Donnerstag, 19. September 2024

Replik – Gesichter meiner Stadt: Shadi Erfanian – „Die Menschen hier sind sehr ordentlich und fast immer pünktlich …“

Diese Serie bildet das multikulturelle und internationale Leben in Osnabrück und Umgebung ab. In dem vor einigen Jahren gegründeten Jugendmedienprojekt treffen Schülerinnen und Schüler auf Menschen in unserer Region, die aus verschiedenen Regionen der Welt nach Osnabrück & Umzu gekommen sind, führen Interviews und schreiben Porträts. Die Vielfalt der Region soll durch viele verschiedene Porträts hier lebender Menschen mit Migrationshintergrund gezeigt werden. Dabei geht es nicht nur um Erfolgsgeschichten, sondern auch um ganz Alltägliches. Die Osnabrücker Rundschau veröffentlicht in loser Reihenfolge Porträts, die Schülerinnen und Schüler der Ursulaschule Osnabrück im Profilkurs „Welt der Medien“ (Jahrgangsstufe 9) für GESICHTER MEINER STADT geschrieben haben.

 

Shadi Erfanian (Iran)
„Die Menschen hier sind sehr ordentlich und fast immer pünktlich …“
von Lilly Arnemann

Als ich das Studio betrete, klingelt eine Glocke an der Tür und ich werde freundlich begrüßt. Braune Haare, eine etwas tiefe Stimme und eine freundliche, zuvorkommende Art. Mir gegenüber an einem Tisch in ihrem eigenen kleinen Kosmetikstudio Sibaii sitzt Shadi. Shadi Erfanian.

Shadi kommt gebürtig aus dem Iran, lebt aber mittlerweile hier in Osnabrück. Wir springen ins Jahr 1974 in die Hauptstadt des Irans, Teheran. Als Tochter einer Schulleiterin und eines Selbstständigen wuchs Shadi ungläubig mit zwei kleinen Geschwistern in einer relativ wohlhabenden Gesellschaft auf. Sie erzählt, es ging ihrer Familie schon sehr gut.

In der 18 Millionen Einwohner großen Stadt wuchs Shadi also mit der typischen und klischeehaften Kultur und Mentalität behütet auf. Um sie herum viele entspannte Menschen, die alles nicht so genau zu nehmen schienen und für die es Wichtigeres als Pünktlichkeit gab.

In der Schule im Iran wurde neben der guten Bildung auch auf Mahlzeiten und Körperpflege geachtet. Auch deswegen ist Shadi aus ihrer heutigen Sicht überzeugter vom Schulsystem im Iran als von dem in Deutschland. Bevor sie mit 22 Jahren aus dem Iran gezogen war, schloss Shadi dort ihr Abi ab und studierte englische Literatur an einer Universität.

Als die junge Frau auf einer Feier war, lernte sie einen Mann kennen. Dieser Mann lebte seit 1985 in Deutschland und war extra für diese eine Feier in den Iran gereist. Shadi und der Mann lernten sich besser kennen und kamen schließlich zusammen. Nach dem Kennenlernen beschlossen die beiden, dass Shadi zu ihm nach Deutschland, genauer gesagt nach Melle, ziehen sollte.

Der Freundeskreis der damals 22-Jährigen war sehr skeptisch, vor allem, weil Shadi nicht wegen einer anstehenden Hochzeit, sondern „nur“ wegen der Liebe, die im schlimmsten Fall auch nicht funktionieren konnte, zu ihrem Freund ziehen wollte. Und trotzdem wagte Shadi den Schritt und zog 1997nach Melle.

Shadi erzählt, dass sie Deutschland ganz anders erwartet hatte. Zum Beispiel hatte sie sich das Land aus Sicht des Irans viel kälter und grauer vorgestellt. Außerdem gab es das Klischee, dass es in Deutschland viel Ausländerfeindlichkeit gibt, was wahrscheinlich an der Geschichte Deutschlands liegt. Auch das war ein Grund für die Skepsis ihrer Familie. „Doch letztendlich war ich positiv überrascht“, erzählt Shadi mir glücklich.

„Die Menschen hier sind sehr ordentlich und fast immer pünktlich.“ Dies sieht sie als großen Vorteil in Deutschland. Auch wenn sie mit einem Zwinkern hinzufügt, es lasse mittlerweile etwas nach. Was Shadi aber als wirklich positive Überraschung sieht, ist, dass man hier in Deutschland nur wahre Freunde fürs Leben habe. Habe man in Deutschland keine Lust jemanden zu sehen, so zeige man es dieser Person von Anfang an klar und deutlich. Das war im Iran wohl nicht so gewesen, da dort alle Menschen immer fast schon zu nett gewesen schienen.

Um nach Deutschland zu gelangen, konnte sie den einfachen Weg gehen und musste kein Asyl beantragen. Sie konnte einfach ein Visum wegen Familienzugehörigkeit beantragen. Da es nicht möglich ist, die iranische Staatsbürgerschaft abzugeben, hat Shadi jetzt die deutsche und die iranische Staatsbürgerschaft. Ohne ein einziges Wort Deutsch zu können, zog sie schließlich allein in das fremde Land. „Ich fand es nicht schwer, Deutsch zu lernen.“ Zufrieden erzählt Shadi, dass ihr die deutsche Sprache viel leichter gefallen war, als beispielsweise Englisch, weil man es genauso schreibe wie man es spreche.

In Melle angekommen, wohnte das Paar in der Wohnung einer pensionierten Lehrerin, die unten im Mehrfamilienhaus wohnte. Sie hatte ihr, wie Shadi erzählt, „wie eine zweite Mutter“ die Sprache beigebracht. Mittlerweile sei die Frau leider gestorben, berichtet mir Shadi mit einem traurigen Unterton. Zu der Aufnahme in die Gesellschaft von Shadi in Melle trugen aber auch die Freunde und Bekannten ihres mittlerweile mit ihr verheirateten Mannes einen großen Teil bei. Dadurch, dass diese alle nur Deutsch miteinander sprachen, konnte sie sich noch besser an die Sprache gewöhnen. Sie wurde von allen auf Anhieb gut aufgenommen und akzeptiert. Nach einer Zeit zogen Shadi und ihr Mann nach Osnabrück, wo sie bis jetzt leben. Und auch heute noch haben die beiden hier in Osnabrück nur wenige Freunde aus ihrem Geburtsland, dem Iran.

Mit guten Sprachkenntnissen absolvierte Shadi eine Ausbildung als Kosmetikerin und machte sich anschließend selbstständig. Heute gehört ihr ein kleines, gemütliches Kosmetikstudio im Katharinenviertel. Shadi und ihr Mann bekamen Zwillinge, Amira und Nina, von denen Shadi stolz schwärmt. Die beiden gingen auf das Carolinum, machten das Abitur und leben mittlerweile ihr eigenes Leben.

Nach all ihren Erlebnissen sieht sie ihr „neues“ Zuhause in Osnabrück als ihre Heimat an. „Das liegt vermutlich auch daran, dass ich hier meine Kinder habe und ich so früh hierhergekommen bin.“ Als Geburtsland beschreibt sie den Iran und als Heimat und Zuhause Deutschland. Hier fühlt sie sich angekommen und wohl.

Wenn man aber als Person mit Migrationshintergrund in Deutschland lebt, ist es nicht selten, dass rassistische Ausdrücke oder Übergriffe fallen. Also frage ich Shadi das, was ich mich schon seit Beginn des Interviews gefragt habe. Auf meine Frage, ob sie schon einmal Rassismus erlebt hatte, antwortet sie „Nein“. Vorsichtig erklärt Shadi ihre Meinung zum Thema Rassismus. Sie ist der Meinung, man könne über rassistische Ausdrücke, die einem gegenüber gemacht werden, lachen, wenn man sich in Deutschland wirklich zuhause fühlt. „Ich glaube, wenn man sich selber sicher fühlt, gerade in einer nicht so großen Stadt wie Osnabrück, dann hat man eigentlich kein Problem mit Rassismus.“ Etwas unsicher nach dieser Aussage fügt sie noch hinzu, es sei jedoch auch sehr hart dies zu sagen, vor allem wenn es um brutale, körperliche rassistische Übergriffe geht, sei es sehr schwierig, dieses so zu behaupten.

Als ich Shadi frage, ob sie versucht, die persische Kultur mit in ihren Alltag einzubringen, antwortet sie: „Versuchen ist nicht ganz richtig, man bringt nämlich sowieso unbewusst seine Kultur ein.“ Und obwohl Deutschland ihre Heimat ist, versucht Shadi, wie sie erzählt, einen guten Kulturmix zwischen der deutschen und der persischen Kultur zu schaffen. Zum Beispiel feiert Shadi mit ihrer Familie Weihnachten, genauso traditionell wie das persische Neujahr am 21. März oder den längsten Abend des Jahres am 22. Dezember. Auch persische Musik wird viel von ihr gehört und sobald die Künstler in Deutschland auf Tour sind, geht ihre ganze Familie gerne zu Konzerten. „Hier und da tut der persische Tatsch auch gut“, sagt Shadi.

Ein Vergleich der beiden Staaten gestalte sich als recht schwierig. Ein großer Nachteil des Irans ist Shadis Meinung nach, dass Frauen wegen der Regierung ein Kopftuch tragen müssen. Dort sind die Frauen auch rechtlich nicht gleichberechtigt. Shadi geht sogar so weit und erzählt, im Iran seien die Frauen nur die Hälfte eines Mannes wert. Andersherum seien die persischen Frauen gerade durch ihre Unterdrückung eine starke Gemeinschaft.

Shadi würde nicht sagen, dass das Leben hier in Deutschland und im Iran verschieden ist. Sie ist der Meinung, wenn man sich mit seiner eigenen Einstellung einen Gesellschaftskreis aussuchen kann, in dem man sich wohlfühlt, dass dann der Unterschied zwischen dem Leben in Deutschland und dem im Iran nicht groß ist. Große Zukunftspläne hat Shadi nicht. Sie betont jedoch häufig in unserem Gespräch, dass das Leben weitergeht und man nicht immer zurückschauen sollte. Ein Traum von ihr wäre aber, vielleicht irgendwann nach Australien zu ziehen.

Die Glocke der Eingangstür klingelt erneut, ein Briefträger betritt das Studio und ich verabschiede mich von Shadi.

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