Handgiftentag 2024
Rede von Volker Bajus, Vorsitzender der Gruppe Grüne/Volt
Es gilt das gesprochene Wort
Sehr geehrter Herr Ratsvorsitzender,
sehr geehrte Frau Oberbürgermeisterin,
sehr geehrte Frau Landrätin,
sehr geehrte Ehrenbürger Hans-Jürgen Fip und Bundespräsident a. D. Christian Wulff,
liebe Träger:innen der Möser- und der Bürgermedaille,
Kolleg:innen aus Europaparlament, Bundestag, Landtag und Stadtrat,
sehr geehrte Damen und Herren,
ich wünsche Ihnen im Namen der Fraktion Grüne/Volt ganz herzlich alles Gute, Glück, Gesundheit und Zufriedenheit für das neue Jahr!
Gute Wünsche können wir alle im Moment ganz gut gebrauchen. Für den politischen Beobachter, der sich über die Tage nicht völlig abschotten konnte, war gemütliche Besinnlichkeit wohl eher Mangelware.
Da sind die russischen Raketenangriffe gegen ukrainische Städte, die sich – mitten im Winter – offensichtlich gegen die Zivilbevölkerung richten.
Auch im Nahen Osten hat der Terror der Hamas immer noch kein Ende, während sich die humanitäre Notlage in Gaza dramatisch zuspitzt. Hoffentlich gelingt es der gestern gestarteten Mission des Westens mit Blinken, Baerbock und Borrell zu vermitteln.
Wenig erbaulich war auch, dass Silvester nur dank erheblichen Polizeieinsatzes erheblich friedlicher war. Und dann wären da bundesweite Bahnstreiks und massive Bauernproteste …
Eigentlich wäre das alles Krise genug. Eigentlich. Wäre da nicht auch noch das Wetter!
Eigentlich haben wir uns noch vor Kurzem nach langer Dürre über reichlichen Niederschlag gefreut. Doch dieser Dauerregen war dann doch zu viel. Große Teile Niedersachsens sind überflutet. Nur 13 Jahre nach dem letzten „Jahrhunderthochwasser“ an Hase, Düte und Nette, gab es auch bei uns in vielen Kellern „feuchte Bescherungen“. Ministerpräsident Stephan Weil sprach von einer noch nie dagewesenen Flut.
Mit dem Wetterwechsel ist hoffentlich das Schlimmste überstanden. Zum Glück sind Menschen körperlich kaum zu Schaden gekommen. Aber die Sachschäden sind gewaltig.
Anrede,
die Klimakrise ist da – und zwar mit voller Wucht. Das ist die bittere Botschaft der Katastrophe. Und trotzdem, allen Widrigkeiten zum Trotz, gibt es dennoch auch Gutes:
- Klimaanpassung lohnt: Osnabrück hat nach der Dauerregen-Katastrophe 2010 viel für den Hochwasserschutz getan. Das hat geholfen, auch wenn es noch nicht reicht.
- Gegen mehr Wetterextreme gibt es ein Mittel und das heißt wirksame Klimapolitik. Klar, mit Blick auf den letzten Klimagipfel in Dubai geht das zwar alles viel zu langsam, aber es geht. Weltweit wird massiv in erneuerbare Energien investiert. In Deutschland liegt der Anteil beim Strom inzwischen bei weit über 50 Prozent. Auch in Osnabrück boomt Ökostrom vom Dach und Balkon.
- Der Katastrophenschutz hat hervorragende Arbeit geleistet. Nicht zuletzt, weil in Ausrüstung und Organisation viel investiert wurde. Aber das alles wäre nichts ohne die Menschen dahinter. Es waren die über 100.000 ehrenamtlichen und hauptamtlichen Helfer:innen, die Sandsäcke statt Weihnachtsgeschenke gepackt und Wasser geschöpft statt Blei gegossen haben. Mit dabei waren etwa im Landkreis und Emsland auch viele Osnabrücker Feuerwehrleute und THW-Mitglieder. Allen Helfer:innen gebührt Respekt und Riesendank!
Anrede,
das ist doch die eigentlich frohe Botschaft in schwierigen Zeiten: Wenn es darauf ankommt, ist unsere Gesellschaft stark, sind die meisten Menschen beherzt und solidarisch und stehen zusammen.
Das gerät im politischen Alltag schnell in Vergessenheit. Denn in den letzten Jahren hat sich der politische Diskurs verschoben. Er wird immer mehr von Nörglern, Stinkstiefeln und Pessimisten bestimmt. Das hat viel mit der Digitalisierung der Öffentlichkeit, mit den Filterblasen der sozialen Medien zu tun. Und bei den verbreiteten, kostenlosen Online-Medien geht es nicht um Journalismus, sondern nur noch um Klicks und Aufmerksamkeit, die man am einfachsten mit Angst, Horror und Negativem erzeugt.
Deswegen ist genau das auch die Tonalität der Rechtsextremen, der „Querdenker:innen“, der AfD, deren Kommunikation sich aufs Miesmachen, Hass und Hetze reduziert.
Anrede,
so aber kann keine Zivilisation überleben. Unsere Gesellschaft steht auf anderen Schultern. Auf den Konstruktiven, Solidarischen, den Kreativen und Einfallsreichen, auf den Positiven, Mutigen und Optimistischen. Das ist, bei allem Schrecken und Schaden, die „gute Botschaft“ der Katastrophe.
Anrede,
viele Menschen sehnen sich danach, dass alles so bleiben könnte, wie es ist, weil Veränderung Unsicherheiten erzeugt.
Die Haltung ist verständlich – nützt aber nichts. Wohlstand und Lebensqualität werden wir nur halten können, wenn der klimaneutrale Umbau von Produktion und Infrastruktur gelingt. Wer den Menschen, wie es die extreme Rechte tut, suggeriert, es brauche keine Veränderung, der lügt.
Unsere Aufgabe ist es, die Bürger:innen mitzunehmen und für den Wandel zu ermutigen. Das geht nicht, indem man alles schlecht redet, weil es so gut ins eigene politische Kalkül passt und den politischen Gegner:innen schadet. Sondern positive Visionen dagegensetzt.
Anrede,
schwierige Mehrheitsverhältnisse dürfen keine Ausrede sein. Viele waren zu Beginn dieser Periode skeptisch, ob das Wahlergebnis in Osnabrück funktionieren kann: Eine grün-rote Mehrheit und eine schwarze OB? Ist das nicht Dauerblockade total?
Nach gut zwei Jahren erlaube ich mir zu sagen: Es kann gelingen, wenn man sich zusammenreißt und den Kompromiss sucht. Und das tun wir. Dass wir dabei auch die CDU und die anderen Fraktionen, wo es geht, einbinden, macht Sinn, ist aber keineswegs eine Selbstverständlichkeit.
Klar gibt es auch weiter erhebliche Differenzen. Etwa die auf hohem Niveau geführte Debatte um die Namensgebung für die Villa. Oder die Entscheidung zur Infrastrukturabgabe für Bauwillige oder Parkgebühren. Und vieles mehr. Wir sind ja nicht ohne Grund in verschiedenen Parteien.
Aber, wir sind in Osnabrück bereit, aufeinander zuzugehen, weil ein hart errungener Kompromiss besser ist, als gar keine Entscheidung.
Nur weil sich alle bewegt haben, sind wir zum Beispiel beim Thema Radsicherheit endlich weitergekommen. Die Radwende ist jetzt auf dem Weg. Das gilt auch für den Kompromiss zum „Neumarktfrieden“.
Auch wenn es schwierig wird, hält dieser lösungsorientierte Grundkonsens. Als Beispiel die Kitakrise: Wenn wir den Mangel schon nicht auflösen können, sorgen wir zumindest für eine gerechtere Verteilung. Oder die Einsparungen beim Busnetz. Oder die Zustimmung für den Haushalt 2024.
So entsteht in Osnabrück tatsächlich eine neue Art politischer Kultur. Hören wir auf, unsere Stadt schlecht zu reden. Im diesem Jahr werden wir die baurechtliche Voraussetzung für das neue Lok-Viertel schaffen. Am Neumarkt wird das Projekt Johannishöfe gestartet und die Ruinen kommen endlich weg. Mit dem neuen Ledenhof entsteht ein weiterer Treffpunkt und rückt die Uni näher an die City. Gemeinsam mit dem Landkreis werden wir die Regionalisierung des ÖPNV vorantreiben. Wir haben auch in 2024 noch viel vor!
Anrede,
in Osnabrück sind über 60.000 Menschen im ehrenamtlichen Einsatz, in der Feuerwehr, im Sport, im Sozialarbeit, der Kirche, im Bürgerverein, als Eltern in Schule und Kita. Politik und Staat können diese nicht ersetzen. Aber wir können für gute Rahmenbedingungen und gute Stimmung in einer lebenswerten Stadt sorgen. Das hat der Stadtrat in schwieriger Lage zuletzt auch mit dem Beschluss zum Haushalt 2024 getan.
Anrede,
viele Bürger:innen im Ehrenamt wünschen sich mehr Anerkennung und „Gesehenwerden“. Für außerordentlichen bürgerschaftlichen Einsatz gibt es schon die Bürgermedaille. Ich kann mir aber auch gut vorstellen, dass wir, wie viele andere Städte, auch das Engagement in der Breite, die „ganz normalen Freiwilligen“, zum Beispiel an einem deutlich aufgewerteten Tag des Ehrenamts besonders auszeichnen. Damit würden wir zugleich auch Werbung für das Ehrenamt selber machen. Es würde mich freuen, wenn ich Sie für diese Idee gewinnen kann!
Ich wünsche Ihnen und der ganzen Stadt für 2024 mehr Mut, mehr Zuversicht und das Glück der Tapferen. Bleiben Sie munter!