Stellungnahme des Osnabrücker ILEX-Kreises zur Beiratsempfehlung in Sachen „Hausbenennung“ der Villa im Museumsquartier

Der Osnabrücker ILEX-Kreis appelliert an den Rat der Stadt Osnabrück, der Empfehlung des Wissenschaftlichen Beirats zu folgen und dem Gebäude seinen historisch belegten Namen „Villa Schlikker“ zurückzugeben.

Auch aufgrund eigener Forschungen und der Veröffentlichung von Kurzbiografien von deutlich über 100 Osnabrücker Menschen im Widerstand beharrt der ILEX-Kreis darauf, diese künftig weit mehr in den Mittelpunkt zu stellen als die ambivalente historische Figur des Hans Calmeyer. Ein Untertitel „Forum Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ kann die künftige inhaltliche Ausrichtung des Gebäudes als Lernort weit eher verdeutlichen als ein Untertitel „What about Calmeyer?“, der künstlich konstruiert und mit Verweis auf die britische Nutzung des Hauses als an den Haaren herbeigezogen wirken würde.

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Im Einzelnen haben uns die folgenden Beweggründe dazu geführt, die oben formulierten Schlussfolgerungen aus der aktuellen Debatte zu ziehen:

  1. Wir zeigen großen Respekt vor der Sachkompetenz des Wissenschaftlichen Beirats, dessen Aufgabe es war, sich ausführlich nicht nur mit der Biografie Calmeyers auseinander zu setzen, sondern auch einen Blick auf aktuelle Forschungsergebnisse und auf die darauf aufbauende internationale Debatte zu werfen.
  2. Spätestens nach der Veröffentlichung einer Biografie der Autorin Els van Diggele über die Auschwitz-Überlebende Femma Flijsman-Swaalep wäre es insbesondere großen Teilen der niederländischen Öffentlichkeit nicht mehr zu vermitteln gewesen, das Haus nach einem offiziellen NS-Funktionsträger zu benennen, welcher zweifellos Leben gerettet, aber viele Menschen eben auch durch seine amtlichen Entscheidungen geopfert hat. Es gilt anzuerkennen, dass eine Privilegierung Calmeyers in wichtigen Teilen der niederländischen Öffentlichkeit zu Recht als pure Provokation empfunden würde.
  3. Der ILEX-Kreis hätte insbesondere die sehr konstruktive, über Jahrzehnte gewachsene und sehr gedeihliche Kooperation mit wichtigen Teilen der niederländischen Öffentlichkeit gefährdet gesehen, hätte man die bisherige Villa Schlikker nach Calmeyer benannt. Insbesondere Themen mit immensem und vor allem nachhaltigen Forschungspotenzial wären gefährdet. Dies gilt insbesondere für die Erforschung der Lebensgeschichten niederländischer Gefangener im Augustaschacht und in anderen Formen der Zwangsarbeit, für die Tätigkeit Vordemberge-Gildewarts in den Niederlanden, für die Vorgänge um eine illegale SPD-Konferenz in Almelo mit darauf folgenden Hochverratsprozessen, für die Erforschung der Widerstandsgruppen um Lissy Rieke oder Otto Meyer, für die Aufarbeitung der Vita des in die Niederlande geflohenen, für Osnabrück zuständigen SPD-Reichstagsabgeordneten Hermann Tempel und für die Expertise über weitere Widerstandsaktivitäten in den Niederlanden mit Bezug zur Region Osnabrück. Alle Forschungen müssen gemeinsam mit Akteur*innen der Niederlande weiter solidarisch und vertrauensvoll fortgeführt werden.
  4. Der ILEX-Kreis stützt sich, neben weiteren Erkenntnissen, auch auf eigene Forschungen und Veröffentlichungen. Die publizierten Namen und Kurzbiografien von deutlich über 100 Osnabrücker*innen, die sich aktiv und selbstlos dem NS-Terror entgegengestellt haben, müssen bei künftigen historischen Präsentationen weit mehr in den Mittelpunkt gestellt werden als die ambivalente historische Figur des Hans Calmeyers. Allein die bislang publizierten Biografien verkörpern außerdem eine historische Umsetzung des im Grundgesetz von 1949 aufgrund geschichtlicher Erfahrungen niedergelegten Widerstandsrechts. Dies ist insbesondere im Hinblick auf Erkenntnisse nachwachsender Generationen von hoher Bedeutung.
  5. Obwohl man auch über eine andere Namensnennung hätte nachdenken können, welche die Zielsetzung der Präsentationen des Hauses deutlicher unterstreicht, ist die jetzt gewählte Position des Beirats überaus nachvollziehbar und gut begründet. Die Villa Schlikker heißt nach ihren Erbauern. Der Name entstand somit lange vor 1933. Ob der Erbe die Villa der NSDAP unentgeltlich überließ und unter welchen Umständen dies geschah – vielleicht auch vor dem Hintergrund von Pressionen – ist bislang nicht hinreichend sicher erforscht. Ein mögliches Fehlverhalten des Erben kann als solches kein Grund für die Tilgung des Namens sein. Zudem waren es die Nazis, die mit dem Traditionsnamen brachen und die Parteizentrale nach ihrem Führer nannten. Das wurde 1945 revidiert. Insofern kann man die Rückkehr zum alten Namen auch als Ausdruck der Wende zu einem demokratischen Staat verstehen. Dies ist eine weitaus besser zu vermittelnde Lösung als ein „Hans-Calmeyer-Haus“, zumal Calmeyer selbst keinerlei historischen Bezug zum Haus besessen hat.
  6. Letzterer Punkt orientiert sich auch an einem wichtigen Grundsatz historischer Präsentation, Geschichte dort auszustellen, wo sie sich ereignet hat. Damit ergäbe sich auch die Orientierung an einem „topografischen Glücksfall“.
  7. Von entscheidender Bedeutung für die zukünftige historische Präsentation innerhalb des Gebäudes muss das Geschehen in Osnabrück selbst sein, zumal im Keller des Gebäudes auch inhaftiert und gefoltert wurde. Sehr wohl darf anklingen, welche Rolle Menschen Osnabrück in besetzten Orten außerhalb des Deutschen Reiches (neben Calmeyer wären dies beispielsweise NS-Kreisleiter Münzer in Den Haag, der Osnabrücker Bürgermeister Windgassen in Riga, der Widerstandskämpfer Otto Meyer oder die ins Exil geflohene Alwine Wellmann) gespielt haben.
  8. Eine nicht ambivalente Präsentation der Themen „Verfolgung und Widerstand“ steht weit eher mit den architektonischen Intentionen Daniel Libeskinds, der bewusst eine bauliche Diagonale vom Nussbaum-Haus zum ehemaligen „Braunen Haus“ gezogen hat, um auf die Verantwortung des Nationalsozialismus für das tragfische Lebensschicksal Nussbaums hinzuweisen.
  9. Mit dem vorgeschlagenen Untertitel „Forum Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ wird die künftige inhaltliche Ausrichtung des Gebäudes als Lernort verdeutlicht. Damit kann ein Zeichen gesetzt werden für einen offenen Diskurs in der Auseinandersetzung über die lokale NS-Geschichte mit Bezügen bis hin zu den aktuellen gesellschaftlichen Entwicklungen, und dies fernab von jedweder Heroisierung. Mit dieser Ausrichtung kann der neue Lernort zu einer Stärkung demokratischer Strukturen beitragen.
  10. Einen Untertitel „What about Calmeyer?“ lehnt der ILEX-Kreis entschieden ab. Für eine solche Fokussierung auf die ambivalente Persönlichkeit Calmeyer gibt es im Kontext des historischen Gebäudes „Villa Schlikker“ keine seriöse Rechtfertigung: Calmeyers Wirken als Nazi-Funktionär, im Positiven wie auch im Negativen, hat ausschließlich in den besetzten Niederlanden stattgefunden. Eine besondere Hervorhebung Calmeyers, sei es auch nur durch einen solchen Untertitel, wäre für all jene nahezu 100 Widerständler, die sich hier vor Ort gegen das NS-Regime gestellt und dafür Erniedrigungen, Misshandlungen und oft sogar den Tod in Kauf genommen haben, posthum ein Schlag ins Gesicht. Von entscheidender Bedeutung für die zukünftige historische Präsentation innerhalb des Gebäudes muss deshalb nach Auffassung des ILEX-Kreise das Geschehen in Osnabrück selbst sein, zumal im Keller des Gebäudes auch inhaftiert und gefoltert wurde.
  11. Eine Verbindung mit dem in Englisch verfassten Zitat Calmeyers herzuleiten, weil das Gebäude nach der Befreiung Deutschlands und Osnabrücks 1945 durch die Alliierten vorübergehend als Sitz der britischen Militärregierung genutzt wurde, wirkt konstruiert und an den Haaren herbeigezogen.
Fahnenhalle im Hitlerhaus Osnabrück 1937 - Foto Rudolf LichtenbergFahnenhalle im Hitlerhaus Osnabrück 1937 - Foto Rudolf Lichtenberg
Ehrenhalle im Hitlerhaus 1937 - Foto Rudolf LichtenbergEhrenhalle im Hitlerhaus 1937 - Foto Rudolf Lichtenberg
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