Die erste Premiere der neuen Spielzeit war der Romanadaption von Emine Sevgi Özdamars „Die Brücke vom goldenen Horn“ im emma-theater gewidmet.
„Goldenes Horn“ wird ein Wasserarm mitten in Istanbul genannt, und Istanbul ist die Heimatstadt von Emine Sevgi Özdamir, in der ihre Eltern lebten, in der sie viele Jahre gelebt hat, aber in den 60er Jahren mit 18 nach Deutschland ging, um als Gastarbeiterin Geld für ein Schauspielstudium in der Türkei zu verdienen. Vor diesem Hintergrund schildert sie in ihrem Roman als Ich-Erzählerin ihre Erlebnisse und vor allem auch die politischen Entwicklungen in Deutschland und in der Türkei.
Mit diesem Roman als Vorlage schufen Sascha Maria Icks, 00Lua Mariel Barros Heckmanns und William Hauf (neu im Ensemble) mit ihrer immensen Spielfreude zusammen mit Regisseur Tanju Girişken eine szenische Buchübersetzung der ganz besonderen Art, die lange nachhallt.
Alle drei wirkten abwechselnd als Ich-Erzählerin und nahmen im Laufe des Stücks immer wieder andere Rollen ein: von der Akkordarbeiterin im Frauenheim, die auch nach Monaten noch kein Wort deutsch kann, weil dort untereinander kein deutsch gesprochen wird, über den kommunistischen Heimleiter, der Zugang zu deutschen „linken“ Zeitungen ermöglicht, aus deren Überschriften ein wenig deutsch gelernt wird, über die sich an Protestmärschen beteiligende Studentin bis hin zu Mutter und Vater von Emine, die sie, wieder zurück in Istanbul, mit ihrer Vorstellung von einem zukünftigen bürgerlichen Leben fast erdrücken.
Die erste Hälfte der Aufführung ist etwas zu sehr auf Schauwerte angelegt, die durch viele fast slapstickartige Einlagen zwar für viele Lacher sorgen, dadurch aber die erdrückende Akkordarbeit, die schlechte Unterbringung und anderes in den Hintergrund rücken.
Doch nach und nach übernehmen die drei ansonsten toll aufspielenden Schauspieler den Ernst des sich wandelnden politischen Hintergrunds („Benno Ohnesorg ist tot!“) und man spürt förmlich wie sich die Angst in der Türkei breit macht (hier kommt es zu einem Militärputsch, nach dem die freie Meinung nichts mehr zählt).
Sängerin Elif Batman (bei zukünftigen Aufführungen im Wechsel mit Seda Devran) beschloss mit einem eindringlichen Lied das Theaterstück, die Bühnenbeleuchtung erlosch und ein verdient großer, langanhaltender Applaus belohnte Ensemble, Theaterteam und die Autorin, die persönlich anwesend war.
Nachsatz: Konsequent verließ Emine Sevgi Özdamars nach dem Putsch die Türkei Richtung Deutschland und Frankreich und fing neben einigen Schauspiel- und Regieengagements an zu schreiben – auf Deutsch.
Anmerkung von Regisseur Tanju Girişken, der ebenfalls die Türkei vor Jahren verlassen hat: „Für mich ist der Roman die Geschichte all derer, die das freie Denken in einer anderen Sprache gefunden haben, die ihre Worte in der Sprache der anderen geheilt haben.“
Karten für das Stück, das sich auf jeden Fall lohnt und bis zur letzten Minute fesselt, gibt’s hier: www.theater-osnabrueck.de/