Sabine Meyer: Märchenerzählerin, Erfinderin des Erzähltheaters Osnabrück und des Märchenautomaten, Erzähler*innen-Vermittlerin, Autorin, Regisseurin und Anleiterin, Workshop-Leiterin, und, und, und. Dies ist der Versuch, das alles und noch viel mehr in ein kurzes Interview zu packen.
Sabine Meyer und ich trafen uns im vergangenen Jahr zu einem gemütlichen Tässchen Kaffee im leisen Speicher im Hafen. Aus der ursprünglich geplanten dreiviertel Stunde wurden zweieinhalb mit abschließendem Bestaunen des Requisiten-Fundus des Erzähltheaters Osnabrück. Selten habe ich einen so energiegeladenen, positiven und kreativen Menschen kennengelernt.
Bevor wir aber mit dem Interview loslegen, möchte ich kurz das allerneueste Projekt von Sabine Meyer vorstellen: BILDWORT. Dieses Projekt wird zusammen mit Birgit Kannengießer im „KunstSprung“ durchgeführt und lebt von dem Zusammenspiel zwischen Erzählen und künstlerischem Ausdruck, der wieder zum Erzählen angeregt.
Es wird in Zusammenarbeit mit der Frauenberatungsstelle angeboten. Weitere Infos und Anmeldung: www.erzaehltheater-os.de/wp/project/bildwort/
Kerstin Broszat, Osnabrücker Rundschau: Endlich hat es geklappt mit dem Interview-Termin. Es war ja gar nicht so einfach, weil Sie trotz der aktuellen Corona-Einschränkungen im Theater- und Kreativ-Bereich immer wieder neue Ideen entwickelt haben und diese dann auch versucht haben, zu verwirklichen.
Sabine Meyer: Ja, nach der ersten Schockstarre kam schnell die Erkenntnis, dass diese Pandemie und die damit verbundenen Einschränkungen wohl nicht so schnell vorübergehen, wie gedacht und erhofft. Mit der Unterstützung meines Mannes haben wir quasi über Nacht das Erzähltheater digitalisiert und eine digitale Erzählplattform für Erzählevents und Schulungen aufgebaut.
Herausgekommen sind die Ideen für viele digitale Formate, wie das „digitale Märchenfenster“ (www.erzaehltheater-os.de/wp/maerchenfenster), bei dem täglich ein Märchen per Video erzählt wurde, sogar noch bis Anfang 2022. Inzwischen sind es über 400 geworden, präsentiert von vielen verschiedenen Geschichtenerzählerinnen und -erzählern.
Für das Buchprojekt „Eine Stadt schreibt ein Buch“ der Stadtbibliothek Osnabrück habe ich zum Beispiel Menschen telefonisch begleitet, um sie zu unterstützen, ihre Geschichten aus der Coronazeit aufzuschreiben. Oder mit Schülern Geschichtenerfinder-Workshops durchgeführt; die Ergebnisse finden sich ebenfalls in dem Buch wieder.
Über die Künstlervermittlung „Die Erzählfinderei“, die mein Mann vor ein paar Jahren gegründet hat, konnte ich meine Erfahrung mit digitalen Erzählformaten und Projektrealisation als Coachingprojekte für Künstlerinnen und Künstler weitergeben. Das tut gut.
KB: Wie groß ist denn überhaupt im Moment ihr eigener Anteil an Verwaltungsarbeit. Es hört sich ja alles nach sehr vielen freudigen Stunden an, oder täuscht das?
Sabine Meyer: Zur Zeit ist der administrative Anteil für Veranstaltungen wesentlich höher als vor Corona. Die Veranstaltungsbedingungen müssen immer wieder den geltenden Vorschriften angepasst werden. Zwei Drittel meiner Arbeitszeit läuft wohl in diesem Bereich. Das gilt auch bei vielen Projekten so. Es gibt zur Zeit verschiedene Fördermöglichkeiten, aber die Antragsverfahren haben es teilweise wirklich in sich.
KB: Nun aber noch zu Ihnen selbst und weg von den Verwaltungsaufgaben. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, professionelle Märchenerzählerin zu werden?
Sabine Meyer: Mein Weg zur Märchenerzählerin begann, wie bei so vielen von uns damit, dass meine Eltern mit und meiner Schwester Geschichten und Märchen vorgelesen und erzählt haben. Doch einen richtigen Beruf daraus zu machen, kam mir lange nicht in den Sinn.
Ich habe BWL studiert und auch in dem Bereich gearbeitet. Nebenbei studierte ich Öffentlichkeitsarbeit, Journalismus und Theaterpädagogik. Dann wechselte ich in einen Verlag und lernte dort als meine Kundin eine Erzählerin kennen.
Jetzt kam mir der richtige Gedanke zur richtigen Zeit. Ich ließ mich von dieser Erzählerin ausbilden, kündigte meinen Job und gründete mit 41 Jahren das Erzähltheater Osnabrück. Ich war erstaunt, wie gut es von Anfang lief und begann das Erzähltheater über Netzwerke, Projekte, Ideen auszubauen. Heute biete ich wirklich ein buntes Programm an. Und der Weg ist noch lange nicht zu Ende. Dafür habe ich noch viel zu viele Ideen und Träume.
KB: Eine ganz besondere Sache habe ich auf Ihrer Internetseite noch entdeckt und zwar „die Märchenbox“. Ich weiß inzwischen, dass sogar eine Freundin von mir als Ergotherapeutin in Minden damit arbeitet. Was hat es damit auf sich?
Sabine Meyer: Diese „Märchenbox“ ist dank einer Förderung der Evangelischen Stiftungen in Osnabrück entstanden.
Ihr liegt die Idee zu Grunde, dass die alten Märchen jedem bekannt sind und dadurch dazu dienen könnten, an Demenz erkrankte Menschen wieder zu aktivieren. In den Märchenboxen gibt es umfangreiches Begleitmaterial wie Erzählfilme, Begleithefte, Aktivierungsmaterialien und die musikalische Begleitung zum Mitsingen, die Ingrid Neteler eingespielt hat.
KB: Ich habe inzwischen wirklich den Eindruck, dass Ihnen die Ideen niemals ausgehen werden. Kann das sein?
Sabine Meyer: Kreative Menschen leben von ihren kreativen Ideen. So geht es mir auch. Auf dem Weg, eine Idee zu realisieren, kommen neue Ideen, die ich wie Sterntaler aufsammele. So gelingt es mir dort, wo mir z.B. die Pandemie im Wege steht, noch andere Wege, Abzweigungen oder Pfade zu erkennen.
KB: Das ist ein gutes Schlusswort; unser Kaffee ist ja auch schon lange ausgetrunken. Ich wünsche Ihnen und allen Märchen- und Theaterfans noch viele tolle Einfälle! Vielen Dank für diesen absolut anregenden Nachmittag.
Zu guter Letzt möchten wir Ihnen natürlich noch die Internetadresse des Erzähltheaters Osnabrück ans Herz legen, wo Sie stöbern, Märchen hören und sich ganz viele kreative Ideen holen können: www.erzaehltheater-os.de/wp/