Sonntag, 7. Januar 2024

Kacktore, Rasen-Slapstick, Ausrutscher und ein Überraschungsgast

Arnd Zeigler gastiert mit seiner »Wunderbaren Welt des Fußballs« in der OsnabrückHalle

Parkett und Empore pickepackevoll. Man trägt Werder Trikots, VfL-Embleme und lilaweiße Schals. Bevorzugtes Getränk: Bier. Das Haupttribünenpublikum hat die Oberhand, der Männerüberschuss ist nicht zu kaschieren, die Parität ist ausgehebelt. Wo gibt es sowas noch? Was ist hier los?

Das Bühnenbild spricht für sich: Wir sollen uns fühlen wie Gäste in Zeiglers Reihenhaus in Bremen. Eine Kopie seines Schreibtischs im Beamtenbarock der sechziger Jahre hat er schon mal nach vorne gerückt und in den folgenden vier (!) Stunden werden wir erleben, wie er die Welt des Fußballs sieht. Zwei Mini-Flutlichter, Wimpel, Fachliteratur übersichtlich eingeräumt, Ratsche, zwei Bälle, einer von den Jahren abgeledert, der andere im Plastikdesign von heute. Zwei Pappkameraden, jeweils an den Seiten in Positur gestellt: Netzer im Fohlendress der frühen Siebziger, Pelé als Santos-Held der Sechziger. Fingerzeige, dass hier einer historisch unterwegs ist und klare Vorstellungen davon hat, was ein Fußballgott ist. Dabei hätte es solcher Hinweise kaum gebraucht. Die meisten Anwesenden sind vorbelastet, entweder durch Zeiglers gleichnamige Fernseh-Show (immer sonntagabends an Spieltagen im WDR) oder seine Bücher. Die mitgereisten Werder-Fans kennen ihn als Stadionsprecher seit 2001. Auch der Star des Abends kommt mit einer Hypothek: »Hat schon Gelb!« Da liegt was in der Luft …

Los geht´s mit Zeiglers größtem Hit: »Pickepackevoll« gespielt von The Capers. Damit bekommt man gleich einen Eindruck, was die Videoleinwand an Bildern und Einspielern hergeben kann. Europameister Marco Bode hat einen Gastauftritt als genervter Nachbar. Der Song könnte auch eine Hommage an Osnabrück sein, denn, so freut sich der gewiefte Alleinunterhalter, die ausverkaufte Halle biete ihm die bisher größte Kulisse seiner gesamten Auftritte. Ein Grund mehr für alle, sich selbst zu feiern. Dann beweist er, wie schnell man auswärts Heimspielatmosphäre schafft. Wenige Seitenhiebe auf Münster und Bielefeld genügen. Artig werden VfL-Devotionalien am Schreibtisch drapiert. Applaus. Geht doch!

Das ist erst das Aufwärmprogramm für einen NON-Stopp-Lauf durch ein Kaleidoskop von Skurrilitäten, die Zeiglers Welt zu bieten hat. Ein Bonmot Peter Ustinovs könnte als Motto herhalten: »Fußball beherrscht den Teil im Hirn des Mannes, der sich weigert erwachsen zu werden.«

Apropos. Zeiglers konsequent männlicher Blick aufs runde Spielgerät könnte ihm vielleicht noch einmal vor die Füße fallen. Die Damen der Schöpfung kommen nur am Rande vor. Und dürfen dabei zeigen, dass sie sich auf´m Platz genauso blöd anstellen können wie Männer. Demonstriert an den Jenenserinnen, die sich nicht entscheiden wollen, wer denn nun das Eigentor schießt.

Das eigentliche Anliegen Zeiglers, und da wird´s philosophisch, ist, uns den Rücken zu stärken in unserer Leidenschaft an einem Spiel, das ungleich mehr an schlechten Spielzügen, misslungenen Aktionen und Pechsituationen mit sich bringt als gelungene Abschlüsse. Er will uns unbedingt ermutigen, nicht den Kopf hängen zu lassen, wenn unser Verein in Abstiegsnöten erlahmt, wir gefühlt nur Nullnummern geboten kriegen, scheinbar nichts mehr läuft da unten und wir obendrein angepflaumt werden wegen unserem trotzigen oder stoischen Festhalten an etwas, was sich jeder Rationalität entzieht. Zeigler möchte, dass niemand ein schlechtes Gewissen bekommt, nur weil er bei der Urlaubsplanung der Familie darauf achtet, ja nicht das Testspiel gegen den portugiesischen Zweitligisten Anfang August zu verpassen. Immer in der Gefahr, private Zerwürfnisse zu provozieren.

Auch wenn das Fansein so viel Irrationales birgt, besteht Zeigler darauf, dass Fußball etwas Wunderbares ist. Weil er eine Welt ausbreitet, in der wir mit unserer Trauer nie alleine bleiben, weil wir Freunde fürs Leben gewinnen oder in einer »Beziehungskiste« landen, die sämtliche Höhen und Tiefen übersteht. Wie die zwischen Klopp und ihm, aus der Frank von der Technik ein best-Off aufbereitet hat.

Und irgendwann sei auch die schwärzeste Serie vorbei, würde die hartnäckigste Pechsträhne zu Ende gehen. Dann werde jeder Fan belohnt für seine Leidensfähigkeit, wenn sich das Spiel dreht, die Saison endlich in die Spur kommt, Tore fallen, die vorher immer versemmelt wurden, sich alles fügt – zum Aufstieg, zur Meisterschaft!

Irgendwann, meint Zeigler, sei sowieso das wichtigste Wort im Fanleben.

Klar, dass der Abend nicht von Aktionen geprägt wird, die uns jubeln lassen. Nein, was Zeigler präsentiert, formt eine Endloskette von Zumutungen. Im Fokus von »schonungslosem Bildmaterial» stehen nicht die Messies, Neymars oder Ronaldos, sondern Nobodys des schlechten Fußballs oder Irgendwo-Stars wie Miloslav Penner, Joaue Duverge oder Wayne Hazswel. Genauso harte Kerle wie die erfolgreichen, aber eben im Pech. So bliebt es ihnen und zigtausend unbekannten Kickern vorbehalten, das fulminanteste Eigentor zu schießen, mit dem Stollenschuh im Netz hängen zu bleiben, im Strafraum sein Gebiss zu suchen, auf Schnee und Eis am Ball vorbei zu rutschen, als Torhüter daneben zu greifen, vom Wind übertölpelt zu werden, den Ball an die Hand zu bekommen, drauf liegen zu bleiben und immer wieder durch die Beine gezirkelt zu kriegen.

 

Fotos: Ralph GehrkeFotos: Ralph Gehrke
Fotos: Ralph GehrkeFotos: Ralph Gehrke

Ansgar und die Polizei

Und dann kommt einer, der davon erzählen kann, von einem Profileben ohne eine einzige Trophäe, aber »20 Jahre Abstiegskampf«. Ansgar Brinkmann, der Wandervogel des deutschen Fußballs schlechthin und um die Bremer Brücke als der »weiße Brasilianer« eine Legende. Natürlich erzählt er von seiner größten Aktion, die bekanntermaßen nicht auf´m Platz stattfand. Wie er nach einer Alkoholfahrt der Osnabrücker Polizei die Hacken gezeigt hat, die ihm schließlich nichts nachweisen durfte und eigentlich froh gewesen wäre, »auch mal Porsche zu fahren.« Gelernt habe er daraus: »Lauf, wenn du kannst.« Und weil das so schön war, erzählt er noch von seinem wohl wunderbarsten Tor im VfL-Dress, am Millerntor. Wobei die Nacht davor »viel komplizierter« gewesen sei, auf St. Pauli bei Nacht, im Trainingsanzug. Und mit dem Kloppo habe er einmal das Zimmer geteilt, bei Mainz 05. Wie das so gewesen sei mit dem, möchte Zeigler wissen. »Naja, wie das ist, wenn Hauptschule auf Studium trifft …«

Später wird Ansgar noch mit weiteren Anekdoten dabei aushelfen, eine Digitalpanne zu überbrücken. Direkt aus der Kabine von null auf hundert. Da sind wir bereits in der Verlängerung, so um halb zwölf und wissen mittlerweile, dass beim Nachstellen der Szenen im Garten hinterm Reihenhaus manchmal der Hausarzt dazu geholt wird, wenn kniffelige Aktionen anstehen, wie die Simulation eines Fallrückziehers von Ronaldo.

Im Elfmeterschießen, also der Zugabe, erfahren wir noch, wer den Neologismus »polyrasiert« kreiert hat (Calle del Heye), warum Zeigler nicht gut auf die Leonberger Bausparkasse zu sprechen ist oder wie der kleine Arnd zum Journalismus kam und ihm ein gewisser Rudi Assauer geholfen hat. »Irgendwann« dürfen wir tatsächlich nach Hause. Halt! Ein Selfie mit Publikum muss drin sein. Wer noch Lust habe auf ein Bier am Stehtisch, sei willkommen. Ansgar sei dabei …

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