Osnabrücker Inklusionsforum startet mit klarer Zukunftsvision

Nach der Auszeichnung mit dem Alwine-Wellmann-Preis: OR interviewte wichtige Akteure

Am 22. Oktober erhielt das Inklusionsforum Osnabrück im Rahmen einer feierlichen Veranstaltung den Alwine-Wellmann-Preis der Osnabrücker SPD. Diesen erhielt das Forum für seine vorbildliche Arbeit für Menschen mit Beeinträchtigungen. Wir sprachen mit dem Vorsitzenden Ralph Hohn und dessen Stellvertretern Steven Brentrop und Dr. Karl Niemann über ihre Beweggründe, sich für das Inklusionsforum zu engagieren, sowie über die Aufgaben und Herausforderungen des Forums in der Zukunft.

OR: Vielen Dank, dass sie sich Zeit für das Gespräch genommen haben. Was bedeutet es Ihnen persönlich und Ihrer Arbeit im Forum, den Alwine-Wellmann-Preis erhalten zu haben?

Ralph Hohn: Alwine Wellmann war ja dadurch geprägt, dass sie eine beeinträchtigte Schwester hatte, um die sie sich sehr sorgte. Gleichzeitig war sie großen Repressalien ausgesetzt, hatte aber ganz klare Ziele, die sie gegen jegliche Anfeindungen durchgesetzt hat. Sie hat es verstanden, ihre Meinung klar darzustellen, womit sie für mich ein Vorbild ist. Sie hatte ihre Meinung auch an Stellen gesagt, wo ihre Gegner saßen. Das Inklusionsform ist in einer anderen Richtung geprägt, aber auch wir versuchen unsere Ziele durchzusetzen und stoßen dabei immer wieder auf Grenzen, die wir versetzen wollen. Wir bemerken, dass wir und die Stadt uns aufeinander zubewegen.

Steven Brentrup: Ich würde ergänzen, dass das Inklusionsforum als Verein, deren Mitglieder, beratend in den jeweiligen Ausschüssen tätig sind. Wir sind freier in der Entscheidung und nicht davon abhängig, ob die Stadtverwaltung einen Inklusionsbeirat hat oder nicht. Als eigenständiger Verein können wir auch auf den Tisch hauen. Alwine Wellmann war eine Vorkämpferin in ihrer Zeit und aufgrund der Tatsache, dass sie eine Osnabrückerin war, hat der Preis für uns als Inklusionsforum den lokalen Aspekt. Wir können Dinge, die sich Alwine Wellmann gewünscht hat, für Menschen mit Behinderung einfacher umsetzen. Insbesondere auch für Menschen, die eine kognitive oder geistige Einschränkung wie die Schwester von Alwine Wellmann haben. Somit kann man mit dem Preisgeld Projekte umsetzen, wofür sich Alwine auch eingesetzt hätte.

Dr. Karl Niemann: Alwine Wellmann ist ein großes Vorbild, weil sie für andere Menschen da war und ihnen auch gegen äußere Widerstände geholfen hat. Das nicht nur in den dreißiger und vierziger Jahren, sondern nach dem Krieg in den fünfziger Jahren. Wir setzten uns heute für Barrierefreiheit ein, wofür sich damals das Behindertenforum mit Petra Mathiske eingesetzt hat.

OR: Wie und warum haben Sie sich entschieden, sich für Inklusion zu engagieren? Gab es persönliche Erfahrungen oder Schlüsselmomente?

Ralph Hohn: Ich bin bei der St-Elisabeth-Pflege/Caritas im Vorstand der Mitarbeitervertretung aktiv. Dort habe ich auch die Schwerbehindertenvertretung von Beginn an aufgebaut. Ich wurde dann angesprochen, ob ich Interesse habe, beim Behindertenforum hineinzuschnuppern. Ich habe mich gut mit Steven verstanden. Was ich noch nicht wusste, war, dass die Arbeit sehr vielseitig wurde.

Dr. Karl Niemann: Ich bin über die Schwerbehindertevertretung zum Forum gekommen. Zunächst bin ich Mitglied geworden und wurde später in den Vorstand gewählt.

Steven Brentrup: Bei mir war es ein wenig anders. Vor meiner Tätigkeit bei der Stadt Osnabrück habe ich beim Blinden- und Sehbehindertenverband gearbeitet. Dort habe ich 2018 die ergänzende unabhängige Beratungsstelle aufgebaut, die es heute nicht mehr gibt. Damals stand die Frage im Raum, ob jemand die Interessen des Regionalvereins des Blindenverbandes im Inklusionsforum vertritt. Zu diesem Zeitpunkt war ich relativ neu in Osnabrück und dachte, dass ich die Themen aus dem Forum in die Arbeit im Blindenverband einbringen kann. Da ich schon Erfahrung in der Arbeit in einem Beirat hatte, schaute ich es mir an, blieb hängen und wurde später in den Vorstand gewählt. Mit der Zeit ist mir die ehrenamtliche Aufgabe ans Herz gewachsen.

OR: Was motiviert euch angesichts der aktuellen politischen Lage, eure erreichten Ziele zu verteidigen?

Ralph Hohn: Wir bemühen uns, uns den Gegebenheiten anzupassen und versuchen dann, das Beste für die von Behinderung betroffenen Menschen herauszuholen. Parteiunabhängig werden wir uns immer mit den Parteien auseinandersetzen, da wir ein Mitspracherecht haben. Letztendlich sind es meist Ratsbeschlüsse, die uns vorgelegt werden, die wir dann versuchen gemeinsam umzusetzen. Wir sind da gegenüber jeder Partei offen.

OR: Was ist die Hauptaufgabe des Inklusionsforums, und wie sieht Ihre Arbeit im Alltag aus?

Ralph Hohn: Wir werden häufig bei Bauprojekten miteinbezogen. Wir sind auch Ansprechpartner für Personengruppen, die uns auf bauliche Missstände aufmerksam machen. Zudem sind wir auch im Schulbereich, sogar vornehmlich im Schulbereich, aktiv. Wenn zum Beispiel eine Schule renoviert oder neu gebaut wird, kann dort auch ein Rollstuhlnutzer hereinfahren. Die Aufgaben sind sehr vielschichtig.

Dr. Karl Niemann: Wir begreifen uns auch als Netzwerk. Wir haben im Inklusionsforum für viele Behindertengruppen einzelne Sprecher, die sich mit ihren Themen im Forum einbringen. Dazu zählen auch institutionelle Einrichtungen als Mitglieder, so dass wir auch da vertreten sind.

OR: Welche Projekte oder Erfolge konnten bisher für Menschen mit Beeinträchtigungen in Osnabrück erzielt werden?

Ralph Hohn: Da gibt es viele durchgeführte Projekte, wie z.B. barrierefreie Schulen, Spielplätze, Gemeindezentren, Aufenthaltsplätze. Natürlich auch Zuwegungen und öffentliche Gebäude, der Zoo und das Zoomuseum. Und natürlich gehören die vielen kleinen Veränderungen dazu. Ich nenne einfach mal den barrierefreien ÖPNV. Und es kommen immer wieder neue Herausforderungen auf uns zu, die wir meistern müssen und wollen. Ich sage immer „Der Weg ist das Ziel“

OR: Wie vernetzt sich das Forum mit anderen Organisationen oder der Stadtverwaltung?

Ralph Hohn: Verschiedene Institutionen sind bei uns Mitglied, wie der EUTB, der Blindenverband, die AWO oder Diakonie. Dadurch vernetzen wir uns und tauschen uns in den Forumssitzungen aus. Die Forumssitzungen finden vier bis fünfmal im Jahr statt. Da werden dann konkret verschiedene Themen besprochen. In den Sprechergruppen findet dann auch nochmal in kleiner Runde ein Austausch statt. Wir haben auch andere Vereine, die Mitglieder sind, wie zum Beispiel Kindergärten, die Kinder mit Beeinträchtigungen betreuen. Sie sind auch dabei. Dadurch haben wir ein großes Spektrum. Die Treffen sind dabei sehr wichtig, damit wir mitbekommen, was los ist. Und wo wir einschreiten müssen.

Steven Brentrop: Es ist historisch gewachsen, dass das Inklusionsforum, vormals Behindertenforum in der Stadtverwaltung eine Geschäftsstelle wie der Seniorenbeirat oder Migrationsbeirat hat. Über diese Geschäftsstelle können Themen, die im Inklusionsforum besprochen werden, in die Verwaltung transportiert werden. Das heißt, der Draht hin zur Verwaltung ist gegeben. Zusätzlich ist von jeder Partei ein Vertreter im Inklusionsforum, der an den Forumssitzungen teilnimmt. So werden die Themen auf die politische Ebene transportiert und finden Eingang in den Rat oder zu den jeweiligen Ausschüssen. Zudem ist in fast jedem Ausschuss ein Mitglied aus dem Inklusionsforum vertreten. So können unsere Belange in die tägliche Arbeit der Verwaltung Einfluss finden.

OR: In Ihrer Dankesrede zum Alwine-Wellmann-Preis haben Sie den Inklusionsparkur erwähnt. Welches Projekt, das Ihnen besonders am Herzen liegt, würden Sie besonders hervorheben?

Ralph Hohn: Durch den Inklusionsparkur wollen wir gesunden Menschen vermitteln, wie es ist, wenn man auf Hilfsmittel angewiesen ist. Das ist wichtig. Wir arbeiten derzeit mit dem Seniorenbeirat in einer Gruppe „Wohnen im Alter und mit Behinderung“. Dort statten wir eine Musterwohnung aus, die barrierefrei dargestellt ist. Diese wird mit Geräten für Menschen mit Beeinträchtigungen ausgestattet sein.

Steven Brentrop: Es geht dabei um die digitale Barrierefreiheit im Rahmen von Smart City. Das Ziel war es, eine Wohnung zu nehmen, um diese analog zur bestehenden Musterwohnung barrierefrei auszugestalten. Dort kann man sich anschauen, wie das Leben im Alter durch Smart Technologie unterstützt wird. Die Präventionsarbeit vom Inklusionsparkur ist ein Selbstläufer, weil er gebucht und sehr gut angenommen wird. Diesen zu erhalten und auszubauen, ist uns wichtig.

OR: Wie kam ihnen die Idee zur Musterwohnung?

Ralph Hohn: Der Impuls kam in Zusammenarbeit mit dem Seniorenbeirat. Dort gibt es die oben genannte spezielle Arbeitsgruppe, die sich mit dem Thema beschäftigt. Die Idee kam von uns und der Arbeitsgemeinschaft Pflege.

OR: Wie kann man sich im Inklusionsforum persönlich engagieren?

Ralph Hohn: Wir sind ein Verein, nehmen aber keine Mitgliedsbeiträge. Jeder kann in unseren Sitzungen vorbeischauen. Bei Interesse kann man in den Sprechergruppen mitmachen. Bei uns werden alle herzlich angenommen.

OR: Was sehen Sie als die größten Herausforderungen für die Inklusion in den kommenden Jahren?

Ralph Hohn: Die politische Szene hat sich extrem verändert. Vor allem die extremen Gruppen werden immer stärker, was dazu führt, dass man die Behinderten lieber wieder ausgrenzen möchte. Wenn ich sehe, dass sich rechte Gruppen treffen und darüber sprechen, wie man die Behinderten loswerden kann, ist das für mich sehr erschreckend. Ich hoffe, dass man dort gegensteuern kann. Wir werden unser Bestmögliches unternehmen, um so gut wie möglich dagegen zu steuern. Wenn es so weit kommen sollte, baue ich da auch auf die Unterstützung der Stadt.

Dr. Karl Niemann: Es werden immer Randgruppen rausgesucht, die man ausgrenzen kann. Zumal, wenn man Randgruppen betrachtet, die ausgegrenzt werden, so haben diese schon wieder die Mehrheit. In den letzten Jahren ist die Gesellschaft viel individueller und heterogener geworden. Hier einzelne Gruppen herauszusuchen, ist besorgniserregend.

Ralph Hohn: Wir arbeiten auch daran, dass wir über den Niedersächsischen Inklusionsrat unsere Anliegen in das Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Gleichstellung zu bekommen, um die Gesetzesgebung so umzudeklarieren, das es dem Behindertengleichstellungsgesetz würdig ist. Leider ist es so, dass Gesetzesvorlagen verschoben werden und auf irgendwelchen Aktenbergen liegen. Deshalb versuchen wir in kleinen Schritten, Bewegung in den Prozess zu bringen. Wir hoffen auf den Weckruf und dass sich die Einstellung drastisch ändert.

OR: Welche konkreten Ziele hat sich das Forum für die nahe Zukunft gesetzt?

Ralph Hohn: Wir möchten die Vernetzung zwischen den Gruppen intensivieren. Gemeinsam ist man immer stärker. Dass wir auch einen guten Kontakt zum Rat und den politischen Parteien haben und zu den einzelnen Gruppierungen wie der EUTB und so weiter. Das dies so bleibt, ist eines der Ziele.

OR: Im nächsten Jahr findet vom 29. bis 31. August in Osnabrück der Tag der Niedersachsen statt. Wird das Inklusionsforum sich engagieren?

Ralph Hohn: Es ist angedacht, dass wir uns mit dem Inklusionsparkur vertreten sein werden. Zudem sind wir auf anderen Ständen vertreten, um auf die Situation von beeinträchtigten Menschen hinzuweisen.

OR. Wir bedanken uns für das Gespräch und wünschen Ihnen viel Erfolg für ihre zukünftige Arbeit.

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