Ein Straßenname – na und?
Wir sind alle in irgendwelchen Straßen aufgewachsen. Immer wieder steuern wir Straßen an und geben Straßennamen in das Navi ein. Tagtäglich sehen wir Straßenschilder und nehmen sie zumeist nur beiläufig zur Kenntnis. Manche klingen langweilig (Hauptstraße, Schützenstraße), andere nach großer Politik (Konrad-Adenauer-Ring, Willy-Brandt-Platz). Doch hinter Straßenschildern können auch interessante lokale Geschichten, Persönlichkeiten und Schicksale stecken.
Die Osnabrücker Rundschau veröffentlicht jeden Sonntag eine Geschichte zu Osnabrücker Straßennamen. Sie stammen allesamt aus dem im Anno-Verlag erschienenen Buch „Osnabrück wegweisend“ (ISBN 978-3-939256-38-0), das Dr. Tobias Romberg 2016 herausgegeben hat. Die Texte haben junge Menschen verfasst, die damals SchülerInnen der Ursulaschule Osnabrück oder Studierende waren.
Anna-Marquard-Straße
seit dem 15.12.1998 benannt nach Anna Marquard
geb. 30.11.1878
gest. 04.10.1952 in Haste
50 Jahre Hebamme in Haste
Nicht aufzuhalten
von Johanna Faber
Im August 1948 läuft ein kleines Mädchen durch den Ortsteil Haste, auf der Suche nach Hilfe. Ihre Suche endet in der Bramstraße 38 bei der Familie Marquard. Anna Marquard lebt dort mit ihrem Mann und zehn Kindern. Sie macht sich, zusammen mit dem kleinen Mädchen, auf den Weg. Benötigt wird ihre langjährige Erfahrung als Hebamme bei der Familie Knop.
50 Jahre arbeitete Anna Marquard im Osnabrücker Ortsteil Haste als Hebamme, hat in dieser Zeit fast 6500 Kindern auf die Welt verholfen. Dass ihre Hilfsbereitschaft bei der Familie Knop (und auch bei einer Familie Löffler) dazu führen sollte, dass sie angezeigt werde sollte, hatte wohl niemand erwartet.
Im Jahr 1948, also im Jahr des Hilfegesuch des kleinen Mädchens, hatte das Gesundheitsamt der Stadt Osnabrück Anna Marquard mitgeteilt, dass sie ihren Beruf seit dem 1. Januar 1948 nicht mehr weiter ausüben dürfe, da sie zu diesem Zeitpunkt das 65. Lebensjahr überschritten habe.
Für die Menschen im Stadtteil Haste bedeutete dies, dass sie auf die Hilfe einer erfahrenen und beliebten Hebamme fortan verzichten sollten. Als Nachfolgerin wurde die Hebamme Buitkamp aus dem Osnabrücker Ortsteil Eversburg bestimmt.
An dem Tag, als Familie Knop eine Hebamme benötigte, war es eine sehr dringende Angelegenheit, gab Anna Marquard in ihrer Stellungnahme zur Anzeige zu Protokoll. Das Baby sei schon da gewesen, wurde ihr von dem Mädchen, das bei Marquards an der Tür geklopft hatte, berichtet.
Ganz so sei es dann aber doch nicht gewesen: Als sie bei Familie Knop ankam, war das Kind noch nicht geboren. Anna Marquard informierte ihre Nachfolgerin nicht. Es hätte von Eversburg nach Haste zu lange gedauert, um der Familie zu helfen. Ähnlich habe es sich bei der Familie Löffler verhalten, schrieb Anna Marquard in ihrer Stellungnahme.
Herr Löffler sei damals, im September 1948, nachts zu Anna Marquard gekommen und bat um Hilfe bei der Geburt seines Kindes. Im Hause der Familie Löffler stellte Anna Marquard fest, dass auch hier das Herbeirufen der Hebamme Buitkamp aus Eversburg zu lange gedauert hätte. Sie hatte Recht: Schon nach 20 Minuten konnte die Mutter ihr Kind in den Armen halten.
Aufgrund der Argumente von Anna Marquard wurde die Anzeige fallen gelassen. Gut möglich, dass die beliebte Hebamme auch nach dem „Berufsverbot“ durch das Gesundheitsamt bei weiteren Geburten in Haste half.
Anna Marquard war eine Hebamme mit Leidenschaft, die sich auch nicht von starren Regeln aufhalten ließ. Sie verstand ihre Aufgabe nicht nur als Beruf, sondern auch als Berufung. Anna Marquard verstarb am 4. Oktober 1952, wenige Wochen vor ihrem 74. Geburtstag, in Haste. Eine Straße erinnert an die fleißige Hebamme.