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Montag, 25. August 2025
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Podiumsdiskussion zur abgesagten Theaterproduktion „Ödipus Exzellenz“

„Ödipus Exzellenz“

Die ursprünglich für die Spielzeit 2025/26 angesetzte externe Regiearbeit „Ödipus Exzellenz“ wurde kurz vor der Sommerpause des Osnabrücker Stadttheaters aus dem Programm genommen – ein kommentierter Bericht.

Um das vermeintliche Einknicken der Theaterleitung, sprich: des Intendanten Ulrich Mokrusch, vor einem eventuellen Einspruch der katholischen Kirche vor dem Hintergrund der Thematisierung von sexualisierter Gewalt durch Amtspersonen der Kirche und der Darstellung eines Gottesdienstes in dem geplanten Theaterstück zu diskutieren, hatte die Giordano-Bruno-Stiftung am Donnerstag, 21. August um 17.00 Uhr verschiedene Personen auf eine offene Bühne in direkter Nachbarschaft zum Theaterbeach eingeladen.

Foto: starostneradost

Als Überschrift war gesetzt „Kunstfreiheit statt Kirchenlobbyismus – wieviel Missbrauchsaufarbeitung verträgt die Öffentlichkeit?“. Die Runde wurde sachkundig und souverän moderiert von der ehemaligen Bundestagsabgeordneten Angela Marquardt. Es äußerten sich vom entlassenen Regieteam Lorenz Nolting und Sophie Boiten, Kulturausschuss-Mitglied Dr. Kristina Pfaff, Karl Haucke (Betroffenenbeirat) und Thomas Kienast als Vertreter des Ensembles des Theaters Osnabrück. Das Bistum Osnabrück war offiziell eingeladen, hat jedoch keinen Vertreter geschickt – der Stuhl blieb demonstrativ leer.

Intendant Ulrich Mokrusch war nicht geladen und zwar mit der Begründung, dass dieser in den vergangenen Tagen und wohl auch in den kommenden die Öffentlichkeit bereits vielfach gesucht habe, um seine Darstellung der Abläufe, die zu dem von ihm vorgenommenen Abbruch der Produktion „Ödipus Excellenz“ geführt haben, nach draußen zu bringen.

(Nach Ansicht der Verfasserin bedauerlich, da nicht alle seine Ansicht kannten / kennen und daher über die wirklichen Gründe keine Aussprache oder Diskussion stattfand.)

Foto: starostneradost

Sehr viel Raum nahm die Frage ein, wie viel und was einem Theaterpublikum, Kunstinteressierten und der Öffentlichkeit überhaupt zugemutet werden kann, darf und sollte. Hier waren sich alle Anwesenden, sowohl die auf der Bühne Diskutierenden als auch die rund 250 Zuhörerinnen und Zuhörer einig: „sehr viel“ – frei nach dem Motto „Protest und Aufarbeitung muss weh tun, damit es in den Köpfen bleibt“!
Jede und jeder ist frei, selbst zu entscheiden, ob er es erträgt oder nicht, sehen und hören will oder nicht. Und diese Entscheidung sollte nicht „von oben“ abgenommen werden.

Dr. Kristina Pfaff verwies mit Blick auf „Kunst darf alles“ darauf, dass die Kunstfreiheit zwar durch unser Grundgesetz geschützt ist, aber die meisten Kunstschaffenden auf öffentliche Zuschüsse angewiesen sind. Und in Anbetracht leerer öffentlicher Kassen besteht durchaus die Gefahr, dass durch die Politik eine „Steuerung“ versucht werden könnte.

(Anmerkung der Verfasserin: siehe Entwicklung in den USA und der Versuch der Einflussnahme durch die CDU bei einer Ausstellung der Kunsthalle im vergangenen Jahr mit dem Thema „Kinder, seht mal alle her!“. Vielleicht hat so eine vage Furcht sogar die Entscheidung des Intendanten beeinflusst? Abhilfe schaffen könnten hier fest verankerte Finanzmittel für die Kultur, prozentual vom jeweiligen Kommunal-, Landes- und Bundeshaushalt – immerwährend.)

Nach 60 Minuten Podiumsgespräch wurden die Mikrophone für Fragen und Anmerkungen aus der Zuhörerschaft freigeschaltet. Unisono wurden dem jetzt gekündigten Regieteam für die Entwicklung bis zur Aufführung von „Ödipus Exzellenz“ (an einem anderen Ort) die Daumen gedrückt, aber es kam auch die Bitte (unter lautem Applaus), das Stück hier in Osnabrück dennoch aufzuführen, wo und wann auch immer.

 

Ergänzung der Redaktion: 
Uns erreichte zu dem Thema folgender Leserinnenbrief:

„Als geborene Osnabrückerin bin ich beschämt über dieses Geschehen am Stadttheater. Ein Intendant verbietet Inhalte eines Stücks über die Missbräuche an Kindern durch Amtsträger der katholischen Kirche (im Bistum OS mindestens 400 Fälle). Darüber soll öffentlich nicht gesprochen werden?

An diesem Theater war es schon in den 60er Jahre möglich, die „Publikumsbeschimpfung“ und „Kaspar Hauser“ (Handke) aufzuführen, und heute regiert ein Intendant mit Verboten? Mit einem Revers, den Künstler unterschreiben sollen? Mit Entlassung von unliebsamen Künstlern? Wozu Theater, wenn es nicht provozieren, empören und übertreiben darf, um aufzurütteln und wachzumachen? Dazu gibt es die Kunstfreiheit.

Intendant U.Mokrusch sorgt sich um seine persönliche Seelenruhe (Kaffee mit dem Generalvikar) und die der Osnabrücker Katholiken (ein Gottesdienst und ein Vaterunser im Stück könnten sie angeblich peinigen). Um die missbrauchten Kinder und deren Anspruch auf Öffentlichkeit und Wiedergutmachung sorgt er sich wohl weniger. Osnabrück ist nicht mal überwiegend katholisch, sondern nur zu einem Drittel. Das dritte Drittel ist konfessionslos. Die Zahl der Kirchenaustritte ist steigend. Für diese fühlt sich Herr Mokrusch wohl weniger zuständig. Er verbietet gleich für die ganze Stadt. Kann man den Menschen, auch den katholischen, nicht zutrauen, selbst zu entscheiden, welche Theaterstücke sie sehen möchten?

Bisher habe ich oft von meiner Geburtsstadt geschwärmt, nun ist es mir peinlich. Die alte Postkarte „Ich komm zum Glück aus Osnabrück“ habe ich zerrissen und entsorgt …

Sybille Winter, 21614 Buxtehude“

 

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