Sonntag, 7. Januar 2024

ILEX-Kreis begrüßt Ratsvotum zur Namensgebung für die Museums-Villa

„Jetzt müssen weitere Schritte zur inhaltlichen Gestaltung folgen!“

Der ILEX-Kreis, der sich in besonderer Weise der Erforschung des Widerstands gegen die nationalsozialistische Gewaltherrschaft verpflichtet fühlt, begrüßt das mit breiter Mehrheit gefasste Ratsvotum zur Villa im Museumsquartier. Mit der Bezeichnung „Die Villa_ Forum Erinnerungskultur und Zeitgeschichte“ wird eine jahrelange, äußerst kontrovers geführte Diskussion über eine Hausbenennung vorerst beendet. Der jetzige Beschluss bedeutet einen großen Gewinn für das Ansehen unserer Stadt. Als nächster Schritt müssen bisherige Überlegungen zu Ausstellungsinhalten innerhalb der Villa dem aktuellen Ratsvotum angepasst werden. Konkret: Jetzt müssen weitere Schritte zur inhaltlichen Gestaltung folgen!

Weil es eine Daueraufgabe historischer Debatten ist, neue Erkenntnisse und Wertvorstellungen in Präsentationen geschichtlicher Abläufe zu berücksichtigen, bleiben bisherige wie künftige Debatten zeitlos ungemein wertvoll. Denn eine Präsentation von Geschichte macht im Interesse nachwachsender Generationen nur dann wirklich Sinn, wenn sie nicht antiquarisch vermittelt, sondern indem man aus ihr für die Gestaltung der Zukunft lernt und immer wieder die Teilhabe von Menschen in neuen Diskussionsprozessen einer demokratischen Gesellschaft fördert.

Keineswegs beendet darf die Auseinandersetzung um Handlungsmöglichkeiten innerhalb des NS-Systems sein, für welche auch die Calmeyer-Forschung steht. Aus lokalgeschichtlicher Perspektive schlägt der ILEX-Kreis allerdings vor, diese künftig in die Erforschung und Präsentation weiterer Osnabrücker Biografien über Menschen einzugliedern, die im NS-System Funktionen innerhalb der jeweiligen Besatzungsverwaltungen eingenommen haben. Für diese ist offenbar bisher kein angemessener Raum in der Villa vorgesehen, in der nach dem bisherigen Konzept der Agentur „Schwerdtfeger & Vogt“ offenbar drei von sechs Räumen für Hans Calmeyer reserviert sind.


Kooperation mit den Niederlanden verstärken

Aufgrund der Nachbarschaft zu den Niederlanden bietet es sich an, insbesondere dort Kooperationen zu suchen und für den Besuch des Museums besonders zu werben. Die Kontakte der Gedenkstätte  Augustaschacht zu ehemaligen niederländischen Zwangsarbeitern, die Geschichte der Osnabrücker Familie van Pels, die wie achtzig weitere jüdische Osnabrücker*innen in die Niederlande floh und sich mit Anne Frank im Amsterdamer Hinterhaus versteckte,  Künstler wie Vordemberge-Gildewart, der im Widerstand in Amsterdam tätige spätere Museumsleiter Otto Meyer und Politiker wie der frühere Reichstagsabgeordnete Hermann Tempel oder der Euregio-Mitgründer Alfred Mozer bieten bereits heute ausgezeichnete Anknüpfungspunkte.

Alle Überlegungen, dem Wirken Hans Calmeyers in den besetzten Niederlanden gegenüber anderen Themen dauerhaft privilegierte Museumsflächen zu widmen, müssen nach dem gefassten Ratsbeschluss konsequenterweise eingestellt werden. Zudem gilt es anzuerkennen, dass wichtige Forschungsfragen bislang nicht geklärt sind. Petra van den Boomgaard geht nachvollziehbar davon aus, dass Calmeyer willkürlich 135 negative Entscheidungen über Juden getroffen hat, obwohl er einen positiven Bescheid hätte erteilen können, wäre er seinem eigenen „Entscheidungsfindungsmodell“ gefolgt. 41 Menschen mussten danach sterben. Darüber hinaus wird Calmeyer von niederländischen Historiker*innen vorgeworfen, dass er aktiv nach nicht registrierten Jüdinnen und Juden in den Niederlanden gesucht und dadurch 500 weitere Opfer ermittelt und gemeldet habe. Weiter wird ihm vorgeworfen, dass er mitgeholfen habe, Tausende von Niederländern als Zwangsarbeiter*innen nach Deutschland zu schicken, wo nahezu 8.000 von ihnen starben. Ähnlich gelagerte Themen in zeitlich befristeten Ausstellungsprojekten zu präsentieren, muss immer möglich bleiben.


Lokalgeschichtliche Schwerpunktsetzungen

Dass dabei die Spannbreite von williger Vollstreckung nationalsozialistischer Terrormaßnahmen bis hin zum unter Einsatz des eigenen Lebens geleisteten Widerstand, für den es auch in Osnabrück etliche Beispiele gibt, eine Rolle spielen muss, sollte sich dabei stets im Rahmen entsprechender Ausstellungsinhalte widerspiegeln.

Die Auseinandersetzung muss eingeordnet werden in die generelle Erforschung der NS- Zeit und ihrer Vorgeschichte in Osnabrück. Diese muss nach Auffassung der ILEX-Gruppe innerhalb der museumspädagogischen Arbeit zwingend – auch auf die Zahl der Exponate bezogen – im Vordergrund stehen, um anhand lokaler Beispiele NS-Terror, seine Täter, Opfer und Menschen aus dem Widerstand zu präsentieren, die diese historische Epoche aufgrund des Lokalbezugs, an dem es bei Calmeyer fehlt, für die Stadtgesellschaft, besonders aber auch für die jüngere Generation, Studierende, Schülerinnen und Schüler interessant machen.

Der ILEX-Kreis spricht sich als Konsequenz des Ratsbeschlusses für die Zukunft dafür aus, in den Räumlichkeiten auch die historische Rolle des „Braunen Hauses“ als Teil einer Topografie des örtlichen Nazi-Terrors darzustellen. Dazu gehört die Misshandlung eines jungen jüdischen Mannes, Kurt Flatauer, in diesem Hause ebenso wie die des späteren Kopfes der Osnabrücker Widerstandsbewegung, Josef Burgdorf, der sich wegen seiner spitzen Angriffe auf die Nationalsozialisten schon vor der Machtübernahme das Pseudonym ILEX zulegte. Ebenso im Hause misshandelt wurde 1933 der Rechtsanwalt Adolf Rahardt.

Integriert in die Ausstellungen müssen darin zwingend Herrschaftsstrukturen bis hin zu Biografien solcher Osnabrückerinnen und Osnabrücker werden, in deren Lebensgeschichten sich jeweilige Funktionen als Täter, Opfer, Menschen des Widerstands, nicht minder als bislang namenlose „Stille Held*innen“ widerspiegeln.

Insbesondere die Option des im Grundgesetz-Artikel 20, Absatz 4 verankerten Widerstandsrechts muss auch an Beispielen nationalsozialistischer Gewaltherrschaft vor Ort erläutert werden. Insofern bieten auch die von der ILEX-Gruppe erforschten Widerstandsbiografien ein hohes Potenzial, um aktuelle Besucher*innen wie nachwachsende Generationen auf die Möglichkeiten und die Notwendigkeit konsequenten Widerstandes und praktizierter Zivilcourage hinzuweisen.

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