Der Fall Pfingst als frühe „Arisierung“ in Osnabrück

Vortrag Martina Sellmeyers am 5. Dezember im Museumsquartier

Die stark nachgefragte Reihe „Topografien des Terrors“ erfährt ihre Fortsetzung. Das Museumsquartier Osnabrück lädt für Donnerstag, 5. Dezember, um 19 Uhr zu einem Vortrag mit OR-Redakteurin Martina Sellmeyer ein, in dem es um NS-Verbrechen geht, die bereits vor deren Regierungsübernahme begangen wurden.

Überschrieben ist der Sellmeyer-Vortrag mit dem Titel „Der Fall Pfingst – die früheste ‚Arisierung‘ in Osnabrück“. Die Veranstaltung findet im Vortragssaal des Kulturgeschichtlichen Museum statt. Der Zutritt erfolgt über den Haupteingang des Museumsquartiers. Der Eintritt ist frei.

Zu erfahren ist, dass entgegen vielfacher Vermutungen bereits vor der Machtübergabe an die Nationalsozialisten damit begonnen wurde, jüdisch geführte Geschäfte zu boykottieren. Erst am 1. April 1933 sollten die offiziell von der NS-Regierung eingeleiteten Boykottaktionen beginnen.

Schon 1928, kurz vor Weihnachten, hatten Nationalsozialisten auf Osnabrücker Straßen ein hetzerisches Flugblatt verteilt, in dem – dargestellt unter anderem auf einem markierten Stadtplan – jüdisch geführte Geschäfte aufgeführt wurden, um diese zu brandmarken. „Wer sein Geld zum Juden trägt, sich mit eigenen Fäusten schlägt“, hatte es in jenem Pamphlet geheißen. Gefahr? Noch war alles zu diesem Zeitpunkt überschaubar geblieben, denn im gleichen Jahr hatte die NSDAP noch ganze 2,6% bei den Reichstagswahlen erhalten.

Der erste Boykott gegen ein Geschäft eines jüdischen Inhabers in Osnabrück, über den Martina Sellmeyer jetzt berichten wird, begann ebenfalls bereits vor 1933. In diesem Fall galt der Boykottaufruf allerdings noch nicht offiziell als „Arisierung“, sondern als Kampf gegen ein modernes Einheitspreisgeschäft an der Großen Straße.

Dennoch waren an dem „Fall Pfingst“ alle späteren Protagonisten der „Arisierungen“ beteiligt: Oberbürgermeister Erich Gärtner (ins Amt gewählt als Mitglied der liberalen Deutschen Volkspartei), Regierungspräsident Sonnenschein (katolische Zentrumspartei) und – teils offen im Landtag, teils „undercover“ agierend – Vertreter der NSDAP.

Dass die treibende Kraft aber die Osnabrücker Kaufmannschaft, vertreten durch den Detaillistenverein, war, verweist auf die Interessenlagen hinter der systematischen Vernichtung der Existenzen jüdischer Kaufleute ab 1933. Der Fall des Kleinwarenhauses Heinrich Pfingst enthüllt auch, warum ein Mitglied der Familie Flatauer aus der Herderstraße bereits Anfang 1933 im „Braunen Haus“ halbtot geprügelt wurde. Interessant ist der Fall zudem deshalb, weil hier die Angestellten des Geschäfts öffentlich Position zu den Diffamierungskampagnen mit reißerischen Schlagzeilen wie „Mädchenschicksale im Kleinwarenhaus“ gegen die jüdischen Geschäftsführer bezogen.

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