Donnerstag, 2. Mai 2024

Radtour auf den Spuren des Widerstands in Osnabrück

Mehr als zwanzig historisch interessierte OsnabrückerInnen nahmen am Samstag an einer Radtour auf den Spuren des Widerstands in der NS-Zeit teil, zu der der ILEX-Kreis eingeladen hatte. Die Führung gehört zum Rahmenprogramm der Ausstellung Parolen aus dem Koffer, die bis zum 10. März 2024 in der Gedenkstätte Augustaschacht gezeigt wird. 

Mitglieder des ILEX-Kreises erläuterten, wie es zur Namensgebung nach dem Pseudonym des Journalisten Josef Burgdorf gekommen war, der sich schon zehn Jahre vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten in der sozialdemokratischen Freien Presse gegen die Faschisten engagiert hatte. Im Verlauf der Recherchen stellte sich dann heraus, wie passend die Namenswahl war: Burgdorf war der Leiter einer bisher unbekannten Untergrundbewegung in Osnabrück. Die Radtour begann am ehemaligen Braunen Haus, in dessen Keller der Redakteur bereits am 1. April 1933 misshandelt wurde.

Der Künstler Manfred Blieffert erzählte, wie er vom ILEX-Kreis angesprochen wurde und begann, die von den ILEX-Mitgliedern erforschten konkreten Aktionen des Widerstands in Osnabrück künstlerisch umzusetzen. Wie anschaulich ihm das gelungen ist, zeigt die Ausstellung im Augustaschacht. Blieffert berichtete vom Stempeln mit einem mit Farbe gefüllten Koffer, von Flugblattabwurfgeräten und Luftballons, die aus den Niederlanden über die Grenze geschickt wurden. Zu sehen sind die Aktionen auf dieser Webseite.

Die Radtour am Samstag führte zu geheimen Treffpunkten des Widerstands und den damaligen Wohnungen der beteiligten Personen. Vor manchen dieser Wohnungen liegen heute Stolpersteine. Die Radtour erinnerte  an einige der Menschen, die für den Widerstand starben. Die Gruppe machte Halt beim Grab eines Mitglieds der Widerstandsgruppe im Offiziersgefangenlager in Eversburg auf dem Jüdischen Friedhof, der sich in der Gestapohaft das Leben nahm, um die anderen Mitglieder der Widerstandsgruppe in der Baracke 37 nicht zu verraten. Zu den  Ermordeten gehörte auch Lissy Rieke, deren Wohnung eine weitere Station der Radtour war. Sie sorgte für die Verteilung von Flugblättern aus den Niederlanden. Auf dem Rückweg von einem Treffen in Osnabrück wurde sie Anfang 1943 verraten, verhaftet und 1945 unter dem Fallbeil hingerichtet.

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Der Kommunist Henry Brandt ist einer der Überlebenden, die sich auch nach 1945 weiter aktiv politisch engagierten. Er wurde mit anderen Genossen bereits 1933 verhaftet. Wie Lissy Rieke weigerte er sich, seine Mitkämpfer zu verraten und wurde deshalb brutal misshandelt. Vor seiner frühreren Wohnung ist noch der Stempel mit seinem Namen zu erkennen, den Manfred Blieffert bei einer seiner Aktionen hinterlassen hat. An vielen Orten mit einem Bezug zu den vergessenen Menschen aus dem Widerstand und ihren Geschichten brachte er Graffiti mit Fragen wie „Wer war Henry Brandt?“ an, die auf sie aufmerksam machen sollten. Bei der Radtour wurden einige solcher Fragen beantwortet.

„Wer war Fritz Niemann?“ Das Mitglied der Untergrundbewegung um Josef Burgdorf wohnte an der Katharinenstraße – im selben Haus wie eine NS-Institution. Er wurde verhaftet, als die Straßenbahnerzelle aufflog, zu der er gehörte, kam in das Konzentrationslager Sachsenhausen. Wie viele der Personen, die in Osnabrück ihr Leben im Widerstand riskierten, war sein Name bisher unbekannt. Noch immer ist wenig über ihn bekannt, bisher gibt es nicht einmal ein Bild. Ob die Erziehungswissenschaftlicher der Universität wüssten, was sich in ihrem Gebäude an der Arndstraße in der NS-Zeit abgespielt habe, wollte eine Teilnehmerin der Führung wissen.

Die Mitglieder des ILEX-Kreises betonten, dass sie die bisher erforschten Biografien als Initialzündung für weitere Nachforschungen verstehen. Das könnte an der  Universität geschehen, eignet sich aber möglicherweise auch für schulische Projekte.

„Geschichts-Kiste“ im Augustaschacht

Auch an der Wohnung von Alexander Henning an der Sutthauser Straße, Ecke Lissy-Rieke-Straße, führte die Radtour vorbei. Er soll hier eine Anlaufstelle der illegalen KPD in Osnabrück geführt haben und hatte Kontakte zu der Gruppe Burgdorf. Wie viele andere wurde er durch einen Spitzel der Gestapo verraten und verhaftet. Wie es weiterging, erfahren BesucherInnen der Ausstellung im Augustaschacht. Dort kann diese Geschichte im wahrsten Sinne des Wortes „ausgegraben“ werden.

Insgesamt 106 Biografien von Menschen, die in Osnabrück Widerstand geleistet haben, und 36 ausführliche Geschichten sind in dem Buch des ILEX-Kreises mit dem Titel „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“ nachzulesen, das ab der kommenden Woche im Buchhandel erhältlich ist. Neben einem Überblick über die verschiedenen Widerstandsaktivitäten und -gruppen in Osnabrück enthält es auch eine Einordnung des Forschungsstands durch Professor Dr. Christoph Rass vom Institut für Neueste Geschichte und Historische Migrationsforschung an der Universität Osnabrück.

Für das Frühjahr sind weitere Radtouren auf den Spuren des Widerstands in Osnabrück geplant.


Hier geht es zum Podcast der OR mit dem ILEX-Kreis 

Eben noch im Radio und schon rund um die Uhr abrufbar: Unser Extra-Podcast: „Widerstand im Osnabrück der NS-Zeit“

 


Titelbild: Manfred Blieffert stempelt Parolen mit dem Koffer

 

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