Sonntag, 19. Mai 2024

Angela Steidele liest aus „In Männerkleidern“ auf dem ersten queeren Literaturfestival in Osnabrück

In „Rock“ (Männerjacke) und Hosen kleidete sich verbotenerweise Catharina Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel und trieb sich im wahrsten Sinne in Norddeutschland herum.

Dass die Geschichte der verwegenen Catarina Linck keine Fiktion ist, sondern um 1800 herum wirklich stattfand, belegte Angela Steidele eindrucksvoll an Hand von auf die Leinwand geworfenen Zeichnungen, Gerichtsakten, Eintragungen ins Geburten- und Heiratsregister und anderen Dokumenten.

Es ist schon erstaunlich, dass dieses eine Leben eine solche Aufmerksamkeit erhalten hat, ist es doch schon lange „normal“, dass Frauen Hosen tragen, ja, dass es keinen wirklichen Unterschied mehr gibt zwischen Kleidung, Frisuren, Schmuck usw. – jede/r, wie es ihr/ihm/ihnen gefällt.

Aber vor gerade einmal 200 Jahren war das sehr viel anders. Allerdings, so Angela Steidele, kann Historie immer nur im Rückblick mit dem Wissen von heute, das ja einfach da ist, betrachtet werden. Und so lässt sich zum Beispiel nicht mit Sicherheit sagen, ob Catharina Linck homosexuell oder trans war, oder einfach nur die besseren Möglichkeiten sah, die ein Leben als Mann ihr bot.

Wie dem auch sei, ihr Spiel mit den Geschlechterrollen und die Ehe, die sie sogar mit einer Frau einging, kostete sie letztendlich das Leben: Wegen „Unzucht“ wurde sie 1821 hingerichtet.

Angela Steidele brachte auch so einige Kuriositäten aus den Gerichtsakten zu Tage:
So war es üblich, dass Todesurteile noch einmal von einem mehrköpfigen Gremium überprüft werden mussten. Während nun ein Teil der „Schöffen“ dem Urteil und seiner Begründung (Unzucht zwischen zwei Frauen) zustimmten, hatte der andere Teil Bedenken: „Es könne keine Unzucht gegeben habe, da die Frauen nicht über das entsprechende Körperteil verfügen, mit dem sie hätten Unzucht betreiben können“. Leider wurde dieser Gedanke beim endgültigen Urteilsspruch verworfen, so dass Catherina/Anastasius zum Tode durch das Schwert verurteilt wurde.

Obwohl nun eigentlich historischen Eintragungen in Geburtenregistern und Gerichtsakten ein sehr trockener Stoff sind, schafft es Angela Steidele, ihre Forschungsergebnisse in eine absolut spannende Geschichte zu packen, bei der man einfach nicht weghören kann (oder nicht aufhören kann zu lesen).

Hier noch einmal in Kurzform die Bücher, die per Autor*innenlesung auf dem ersten queeren Literaturfestival im Rahmen von „Gay in May“ in der Osnabrücker Kunsthalle im Rahmen einer jeweils eineinhalbstündigen Lesung vorgestellt wurden:

Angela Steidele – In Männerkleidern. Das verwegene Leben der Catharina Linck alias Anastasius Lagrantinus Rosenstengel, hingerichtet 1721
Luca Mael Milsch – Sieben Sekunden Luft
Duygu Ağals – Yeni Yeşerenler
Lion Christs – Sauhund
Alicia Zett – Wie Wellen im Sturm
Pierre Stutz – Wie ich der wurde, den ich mag

Foto: Kerstin Broszat

Neben den persönlichen Lesungen waren im Kreuzgang der Kunsthalle (ehemaliges Dominikanerkloster) in den Fensternischen sechs Hörstationen aufgebaut, an denen man sich auf gemütlichen Sofas niederlassen konnte, um per Kopfhörer einigen Kurztexten zu lauschen, die von den Autor*innen selbst eingesprochen worden sind. Dabei sind: Anna Hetzer, Samira El-Maawi, Ahmed Sadkhan, Tessa Hart, Juri Wasenmüller und Lou Dietz.

Diese Texte sind auch weiterhin über den Soundcloud-Account des Literaturbüros Westniedersachsen zu hören: https://soundcloud.com/literaturbuero_wn

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