die in der Tradition eines Widerstandskämpfers Willy Brandt und seiner Versöhnungspolitik steht, nicht näher erläutern. Wenn wir aber schon über Frieden sprechen: Ein zweiter Anlass, der in diesem Jahre ein ganz besonderer für uns ist, ist der 375. Jahrestag des historischen Friedensschlusses, der – neben dem Zweiten Weltkrieg – den wohl brutalsten und opferreichsten Krieg unserer gemeinsamen Geschichte in Osnabrück und Münster beendet hat.

Dem Friedensschluss von 1648 entspringt die Lehre, dauerhaft für Frieden, Toleranz, Gerechtigkeit, Solidarität und demokratische Freiheiten einzustehen. Wenn wir heute, hier an dieser Stelle an Menschen aus dem Widerstand erinnern, hat sich in unserer Stadt insbesondere in jüngster Vergangenheit sehr viel ereignet, dass sich unser Blick sogar ganz aktuell noch erheblich geweitet hat.


Dank an die Widerstandserforschung

An dieser Stelle ist es mir in diesem Sinne ein tiefes Bedürfnis, dem Osnabrücker ILEX-Kreis zu danken, der Kurzbiografien von über mehr als 110 Menschen aus unserer Stadt veröffentlicht hat, die Widerstand gegen den Terrorstaat des Nationalsozialismus geleistet haben. Denn eine Erkenntnis ist es wert, immer wieder in Erinnerung gerufen zu werden: Infolge des 20. Juli gab es zweifellos rund 200 zum Tode verurteilte Angehörige der Wehrmacht unter Führung von Generaloberst von Stauffenberg. Aber zur gleichen Zeit stammten über 5.000 eingekerkerte und vielfach im KZ ermordete Nazi-Opfer aus der sozialistischen Arbeiterbewegung. Hinzukamen unzählige bürgerliche Intellektuelle, Kommunisten, Christen und viele Einzelne, die sich widersetzten, weil sie es nicht akzeptieren wollten, in einem solchen Deutschland zu leben, das die NSDAP mit sich brachte.

An fünf brutal von Nazis im KZ ermordete Osnabrücker aus unseren Reihen erinnern wir dabei traditionell und werden dies auch in diesem Jahr tun, ohne Verdienste anderer, wie auch immer, mindern zu wollen. Alle zählten zu den Opfern der Verhaftungswelle einer SS-Aktion, die unter dem harmlos klingenden Namen „Aktion Gewitter“ oder „Aktion Gitter“ in die Geschichte eingegangen ist.

Anfangs war es in Osnabrück sogar zu befürchten gewesen, dass es zu einem noch weit größeren Massenmord an Antifaschisten kommt. Insgesamt haben die Gestapo-Beamten damals höchstpersönlich akribisch aufgelistet, wen sie damals alles restlos ausschalten wollten: 52 Menschen aus unserer Stadt waren es, nach Gestapo-Liste 39 Sozialdemokraten, 10 Gewerkschafter und 3 Kommunisten, die verhaftet und zunächst im Augustaschacht eingesperrt wurden. Nur mit viel Glück konnten die meisten überleben. Andere aber leider auch nicht.Für manche galt dies bereits zuvor. Ich gedenke darum an dieser Stelle ebenso an den bereits 1933 an Haftfolgen verstorbenen SPD-Ratsfraktionsvorsitzenden Gustav Haas.

Auf den August 1944 bezogen erinnere ich an den früheren Osnabrücker Arbeitsamtsdirektor Heinrich Groos.

  • Ich erinnere an den Metall-Gewerkschafter Fritz Szalinski.
  • Ich erinnere an den AOK-Verwaltungsmitarbeiter Wilhelm Mentrup.
  • Und ich erinnere an den vormaligen SPD-Parteisekretär Heinrich Niedergesäß.

Alle Genannten hätte nicht nur unsere Partei, sondern auch die Osnabrücker Stadtgesellschaft nach der Befreiung durch britische Streitkräfte am 4. April 1945 ungemein mit ihrem Wissen und ihren Erfahrungen für den demokratischen Neuaufbau benötigt. Aber nicht nur das! Stattdessen sind im Zuge der Restauration alter Machtverhältnisse in den 50er- und 60er-Jahren wieder zahllosen Ex-Nazis in ihre alten Funktionen in der Wirtschaft, Wissenschaft, Medizin, Justiz, Bildung, Verwaltungen bis hin in Ministerien gelangt.

In Wahrheit sind viel zu viele Täter völlig mild oder gar gänzlich ungeschoren davongekommen. All dies darf gerade in einer Gedenkstunde für NS-Opfer niemals vergessen werden und ruft nach weiterer Erforschung von Täter- und Opferschicksalen. Kurzum: Es muss darum gehen, auch in Osnabrück, mehr denn je, positive Lehren aus der Geschichte zu ziehen. So etwas macht sich ja häufig auch an Namen fest. Stellvertretend für viele, auch in anderen demokratischen Organisationen, möchte ich drei solcher Namen nennen:


Namen würdigen, die für Widerstand wie Neuaufbau stehen

Walter Bubert hat beispielsweise zu denen gezählt, die im Rahmen der Aktion Gewitter verhaftet und nur haarscharf dem KZ entkommen sind. Nach 1945 machte er sich einen Namen als „Roter Landrat“ im Landkreis Osnabrück, beteiligte sich von Beginn an bei der Wiedergründung der Osnabrücker SPD. Und er tat bis zu seinem viel zu frühen Tode 1950 alles dafür, dass Alt-Nazis nicht wieder in Funktionen gelangten.

Buberts frühere Landtagskollegin Alwine Wellmann kehrte 1948 aus bulgarischem Exil nach Osnabrück zurück.Sie wurde als ‚Vertrauensmann für die ehemaligen politisch, religiös und rassisch Verfolgten‘ in der Wiedergutmachungsstelle der Osnabrücker Regierung angestellt. Diese Funktion verlor sie fast typischerweise schon 1953 – zeitgleich mit dem Erstarken konservativer, reaktionärer und ehemals nationalsozialistischer Kräfte in öffentlichen Verwaltungen.

Ernst Sievers, über den bald in Kooperation mit dem Osnabrücker Stadtsportbund eine Biografie, geschrieben von unserem ehemaligen SPD-Fraktionsgeschäftsführer Heiko Schulze, erscheinen wird, baute bis zu seinem viel zu frühen Tode 1947 das Osnabrücker Sportwesen wieder auf. Sievers tat dabei alles, um als ehemaliger NS-Verfolgter und aktiver Förderer des später zerschlagenen jüdischen Sportvereins Altnazis aus ihren früheren Vereinsfunktionen fernzuhalten.

Sievers, Wellmann und Bubert sind allesamt große Persönlichkeiten, die sich in das Gedächtnis dieser Stadt eingeschrieben haben, was sich unbedingt fortsetzen muss. Ihnen und allen anderen Opfern, Mutigen, Aufrechten und Kämpfenden für demokratische Freiheit erweisen wir heute unsere besondere Ehrerbietung.

Nur so können künftige Generationen aus der Geschichte lernen, um ihre eigene Zukunft sozial, solidarisch und demokratisch zu gestalten.“

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