Samstag, 16. März 2024

Wendy Wordsworth: „Fabulous, Fantastic, Glorious“

Ein Bericht unserer extra aus London nach Osnabrück angereisten England-Korrespondentin Wendy Wordsworth

Gekrönt wird nur in Großbritannien!

Samstag, 11 Uhr bei der Royal British Legion in Osnabrück. Das Gebäude ist mit Fahnen und Luftballons in den britischen Farben geschmückt, auf dem Buffet stehen Scones und Torten für die Gäste bereit, die sich gemeinsam mit den wenigen nach dem Abzug der größten britischen Garnison außerhalb der Britischen Inseln noch in Osnabrück gebliebenen Briten die königliche Krönung ansehen wollen. An der Wand hängt noch das mit einem Trauerflor geschmückte Bild der Queen, doch ein gerahmtes Porträt von Charles steht schon bereit. Die Veteranen-Organisation an der Berghoffstraße zeigt eine gelungene deutsch-britische Symbiose: Britische Fähnchen schmücken einen sehr deutschen Frankfurter Kranz, daneben stehen die leckeren traditionellen britischen Scones mit Clotted Cream, und statt der von Charles und Camilla extra für die Krönung erfundenen vegetarischen Coronation Quiche gibt es Kartoffelsalat mit Würstchen.

alles Fotos Osnabrücker Rundschau / WWalles Fotos Osnabrücker Rundschau / WW

Brilliant, Fantastic, Wonderful!

Aufmerksam verfolgt man bei der Legion die Krönung auf zwei Bildschirmen. Charles, der sich stark pflanzenbasiert ernährt, trägt an diesem Tag reichlich tote Tiere in seinem Zobelmantel in die Westminster Abbey. Dort kommt nicht nur hinter Paravents verborgen das geheimnisvolle Krönungsöl mit obskuren Zutaten aus der ganzen Welt kam zum Einsatz, sondern ein ganzer Tisch voller Requisiten, von goldenen Sporen bis zum Schwert. Die Tory-Abgeordnete Penny Mordaunt, Führerin des Unterhauses, ist die die erste Frau in der Geschichte, die dem König das Schwert übergeben darf. Mitglieder des Oberhauses, die jüdischen, muslimischen und hinduistischen Religionen angehören, überreichen dem König nichtchristliche Insignien wie die goldenen Armbänder. Der stark religiös geprägte Ablauf, bei dem Charles gleichzeitg zum Oberhaupt der Church of England wird, ist von Diversität geprägt. Rishi Sunak, der hinduistische Premierminister Großbritanniens liest aus der Bibel. Den Hosenbandorden, der älteste Ritterorden, vertritt Valerie Amos, die ehemalige Vorsitzende des britischen Oberhauses. Unter den Chorsängern in den weißen Messdienergewändern sieht man einen an seinem Turban erkenntlichen Sikh. Der Archbishop of Canterbury erkennt in seiner Rede denn auch ausdrücklich die verschiedenen Glaubensgemeinschaften an, die das moderne Großbritannien prägen.


Mit Schirm, Fahne, und Plastikkrone

Rejoice (Freut euch!) lautet nicht nur das musikalische Motto des Tages. Massen von Briten, von denen die ersten schon vor Tagen ihr Camp an der Mall in der Nähe des Buckingham Palastes aufgeschlagen haben, lassen sich von „a bit of a drizzle“ nicht abschrecken. Ein leichter englischer Nieselregen – das sei doch zu erwarten gewesen, sagt der Mann bei der Royal British Legion in Osnabrück, der bei strahlendem Sonnenschein vor dem Gebäude Würstchen grillt. Dennoch haben sich Zehentausende Briten mit der Standard-Ausstattung für britische Events – Fahne mit Union Jack und Regenschirm – auf den Weg zur Royal Mall gemacht. Manche haben auch Diademe aus Plastik oder Papierkronen mitgebracht, die sicher leichter zu tragen sind als die 2,1 Kilogramm schwere St. Edward’s Krone des neuen Königs. Der verschwindet zeitweise unter der goldbestickten Supertunika und mehreren Lagen traditioneller Mäntel, die schon seine Mutter und viele andere Vorfahren getragen haben. Das älteste der Gewänder ist 200 Jahre alt.

Auch wenn Camilla sich nicht annähernd so oft umziehen muss wie Charles, macht sie nicht den Eindruck, die Zeremonie zu genießen. Als auch sie endlich die schwere Krone auf dem Kopf hat, zeigt sie dann aber doch ein kurzes, triumphierendes Lächeln. Schließlich ist sie es, die vielgeschmähte Rivalin der beliebten Prinzessin Diana, die jetzt zur Königin gekrönt wurde.

Alle, die sich wundern, dass nicht nur Prinz William seinen kurzen Treuschwur, sondern auch Charles III nach 50jähriger Vorbereitungszeit seine Eidformeln von Spickzetteln abliest, seien daran erinnert, dass König George I, der seine Kindheit in Iburg und dem Osnabrücker Schloss verbrachte, bei seiner Krönung 1714 nicht einmal richtig Englisch gesprochen haben soll, weshalb die Zeremonie komplett in Latein abgehalten wurde.


Wir haben ihn nicht gewählt

Die farbenprächtigen 4.000 Uniformen und die Präzision der Inszenierung, die die Krönung begleitet, macht viele Briten stolz auf ihre militärische Tradition und „proud to be British“. Doch auch wenn während der Zeremonie auch von Charles selbst immer wieder betont wird, der König sei dazu da, zu dienen, und nicht um bedient zu werden, macht die die pompöse Zeremonie nicht alle Briten glücklich. Viele würden statt „God save the King“ lieber „Vive la République“ rufen. Das mittelalterliche, religiös geprägte Zeremoniell, dass die britischen Steuerzahler 100 Millionen Pfund plus Security kostet, bietet genug Anlass zur Kritik, wie sie beim Spiel des als anti-establishment bekannten Fußballvereines Liverpool FC und anderen Sportveranstaltungen am Krönungstag zum Ausdruck kommt.

Die Fußballfans in Liverpool und die der Hibs in Edinburgh sind nicht die einzigen, die an diesem Tag „Not my King“ rufen oder erklären: „Ich habe ihn nicht gewählt!“ und sich mehr über ihren Sieg beim Spiel als die Krönung freuen. Auch im walisischen Cardiff und Glasgow in Schottland gibt es Proteste. Ein Brite aus Osnabrücks Partnerstadt Derby stellt im Internet gar fest, dass er die britische Monarchie lieber unter der Guillotine als auf dem Thron sehen würde. The tide is turning, die Zeiten ändern sich, meinen Anhänger der antimonarchistischen Republic Bewegung, deren Anführer bereits in den frühen Morgenstunden wegen Verdachts auf Vergehen wie Landfriedensbruch und „Verschwörung zur Anstiftung öffentlichen Ärgernisses nahe der Krönung“ ebenso wie 13 Klimaaktivisten der Gruppe Just Stop Oil verhaftet wurden.

Die britische Regierung hat das Demonstrationsrecht zuletzt stark verschärft. Man darf demonstrieren – aber ohne andere zu stören. Das umstrittene neue britische Polizeigesetz erlaubt es, Kundgebungen zu verhindern, wenn zu befürchten ist, dass einzelne Personen oder Gruppen den Zugang zu essenziellen öffentlichen Diensten stören wollen, und sei es nur durch Lärm.  Die Verschärfung des Demonstrationsrechts ist eine Reaktion auf Protestaktionen von Gruppen wie Extinction Rebellion und Black Lives Matter. Wären fast fünfzig monarchiekritische Briten für bis zu 16 Stunden im Gefängnis verbringen müssen, kritisierten ihre Unterstützer die untertänigen Höflinge, die zu Zehntausenden stundenlang in den Straßen der Hauptstadt anstehen, um einen Blick auf die königlichen Hoheiten, ihre Kinder und Enkelkinder hinter den regenverhangenen Scheiben der Prunkkutschen zu erhaschen. Niemand aber entgeht der beeindruckende Auftritt der Red Arrows, dem Kunstflugteam der Royal Airforce, die mit donnernden Motoren über dem mit dem Motto Happy and Glorious geschmückten Triumphbogen Admiralty Arch am Ende der Prachtstraße The Mall auftauchten und die britischen Farben an den Himmel malen.


Währenddessen in den Vereinigten Staaten …

Durchschnittlich 5 Millionen Menschen in Deutschland und 18 Millionen Briten sahen der Live-Übertragung der Krönung zu. Nicht nur Donald Trump, dessen überschaubare Anzahl von AnhängerInnen bei seiner Amtseinführung seine Beraterin 2017 zur Erfindung von alternativen Fakten veranlasste, saß am Samstag weinend vor dem Fernseher. Die Amerikaner, bei denen es am Krönungstag mal wieder einen bewaffneten Amoklauf mit toten Kindern gab, sahen neidisch gleich zwei jahrhundertealte Märchenkutschen durch das fahnengeschmückte London fahren, die es bei ihnen nur in Disneyfilmen gibt. Dabei sollten sie eigentlich eher darauf neidisch sein, dass ein Land, dem seine Militärtradition so wichtig ist wie Großbritannien, im Alltag selbst bei der Polizei ohne Waffen auskommt.

Was immer der 74jährige Charles während seiner Herrschaft erreicht – in der britischen Tourismusindustrie hat er sicher für einige Jahre für neuen Auftrieb gesorgt. Es gebe ja noch einige Monarchien, stellen zwei ältere Damen fest, die sich am Sonntag im Kaffeegarten eines Schlosses in der Umgebung von Osnabrück ausgiebig über die Krönung und darüber austauschen, wie viele Diamanten sie in Camillas Halsband gezählt hätten. Aber gekrönt werde nur in Großbritannien.

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