(Texte und Interviews: Heiko Schulze & Kalla Wefel / Fotos: Manfred Pollert / Technik & Gesamtgestaltung: Kalla Wefel)*
Teil 6 der OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens
Das Mahnmal „Alte Synagoge“
In unserer Serie zu besonders markanten Orten, die uns im Jubiläumsjahr „375 Jahre Westfälischer Frieden“ daran erinnern sollen, dauerhaft für Frieden, Demokratie, Respekt und Toleranz einzutreten, besitzt eine ganz außergewöhnliche Örtlichkeit besondere Bedeutung: das Mahnmal „Alte Synagoge“ in der gleichnamigen Straße. Vorgestellt werden soll es hier unter dem gesamtstädtischen Leitthema „Glaube und Religion“, das auch andere Aktivitäten im Juni bestimmen soll.
Im ähnlichen Sinne hat die OR vor zwei Wochen das Gundrum-Werk „Hexenwahn“ in der Mühlenstraße vorgestellt.
Auch beim Mahnmal für die frühere Synagoge wollen wir gemeinsam innehalten, um die vielfältigen Zusammenhänge der hier angesprochenen religiösen Traditionen betrachten. Unser Bericht stellt sich den Leitfragen: Welchen Beitrag kann insbesondere dieser Erinnerungsort zu gegenwärtigen und zukünftigen Friedensfragen leisten? Welche Verantwortung haben wir alle, um diesen Anspruch einzufordern?
Lernen durch Betrachtung
Begeben wir uns unbefangen an die Örtlichkeit, erblicken wir zunächst das Mahnmal. Es ist eine abstrakte, in Körben aus Kupferdraht eingefasste und kleinformatige Nachinszenierung der früheren Synagoge. Zaunstäbe rechts und links des Mittelteils sollen keineswegs absperren, sondern an etwa 162 ermordete jüdische Nachbarinnen und Nachbarn erinnern.
Ein Blick auf die dort angebrachten Informationstafeln und eigenes Erkenntnisinteresse offenbaren unmittelbar danach bereits wichtige Botschaften: Sie erinnern zuallererst an jene Pogromnacht vom 9. auf den 10. November 1938, die jahrzehntelang, verharmlosend wie beschämend, „Reichskristallnacht“ genannt worden ist. Damals führten Osnabrücker SA-Männer unter Leitung des Ortsgruppenleiters Erwin Kolkmeyer den Befehl zur Zerstörung sämtlicher Synagogen in Deutschland auf lokaler Ebene aus. Das waren keine „wilden Horden“, kein spontaner „Volkszorn“, der sich hier entlud. Unter den SA-Männern, die die Verbrechen dieser Nacht verübten und jüdische Familien in ihren Wohnungen überfielen, waren angesehene Mitglieder der Stadtgesellschaft: Richter Heinz Kelterborn, der in der Pogromnacht zum SA-Scharführer befördert worden war, und Justizoberwachtmeister Hermann Knopf beteiligten sich an den Ausschreitungen, für die sie 1949 wegen Landfriedensbruchs, Freiheitsberaubung und Verbrechens gegen die Menschlichkeit verurteilt wurden. Friedrich Söhnchen, seit 1933 der Verwaltungsdirektor der Städtischen Krankenanstalt, war beim Überfall auf das Ehepaar David an der Krahnstraße dabei, unterstützt von einem Elektromeister Otto Korte, den Grete David persönlich kannte und vergeblich um Hilfe bat.
Ein gebrochener Davidstern symbolisiert in eindrucksvoller künstlerischer Sprache das seinerzeit brutal zerstörte jüdische Leben in unserer Stadt. Der echte Davidsstern auf dem Dach der Synagoge wurde während der Pogromnacht 1938 mit Hilfe einer Feuerwehrleiter in einer symbolträchtigen Handlung von der Kuppel der Synagoge geholt und als „Trophäe“ in einer Schubkarre zum Hotel Germania, dem Stammlokal der SA, gebracht. Die brennende Synagoge durfte nicht gelöscht werden, obwohl sich im direkt angrenzenden Schulgebäude die Wohnungen etlicher jüdischer Familien befanden. Plünderungen von Geschäften jüdischer Kaufleute, brutalste Misshandlungen jüdischer Männer in den Zellen der Gestapo im Schlosskeller, Deportationen in Konzentrationslager und Morde folgten bereits in den Tagen nach dem Brand.
Vernichtung eines wichtigen Stücks Osnabrücks.
Die OR-Redakteurin Martina Sellmeyer ist in gleich drei eindrucksvollen und vielgelesenen Artikeln detailliert auf die Ereignisse der Novemberpogrome 1938 eingegangen ist, bei denen die erst 32 Jahre alte Synagoge entweiht und in Brand gesetzt wurde. Folgenden Links ist hier nachzugehen:
Die Pogromnacht am 9.11.1938 in Osnabrück – Teil 1
Die Pogromnacht am 9.11.1938 in Osnabrück – Teil 2
Die Pogromnacht am 9.11.1938 in Osnabrück – Teil 3
Ein kurzer Textauszug aus dem zweiten Teil soll an dieser Stelle genügen, um zu belegen, wie wichtig es ist, alle drei Teile der Serie, die insbesondere auch auf die menschlichen Einzelschicksale eingeht, ausführlich zu lesen:
„Keinen Grund zum Einschreiten sah die Polizei (…) bei den Plünderungen der Geschäfte jüdischer Inhaberinnen und Inhaber in der Innenstadt. Wie die Fotos zeigen, hielt die SA es nicht mehr für nötig, sich wie noch in der Nacht zuvor zu verkleiden. Nach den Überfällen der nächtlichen Schlägertrupps auf schlafende Familien verwüstete und plünderte sie am hellen Tag ohne jeden Skrupel in aller Öffentlichkeit Wohnungen und Geschäfte der jüdischen Osnabrückerinnen und Osnabrücker – in voller Uniform. Wie schon in der Pogromnacht wurden auch Geldschränke aufgebrochen und ausgeräumt. Niemand der vielen Schaulustigen, die den Plünderungen zusahen, konnte jetzt noch Zweifel haben, dass hier ein verbrecherisches Regime am Werk war.“
An der Vernichtung der jüdischen Gemeinde waren viele OsnabrückerInnen beteiligt, und viele profitierten davon. Wer sich die Zeit nimmt, sollte unbedingt genauer lesen: Auf den Tafeln am neueren Mahnmal, seinerzeit formuliert von Peter Junk, der gemeinsam mit der OR-Redakteurin Martina Sellmeyer das leider mittlerweile vergriffene zentrale Werk zur Osnabrücker Judenverfolgung „Stationen auf dem Weg nach Auschwitz: Entrechtung, Vertreibung, Vernichtung. Juden in Osnabrück 1900-1945“ geschrieben hat, werden diese Stationen aufgezeigt.
Da dieser Bericht zum Thema „Glaube und Religion“ gehört, darf der Hinweis nicht fehlen, dass die christlichen Kirchen zu den Novemberpogromen 1938 schwiegen. Der Landesbischof der evangelisch-lutherischen Landeskirche Hannovers, August Mahrahrens, der sich in seinen Wochenbriefen sonst regelmäßig zu Zeitereignissen äußerte, schwieg zum verbrecherischen Novemberpogrom. Der Osnabrücker Bischof Berning, der zwei Jahre zuvor im Emslandlager Aschendorfermoor seine „lieben SA-Männer“ bei ihrer Arbeit ermuntert hatte, äußerte keine öffentliche Kritik an den Verbrechen der Osnabrücker SA in der Pogromnacht. Auch auf die Nürnberger Rassegesetze, mit denen jüdische Deutsche völlig entrechtet wurden, hatte Bischof Berning nicht reagiert. „Die schon im Oktober und November beobachtete Zurückhaltung der katholischen Geistlichen in ihren Predigten und bei ihrem sonstigen Auftreten in der Öffentlichkeit hielt weiterhin an,“ berichtete die Gestapo für den Dezember 1935. Berning beschränkte seine Ausführungen im bis auf den letzten Platz – auch mit evangelischen Christen – gefüllten Dom an Silvester 1935 laut Gestapobericht „auf rein kirchlich religiösem Gebiet. Angriffe gegen Staat und Bewegung erfolgten nicht.“ Auch bei der Einweihung der Synagoge im Jahr 1906 hatte die katholische Kirche gefehlt. Es waren lediglich Vertreter der evangelischen Kirchen anwesend.
Was nach der Zerstörung der Synagoge an der Rolandstraße am 9. November 1939 folgte, geschah auch unter maßgeblicher Regie des Osnabrücker Oberbürgermeisters Dr. Erich Gaertner, der schnell für den endgültigen Abriss des geschändeten Gotteshauses sorgte. Nach einer fragwürdigen Zwangsversteigerung und einem Grundstückstausch kamen im Jahre 1939 erst die Stadtsparkasse und danach die Regierung in den Besitz des Synagogengrundstücks Rolandstraße 3 und des Schulgebäudes und -grundstücks Rolandstraße 5. Ausführlich nachzulesen ist dies im Aufsatz von Michael Gander: „Günstige Geschäfte: Interessen am Osnabrücker Synagogen-Grundstück – Gestapo, Oberbürgermeister und Regierungspräsident“ in den von Thorsten Heese herausgegebenen „Topografien des Terrors. Nationalsozialismus in Osnabrück“, Bramsche, 2015, dem Standardwerk zur NS-Zeit in Osnabrück. Das Gebäude der jüdischen Schule ließ man stehen und nutzte es unter anderem für Dienststellen der Kriegsgräberfürsorge und – ausgerechnet – der Hitlerjugend.
Kleiner Exkurs zur Geschichte der jüdischen Gemeinde
Der Gedenkort schafft etwas, was bei äußerlicher Betrachtung unmöglich ist: Besuchende bekommen eine Vorstellung davon, was hier einmal war. Die Jüdische Gemeinde, die bei den Novemberpogromen durch die Vernichtung ihres Versammlungsortes endgültig zerstört wurde, stellte mit weniger als einem halben Prozent der Bevölkerung in der Hasestadt eine sehr kleine Minderheit dar. Nach überlieferten Pogromen im Zuge der mittelalterlichen Pest um 1350 herum hatten noch ganze Städte, Osnabrück zählte dazu, innerhalb der Staatenvielfalt Deutschlands für die folgenden Jahrhunderte als „judenfrei“ gegolten. Jüdinnen und Juden durften sich von 1424 bis 1808 nur auf der Durchreise oder zu Viehmärkten in der Stadt aufhalten. Ständig unterlagen sie dabei Schikanen durch die Stadt. Ihnen wurde der Aufenthalt lediglich tagsüber gestattet; für Übernachtungen etwa mussten sie eine behördliche Genehmigung beantragen.
Erst während der napoleonischen Zeit zu Beginn des 19. Jahrhunderts begann sich die rechtliche Lage jüdischer Menschen auch in Osnabrück vorübergehend zu verbessern. Die Kramer und Gilden, zu denen Juden keinen Zugang hatten, versuchten aber weiterhin, die Stadt von Juden „reinzuhalten“. Man verweigerte ihnen Rechte, wie das zum Grunderwerb oder der Ausübung bestimmter Berufe, verlangte aber gleichzeitig immer höhere Abgaben. So ist es nicht verwunderlich, dass nur zwei bis fünf jüdische Familien in der Stadt lebten. Doch Ende des 19. Jahrhunderts wuchs die Gemeinde durch die allgemeine Abwanderung aus ländlichen Gebieten in die Städte durch den Zuzug aus umliegenden Orten. 1872 hatte sie 25 Steuerzahler. Als der jüdischen Gemeinde ihr Beetraum in der Bierstraße gekündigt wurde, den sie ab etwa 1850 genutzt hatte, besaß sie 1872 deshalb genügend Finanzkraft, um ein Gebäude am Barfüßerkloster für den Gottesdienst zu erwerben, bei dem es sich allerdings um ein sehr einfaches und keineswegs repräsentatives Gebäude handelte. Doch die Gemeinde wuchs weiter, bis 1905 auf 474 Mitglieder. Die sechzig Sitzplätze im Barfüßerkloster reichten an den hohen Feiertagen längst nicht mehr aus und die kleine Synagoge war so überfüllt, dass die Andacht sehr beeinträchtigt wurde. Zwanzig Jahre lang versuchte die Jüdische Gemeinde vergeblich, angemessene größere Räume für den Gottesdienst zu finden. So entschloss sie sich schließlich, selber ein Gotteshaus zu bauen. Das forderte große finanzielle Opfer von der kleinen Gemeinde, die nicht einmal hundert Familien zählte.
Am 12. September 1905 wurde der Grundstein für einen Neubau an der Rolandstraße (heutige Alte-Synagogen-Straße) gelegt. Das mehrgeschossige Gebäude mit eindrucksvoller grüner Kuppel beruhte auf Plänen des überregional angesehenen Kölner Architekten Sigmund Münchhausen. Die Assimilation der Osnabrücker Jüdischen Gemeinde drückte sich auch im neoromanischen Stil der Synagoge aus, der an Kirchenbauten angelehnt war. Am 13.September 1906 erfolgte die feierliche Eröffnung. Zehn Jahre später wurde ein Gemeindehaus angebaut, in dem die einklassige Israelitische Elementarschule und einige Wohnungen für Gemeindebedienstete untergebracht wurden.
Stadtsyndikus Reimerdes versprach bei der festlichen Einweihung des Gotteshauses, „die Stadt sei bereit, es unter ihren Schutz zu stellen“. Der Landesrabbiner appellierte eindringlich an den Kaiser, „dass er uns schütze, uns sichere vor Anfeindungen und Gefahren und Entwürdigungen […], dass alle in Ruhe und Frieden in diesem Reiche leben können“. Dieser Appell erfolgte nicht ohne Grund. Lehrer Simon Bachenheimer berichtete in der jüdischen Presse bereits 1889 von „schmutzige[r] Gehässigkeit gegen alles, was Jude heißt“. Juden müssten sich in Osnabrück auf offener Straße beleidigen lassen. Um 1890 gründeten einige als „Radauantisemiten“ bezeichnete Osnabrücker den Deutschen Verein zu Osnabrück, der in der Folge antisemitische Redner in die Stadt einlud. Der Verein unter Leitung von C.P. Wieman, A. Brickwedde und Th. Breusing sah es als seine Aufgabe, „die Judenfrage zu lösen“. Neid war eine treibende Kraft des Antisemitismus in Osnabrück, die latent immer präsent war. Er richtete sich besonders gegen erfolgreiche Mitglieder der Stadtgesellschaft, wie sich 1890 am Beispiel der Verleumdungen gegen den erfolgreichen Chirurgen Dr. Pelz zeigte. Dadurch, dass sie die Große Straße auf dem Flugblatt von 1896 als Neu-Jerusalem bezeichneten, wollten Osnabrücker Geschäftsleute ihre jüdische Konkurrenz schädigen – „aus dem unseligen Neid“, wie Lehrer Simon Bachenheimer es bereits 1889 erkannt hatte. Neid begegnete auch den erfolgreichen Eisenwarenhändlern Simon Gossels und Philipp Nussbaum, dessen 1904 geborener Sohn Felix Maler und – aufgrund seines Talents – sogar auserwählter Stipendiat der Villa Massimo in Rom wurde.
Nussbaum-Bild als zeitlos wirkende Zeitaufnahme.
Wer sich an die frühere Synagoge erinnern will, muss von der Gedenkstätte an der Alten Synagogen-Straße nur wenige hundert Meter weiter durch den beschaulichen Rabbiner-Stern-Weg zum Felix-Nussbaum-Haus gehen. Es gibt dort kaum ein eindrucksvolleres Zeitdokument, das einen Eindruck vom Inneren der Synagoge vermittelt, als ein großformatiges Ölgemälde von Felix Nussbaum, das sich aufgrund glücklicher Umstände zum Zeitpunkt des Brandes 1938 nicht mehr im Clubraum der Synagoge befand und so vor der Vernichtung gerettet wurde.
Der Osnabrücker Künstler war gerade mal 21 Jahre alt, als er 1926 das Bild „Die beiden Juden“ („Inneres der Synagoge zu Osnabrück“) malte. Dabei ging es ihm weniger um die Darstellung eines jüdischen Festes als vielmehr um eine Gegenüberstellung der Generationen, somit von Vergangenheit und Zukunft. Nicht von ungefähr arbeitete Nussbaum öffentlich im Gemeindehaus an seinem Gemälde, wo ihm auch der gemalte Kantor Gittelsohn Modell saß. Nussbaums Werk zeigt den Künstler neben dem Kantor vor dem Hintergrund des Inneren der Synagoge. Nussbaum zeigt sich in diesem Bild zwar weit lockerer und distanzierter als sein älterer Glaubensbruder. Gleichwohl gilt das Doppelporträt bis heute als ein Bekenntnis Nussbaums zum jüdischen Glauben.
Die vernichtete Gemeinde
Felix Nussbaum, seine Frau, seine Eltern, sein Bruder mit Frau und Kind wurden im Holocaust ermordet. Nur wenige überlebende Mitglieder der Jüdischen Gemeinde kehrten nach ihrer Befreiung aus dem Konzentrationslager nach Kriegsende 1945 nach Osnabrück zurück. Die meisten von ihnen wanderten anschließend aus. Die Jüdische Gemeinde, die die Synagoge gebaut hatte, wurde in der Shoah vollständig vernichtet. Es gab nächste Generation, die die das Gemeindeleben in Osnabrück hätte weiterführen können. Glückerweise trifft der Text auf einer der Tafeln an der Gedenkstätte in der Rolandstraße nicht zu, dass nur zwölf Mitglieder der Jüdischen Gemeinde den Holocaust überlebten. Tatsächlich kehrten nur dreizehn Mitglieder der Gemeinde als Überlebende verschiedener Konzentrationslager in die Stadt zurück. Viele Mitglieder der Gemeinde konnten jedoch durch die rechtzeitige Flucht aus ihrer Heimatstadt ins Ausland ihr Leben retten. Nach den Novemberpogromen 1938 gelang das nur noch wenigen. Von diesen Emigranten kehrte aber niemand nach Osnabrück zurück.
Im August 1945 wurde mit Unterstützung der britischen Besatzungsmacht ein ehemaliger Klassenraum in der Rolandstraße 5 als provisorische Synagoge eingeweiht. Zu den Überlebenden des Holocaust, die in der Stadt blieben, gehörte Ewald Aul, der im Dezember 1941 nach Riga deportiert und von dort ins KZ Stutthof deportiert worden war kam. Er erlebte, wie beim Gottesdienst am höchsten jüdischen Feiertag 1945 erneut Fenster mit Steinen eingeworfen wurden. Dennoch blieb Ewald Aul in der Stadt, aus der er als 16jähriger deportiert worden war, und wurde zum langjährigen Vorstand der neu entstehenden Jüdischen Gemeinde und 1980 zum Mitbegründer der Gesellschaft für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e. V. Osnabrück.
Die Synagogengemeinde stellte 1949 einen Rückerstattungsantrag für die das Synagogengrundstück. Sie plante, zwischen Regierung und dem erhaltenen ehemaligen Schulgebäude einen Wohnblock mit 23 Wohnungen zu errichten. Fundamente und Kellergeschoss waren schon fertiggestellt, als die Regierung das Projekt verhinderte und 1956 darauf den schon 1938 beabsichtigten Erweiterungsbau verwirklichte. Das Schulgebäude stand noch bis 1968, dann wurde es abgerissen und die Flächen, auf denen früher der westliche Teil der Synagoge und die Israelitische Elementarschule standen, dem heutigen Parkplatz hinter dem Regierungsgebäude zugeschlagen.
Zwischen 1967-1969 entstand endlich eine neue Synagoge mit Gemeindezentrum und Wohnungen in der Straße „In der Barlage” in der Weststadt. Auch wenn es am Standort der ehemaligen Synagoge im Katharinenviertel nicht zu einem neuen Gemeindeleben kam, gibt es trotz der Shoa wieder eine neue jüdische Gemeinde in Osnabrück. Vor allem durch Zuzug ehemaliger Bürgerinnen und Bürger der Sowjetunion seit den 1990er Jahren verzeichnete die Gemeinde eine erheblich wachsende Mitgliederzahl. 1994 gab es mit Mark Stern zum ersten Mal seit 1925 wieder einen Rabbiner in der Stadt. Ein erweiternder Umbau des Gemeindehauses begann im Oktober 2008 und endete mit der feierlichen Eröffnung am 3. Februar 2010. Wer mehr nachlesen möchte, dem oder der sei ein wichtiges Buch empfohlen. Titel: Das Mahnmal „Alte Synagoge“ – Eine Dokumentation. Herausgegeben von den Berufsbildenden Schulen der Stadt Osnabrück beim damaligen Verlag A. Staperfeld in Osnabrück.
Erinnerung an die zerstörte Synagoge
Zwischen 1949 und 1969 existierte immerhin eine kleine Gedenkanlage am ehemaligen Synagogenstandort in der Rolandstraße, bestehend aus einer mittleren Stele mit einer Texttafel und zwei nebenstehenden Bronzetafeln, welche die zerstörte Synagoge zeigen. Zum 40. Jahrestag der Novemberpogrome wurde 1978 der östliche Abschnitt der Rolandstraße in „Alte-Synagogen-Straße“ umbenannt. Bis zur Errichtung der hier besprochenen Gedenkstätte gab es als einzigen Hinweis seit 1978 an der Hauswand des ehemaligen Regierungsgebäudes drei Bronzetafeln, wovon mindestens eine auf der früheren Gedenkstätte (1949/1950) angebracht gewesen war.
Die Textfassung und der Ort der Tafeln am „Gebäude der Täter“ stießen im Laufe der Jahre auf zunehmende Kritik. Die Bezirksregierung war eine wichtige Instanz bei der Arisierung der Häuser, Grundstücke und Geschäfte von Mitgliedern der jüdischen Gemeinde gewesen und hatte u.a. OsnabrückerInnen bei der Gestapo in Berlin denunziert, weil sie sich nicht an die Boykottaufrufe gegenüber Geschäften jüdischer InhaberInnen hielten.
50 Jahre nach der Zerstörung der Synagoge reiften 1988 Pläne für einen neuen, würdigeren Ort des Gedenkens. Vor der überfälligen Errichtung des heutigen Mahnmals gab es Bemühungen, an dieser Stelle nicht einen Ort zum Gedenken, sondern zur Information über die Geschichte der Synagogengemeinde der Stadt und ihre Vernichtung einzurichten. Auf Antrag der Fraktion Die Grünen nahm die Stadt Gespräche mit der Bezirksregierung Weser-Ems mit dem Ziel auf, die Grundmauern der Synagoge freizulegen und in einen Gedenkort einzubeziehen. Eine Grabung im Jahr 1990 zeigte, dass die Fundamente des zerstörten Gotteshauses noch vorhanden waren. Das Staatshochbauamt entwarf 1991 Pläne für ein Gebäude, in dessen Erd- und Untergeschoss eine „Gedenkstätte Alte Synagoge“ und im Erdgeschoss ein Vortragssaal mit 100 Plätzen eingerichtet werden sollte. Von diesem Saal aus hätte man einen Blick auf die Mauerreste der Synagoge gehabt. Auf dem Kellerniveau zwischen den Grundmauern sollten Ausstellungsflächen für eine Dokumentation zur Geschichte der jüdischen Gemeinde in Osnabrück geschaffen werden. Nach den Vorstellungen der Stadt sollte das Land als Grundstückseigentümer die Kosten für Bau, Ausstattung und Unterhalt übernehmen, während die Stadt die organisatorische und inhaltliche Trägerschaft der Einrichtung übernehmen an die Felix–Nussbaum-Gesellschaft und das Museum delegieren wollte. Die Gedenkstätte wäre über den Rabbiner-Stern-Weg, der unmittelbar bei der Gedenkstätte auf die Alte-Synagogen-Straße mündet, mit dem geplanten Felix-Nussbaum-Haus verbunden gewesen. Doch am Ende erteilte die Landesregierung den Plänen eine Absage. Die Grundmauern wurden wieder zugeschüttet. Noch heute sind die Überreste der vernichteten Synagoge unsichtbar und unwürdig unter der Teerdecke des Parkplatzes der Bezirksregierung verborgen. Als mehr als zehn Jahre später der Gedanke entstand, an der Stelle der zerstörten Synagoge eine Gedenkstätte einzurichten, gab es die Anregung, die Grundmauern erneut freizulegen und mit einer Glasplatte zu überdecken. Doch sie wurde nicht aufgegriffen.
Lernen mit Kopf und Hand
2004 entstand auf Initiative der Gesellschaft für christlich-jüdische Zusammenarbeit an dieser Stelle das Mahnmal „Alte Synagoge“. Mit der Errichtung hätte man ebenso eine ambitionierte Fachfirma beauftragen können. Doch man entschied sich bewusst für einen völlig anderen Weg: Am Bau sollten sich über 120 Schüler*innen der Berufsbildenden Schulen der Stadt und des Landkreises sowie Auszubildende von Osnabrücker Industriebetrieben beteiligten. Beteiligt waren daneben auch weitere „erwachsene“ Verantwortliche aus den Berufsbildenden Schulen Osnabrücks, von der KM-Europa Metal AG, der Wilhelm Karmann GmbH und weiteren Firmen, die alles anleiteten sowie gemeinsam mit den jungen Leuten hergestellten und aufgestellten.
Zugrunde gelegt haben sie bei ihrer Tätigkeit den Entwurf des Diepholzer Diplom-Architekten Richard Wilhelm Bitter. Zentrales Element seiner Idee sind so genannte Gabionen (Körbe aus Kupferdraht), die mit Westerberg-Kalkstein gefüllt sind. Den Auszubildenden wurde klargemacht, dass dies exakt jenes Baumaterial war, das einst für die Grundmauer der Synagoge verwendet wurde – und zugleich seit Jahrhunderten das Baumaterial für Osnabrücker Gebäude geliefert hatten. An der mittleren Gabione im unteren Bereich verbindet der bereits oben genannte kupferne Davidstern durch seine abgeknickte Form das Mahnmal mit dem Gehweg.
Die Texte auf den symmetrisch angebrachten Bronzetafeln stammen vom verstorbenen ehemaligen stellvertretenden Stadtbibliotheksleiter Peter Junk, der gemeinsam mit der OR-Redakteurin Martina Sellmeyer das leider mittlerweile vergriffene zentrale Werk zur Osnabrücker Judenverfolgung „Stationen auf dem Weg nach Auschwitz: Entrechtung, Vertreibung, Vernichtung. Juden in Osnabrück 1900-1945“ geschrieben hat.
Indem die damals Mitwirkenden bei ihrer Arbeit an der Gedenkstätte seinerzeit wiederholt mit den damaligen Geschehnissen und mit der Zahl der getöteten Opfer konfrontiert wurden, entstand bei ihnen ein lebenslang wirkender Lernprozess, der bei jungen Menschen nicht immer in so idealer Weise möglich ist. Eben dies führt uns zum Abschluss zur letzten, hier für unser Thema abgeleiteten Leitfrage der Osnabrücker Aktivitäten im Friedensjahr 2023: „Welche Verantwortung haben wir alle, um diesen Anspruch am Standort dieses Mahnmals einzufordern?“ Zum Beispiel, indem wir junge Menschen, wie geschehen, an derartigen Erstellungsprozessen beteiligen und gerade jungen Altersgruppen vor Ort demonstrieren, wie man aus historischem Geschehen für die Zukunft lernen kann.
Es wäre wünschenswert, wenn in der Stadt an die Geschichten von Diskriminierung, Verfolgung, Ausplünderung und fehlender Solidarität seitens der übrigen Stadtgesellschaft erinnert würde, die die Überlebenden bei ihren Besuchen in Osnabrück Martina Sellmeyer und Peter Junk berichtet haben, damit sie an die nächsten Generationen weitergegeben werden. Erworbenes Wissen ist nachhaltig – und durch keine Gewaltmaßnahme mehr zu zerstören. Doch derzeit werden die Erlebnisse derer, die bewusst und unter großen Schmerzen ihre Erinnerungen hervorgeholt und der Stadt anvertraut haben, damit sie an die nächsten Generationen weitergegeben werden, nirgendwo mehr aufbewahrt. Sie brauchen einen Platz in Osnabrück, denn zum sinnvollen Gedenken gehört auch Kenntnis der Geschichte.
Der Podcast zum Bericht:
Heiko Schulze & Kalla Wefel unterhalten sich mit Martina Sellmeyer über das jüdische Leben in Osnabrück.
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*Die 14-teilige OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens wird gefördert vom Fachbereich Kultur der Stadt Osnabrück.