Aktuelle und historische Anmerkungen zu einem zentralen Platz der Stadt
Der zentral gelegene Neumarkt Osnabrücks soll seit ca. 1998 umgestaltet werden. Gebäude, modern und attraktiv, bilden in Zukunft, so die Vision, einen besonderen Anziehungspunkt für die Menschen in Osnabrück. Die Vision – eine Shopping-Mall. Was am Kamp mehr oder weniger gut gelang, soll am Neumarkt fortgesetzt werden. Menschen aus Stadt und Land kommen und beleben die Innenstadt und die Kassen? Videoclips wie „NEUmarkt“ und „Historie Neumarkt“ versuchen Impulse zu setzen, um diese nun 27 Jahre währende Vision lebendig zu halten.
Eine Utopie Wirklichkeit werden zu lassen, benötigt einen langen Atem, ein gutes Gedächtnis und finanzielle Stabilität. Außerdem erfordert es Mut, die Vision anzupassen: an gesellschaftliche Prozesse, an Veränderungen innerhalb einer Stadtgesellschaft und letztlich an die Ansprüche der nachkommenden Generation. Das passierte: aus geplanten Kauf- und Bürohäusern wurden entsprechend den neuen Bedürfnissen kombinierte Wohn-und Bussines-Quartiere, der Neumarkt selbst blieb freie Fläche.
Real ist der Neumarkt 2025 eine Baustelle und spiegelt in seinem Zustand das wider, was ein allgemein herrschender Zustand zu sein scheint: eine verunsichernde Gegenwart, aus der veraltete Zukunfts-Masterpläne herausführen sollen.
Der ‚historische Neumarkt‘ Osnabrücks
Der Neumarkt als Platz oder auch Brücke zwischen Alt- und Neustadt entstand Ende des 19. Jahrhunderts. In einer Zeit, in der Osnabrück, gleich anderen Städten, aufbrach, eine Industrie- und Handelsstadt zu werden.
Das zwischen 1874 und 1878 erbaute Justizgebäude, entworfen von Regierungs- und Baurat Karl Grahn, war das dominante Gebäude am Neumarkt. Die Bauten, die vormals dort standen, etwa das von Johann Conrad Schlaun entworfene Zucht und Arbeitshaus im 18. Jh. oder das Jesuitenkolleg im 17. Jh., hatten zwar auf gleichem Grund gestanden, jedoch keine Platz-Situation geschaffen.
Das Bauwerk, in dem das Landgericht noch heute tagt, repräsentierte damals die preußische Regierungsmacht. Zwei Jahre später wurde mit der von Stadtbaurat Emil Hackländer entworfenen Germania-Säule, ein Ehrenmal für die im Krieg 1870/71 gefallenen „Söhne des ehemaligen Fürstentums Osnabrück“, dem Landgericht ein Blickfang vorgesetzt. Mit Schwert und Flagge in Händen pointierte ‚Germania‘ im Alltag das Umfeld und gab dem Neumarkt den Charakter eines zentralen Platzes.
Stadtbaurat Hackländer hatte die Germania-Säule ganz bewusst an ihren Standort gesetzt. Im Sinne zukünftiger Stadtentwicklung sollte hier eine Kreuzung etabliert werden. Aus der Fernsicht war die Säule vom Bahnhofsplatz des ‚Bahnhofs der Königl.-Westbahn‘ gut zu sehen. Der Ausschnitt der 1876er Stadtkarte zeigt, wie wenig Bausubstanz dieser Bereich der Stadt damals aufwies. Gleichzeitig lässt sich deutlich die Straßenachse zwischen Bahnhofsplatz und Neumarkt erkennen, damals die „Bahnhofstraße“, später Wittekindstraße. Der heutige Hauptbahnhof wurde 1894 fertiggestellt und ist auf dem Plan schon als ’Projektirter Central Bahnhof’ verzeichnet.
Gesamtplanerisch hatte Hackländer wohl schon seit den 1870er Jahren den Neumarkt als zentralen Platz im Blick. Der neue Bahnhof verschob dann die Achse Bahnhofsplatz – Schillerplatz – Neumarkt.
Der Neumarkt, ein Verkehrsknotenpunkt
Der Neumarkt wurde eine Kreuzung. Kraftfahrzeuge, Fuhrwerke, Radler und Straßenbahnen sind in einträchtiger Koexistenz mit Passanten auf den Abbildungen zu sehen. Die festgehaltenen Momente wirken trotz Verkehr recht beschaulich. Dennoch wurde das Ehrenmal 1928 entfernt. Es heißt, der zunehmende Straßenverkehr hätte eine Versetzung notwenig gemacht (vgl. Osnabrücker Rundschau v. 1.10. 2023). Vielleicht empfand aber auch der Osnabrücker Rat der Weimarer Zeit ‚Germania‘ als Mittelpunkt einer Kreuzung nicht mehr zeitgemäß. Möglicherweise verfolgte Stadtbaurat Friedrich Lehmann, inzwischen für die Entwicklung Osnabrücks zuständig, auch andere Pläne.
Das Marktgeschehen Osnabrücks fand auch damals in der Altstadt auf dem Markt bzw. rund um den Dom statt, in der Neustadt auf der Johannisfreiheit. Nachdem ‚Germania‘ versetzt worden war, prägten die Straßenbahn und ihre Haltestellen das Profil des Neumarkts. Zusammen mit den sehr unterschiedlichen Gebäudetypen spiegelte er den Aufbruchswillen Osnabrücks zur pulsierenden Industrie- und Handelsstadt wider. Ein Aufbruch, der im Vergleich zu anderen Städten verzögert stattfand. Offiziell wurde Osnabrück erst im Jahre 1939 Großstadt (mit 100.000 Einwohnern).
Der Neumarkt wurde Verkehrsknotenpunkt. Von hier ging es in alle vier Himmelsrichtungen, egal ob zu Fuß oder mit Fahrzeug. Die nunmehr zentrale Lage des Neumarkts erkannten später auch die Nationalsozialisten. Sie bezogen ihn in ihre demonstrativen Aufmärsche ein und aus dem Neumarkt wurde der „Adolf-Hitler-Platz“.
Wie der Neumarkt nach 1945, als der Großteil der begrenzenden Gebäude in Schutt und Asche lag, wieder zu Leben erweckt wurde und in den 50er Jahren erneut zum Spiegel einer Aufbruchs-stimmung der Stadtgesellschaft wurde, findet sich in Beiträgen von Autoren wie Frank Henrichvark, Wilfried Hinrichs, Joachim Dierks und Sebastian Stricker (meist veröffentlicht in der NOZ).
Neumarkt und ÖPNV
Heute zeigt der Neumarkt ein Profil als Busszentrale. Es sind dort unterschiedliche Bussteige positioniert, die für Busnutzer:innen insofern eine Herausforderung darstellen, als die Haltestellen zum Teil weit auseinander liegen. Etwa in Richtung Neuer Graben oder ‚ums Eck’ in Johannisstraße und Kollegienwall.
Es kann sein, dass die Verantwortlichen für die zukunftsweisende Neugestaltung des Neumarkts ermüdet sind. Fachleute wie Ratsmitglieder bemühen merkwürdige Kompromisse, um die Vision vom ‚Neumarkt’ in Gang halten zu können.
Das lässt sich aus dem Ratsbeschluss vom 26.06. 2023 vermuten:
„Eine Verzögerung der Umgestaltung des Neumarkts darf nicht eintreten. Eine Rechtsunsicherheit und damit wieder jahrelanger Stillstand auf dem Neumarkt ist ebenfalls zu vermeiden“. Es soll ein „Platz“ vor dem Landgericht entstehen, so im Ratsbeschluss, der „von allen Bushaltestellen freigehalten“ wird.
So kam es zur fatalen Entscheidung, eine Einbahnstraßenregelung für die Buslinien vom Hauptbahnhof zum Neumarkt festzulegen und über die Johannisfreiheit zu leiten. Das genau ist vielen Osnabrückerinnen und Osnabrückern ein Ärgernis.
Neumarkt und die Vision
Eine Leserin des Artikels „Plädoyer für Mobilitätszentrum Neumarkt“ (Osnabrücker Rundschau v. 30.01.2025) sandte eine Skizze, die hier veröffentlicht wird. Sie schrieb, dass sie eine Insel auf dem Neumarkt vorschlägt, begrünt, mit Sitzbänken und angelegtem Radweg. Eine Art grüne Ruhezone. Umsteigende Fahrgäste wie Passanten aus der Großen Straße/Johannisstraße könnten hier zu Atem kommen (Fußweg, Blumenbeete, Bänke).
Und wo bleiben die Busse? Die Busse von der Wittekindstraße halten rechts der Grünanlage (Skizze ZOB rechts), sie drehen um oder fahren ihre Strecke über den Kollegienwall weiter; die ankommenden Busse vom Neuen Graben kehren ebenfalls um ((ZOB links) oder fahren in die Johannisstraße. Die Strecke Neumarkt – Hauptbahnhof wird als ‚Zubringer Linie‘ eingerichtet. In die Region fahrende Busse starten vom Hauptbahnhof, fahren nicht über den Neumarkt, halten aber an ausgewiesenen Haltestellen innerhalb Osnabrücks und lassen dort ein Ein- und Aussteigen zu.
Im Bewusstsein als Laie keine Ahnung von den zu berücksichtigenden Faktoren des Liniennetzes zu haben, bat die Leserin, trotzdem die Idee weiterzuleiten; vielleicht wirkt die Vision von einer grünen Insel auf dem Neumarkt inspirierend und erinnert die beteiligten Profis wie die politischen Vertreter:innen unserer Stadt daran, dass es um eine Neugestaltung des Neumarkts geht – und nicht um Flickwerk-Kompromisse im ÖPNV und seiner Buslinienführung. Der bisherige Vorschlag „Konzeptvariante 3B“ erfüllt die Voraussetzung dazu nicht.
Ein Umdenken ist notwendig, wenn ein funktionierendes Liniennetz mit einer ansprechenden und finanzierbaren Gestaltung des Neumarkts gekoppelt und Investoren gewonnen bzw. bei der Stange gehalten werden müssen.
„Nach Umgestaltung und Verkehrsberuhigung wird der Neumarkt Osnabrücks zentraler kommunikativer Treffpunkt sein. Es wird eine Fläche von 5.000 m² für Wochenmärkte, Außengastronomie, begrünten Ruhezonen, Straßenkunst, und für zusätzliche Geschäfte als Pavillons oder Verkaufszeilen zur Verfügung stehen.“ https://dbi-immobiliengruppe.de abgerufen 15.2.2025
Wie die Menschen mit Fahrzeugen des ÖPNV transportiert werden, wenn die Amusement-Mall sich etabliert hat, ist auf der Internetseite der dbi-immobiliengruppe (noch) nicht zu entdecken. Aber Sebastian Stricker stellte in seinem Bericht zur „Solar-Schwebebahn Sunglider“ in der Neuen OZ v. 23.3.2022 vor, welche Vision existiert.
Fazit: Der Neumarkt bleibt ein Spiegel der Prozessualität unserer Stadtgesellschaft.