Mittwoch, 24. April 2024

Bewegte Zeiten in GMhütte

1970-1990: Neues Buch präsentiert turbulentes Zeitgeschehen am Beispiel einer Kleinstadt vor den Toren Osnabrücks

Mobilisierung und politischer Aufbruch
Mein persönlicher Literaturtipp für den Weihnachtsbaum – oder schon davor! Anlass: Beinah druckfrisch auf dem Markt ist das Sachbuch „Erinnerungen an bewegte Zeiten“. Es handelt von politischen Kämpfen, Initiativen und Kampagnen in den 1970er- und 80er-Jahren. Klar: Bücher über die politischen und soziokulturellen Bewegungen der 1968er, 70er und 80er gibt es mittlerweile natürlich etliche – und alle könnten durchaus Regalreihen füllen. Dies ist natürlich nicht verwunderlich, weil die 68er-Bewegung mit den nachfolgenden soziokulturellen Umbrüchen als Beginn einer besonderen Epoche in der Geschichte der Bundesrepublik Deutschland interpretiert wird. Auch die politische Sozialisation des Verfassers wurde in dieser Zeit maßgeblich geprägt, weshalb er Publikationen aus dieser Zeit verständlicherweise mit besonders großem Interesse verfolgt. Zugleich zeigt die eigene Erfahrung aber auch, dass auch weitaus jüngere Menschen zunehmend Interesse an der damaligen Zeit des großen Umbruchs verlautbaren.

Wider den falschen Eindruck
Um es vorweg zu nehmen: In der Literatur entsteht oft der völlig falsche Eindruck, dass die politischen Bewegungen der 68er und 70er ausschließlich in den Großstädten und hier insbesondere in den Universitätsstädten stattfanden. Diesem Vorurteil begegnen die beiden Herausgeber Rainer Korte und Hans-Georg Weisleder im aktuell erschienenen Buch „Erinnerungen an bewegte Zeiten – Mobilisierung und politischer Aufbruch in Georgsmarienhütte 1970 – 1990“. Sie machen es sehr glaubhaft.

Kein Wunder: Die beiden Herausgeber sind keine Unbekannten in der Region. Rainer Korte war langjähriger Georgsmarienhütter Kommunalpolitiker und lange Jahre linker Einzelkämpfer in der SPD-Fraktion. Hans-Georg Weisleder machte sich schon als Aktivist der GMHütter Jugendzentrumsszene und später als Fachdienstleiter Jugend bei der Stadt Osnabrück einen Namen. Beide präsentieren nun zusammen mit 19 weiteren ehemaligen Aktivist*innen politischer Auseinandersetzungen anhand ausgewählter Beispiele, was damals vor den Toren Osnabrücks, hier in Gestalt des Städtchens Georgsmarienhütte, los war. Herausgekommen ist eine interessante, überaus authentische Artikelsammlung mit 46 Beiträgen über den politischen Aufbruch und die soziokulturellen Entwicklungen jener Zeit.

Was Lesende erwartet
Lesende der durchwegs spannenden Beiträge finden Ereignisse, die womöglich ohne dieses Buch in Vergessenheit geraten wären. Lebendig werden der Kampf um ein selbstverwaltetes Jugendzentrum, die heftigen Proteste in der katholischen Jugendarbeit, linke Kommunalpolitik der Jusos, Friedensmärsche, Widerstand gegen eine Sondermüllverbrennungsanlage, Bürgerinitiativen gegen die A 33 und die B 51. Nachverfolgt werden die Entstehung der Grünen, Aktionen für den Erhalt des bedrohten Stahlwerks, Rockkonzerte auf der Waldbühne sowie „Hüttenrock“ im Jugendzentrum.

All dies sind Beispiele aus dieser bewegten Zeit, in der sich nicht nur der politische Protest artikulierte, sondern sich zugleich ein dauerhafter kultureller Wandel durchsetzte.

Füllung einer Lücke
Auch wenn die Herausgeber mit ihrer „anderen Stadtgeschichte“ einen wissenschaftlichen Anspruch von sich weisen, füllen sie mit der Schilderung der vielfältigen Aktivitäten zweier Jahrzehnte eine bedeutende Lücke in der politischen und sozialwissenschaftlichen Darstellung. Dass die 68er und deren Folgebewegungen nicht nur in den Metropolen und Universitätsstädten stattgefunden haben, sondern auch in Kleinstädten und auf dem Lande, wird damit eindrucksvoll belegt. Georgsmarienhütte ist in der Tat ein bemerkenswertes wie gut ausgewähltes Beispiel dafür.

Ideale Ergänzung
Das Werk ist eine ideale Ergänzung zu dem von Reiner Wolf und dem Verfasser im letzten Jahr herausgegebenen Buch „Aufbruch und Krise. Osnabrück in den 70er Jahren“. Ganz offensichtlich war die gesamte Osnabrücker Region damals in heftiger politischer Bewegung. Es ist darum sehr interessant und aufschlussreich, sich diese politisch facettenreiche Epoche nochmals in Erinnerung zu rufen und die Jahre in all ihrer Vielfalt zu erkennen.

„Erinnerungen an bewegte Zeiten“ ist im Selbstverlag erschienen und wurde durch ein Crowdfunding der ehemaligen Protagonisten und Sympathisanten sowie mit Hilfe weiterer Sponsoren finanziert. Auch das macht das Buch sympathisch.

Infos über den lesenswerten, mit vielen Fotos und Zeitdokumenten angereicherten Band können gern unter http://70er80ergmh.de eingesehen werden. Das Buch ist im örtlichen Buchhandel erhältlich, kann aber ebenso unter Mail@70er80ergmh.de bestellt werden.

 

 

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