Montag, 8. Januar 2024

Die Osnabrücker „Friedensklinke“ und ihr Schöpfer (mit Podcast)

(Texte und Interviews: Heiko Schulze & Kalla Wefel / Fotos: Manfred Pollert / Technik & Gesamtgestaltung: Kalla Wefel)

Teil 7 der OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens*

Türklinken bilden in unserem Alltag ein Thema, über das selten viele Worte verloren werden. Es sei denn, wir geraten in unselige Debatten um verschlossene Gemächer oder viel zu teure Schlüsseldienste. Ganz zu schweigen von Alltagssituationen, bei denen sich Menschen irgendwo und irgendwann die Klinke in die Hand geben.

Auf jeden Fall ist die Türklinke an der Eingangstür eines Hauses so etwas wie dessen erste Visitenkarte. Und wo gilt dies mehr als im wichtigsten Gebäude unserer eigenen Stadt? Das Osnabrücker Rathaus ist nämlich eines der wenigen Gebäude, bei denen nicht nur Baustil und innere Geschehnisse im Mittelpunkt stehen, sondern auch die Klinke der Eingangstür. Viele kennen sie, auf dem dort vorfindbaren Schriftzug bezogen, auch schlichtweg als „Friedensklinke“. Warum schreiben wir darüber? Weil sich hinter dieser Klinke und ihrer Tür weit mehr verbirgt, als auf den ersten Blick zu vermuten ist …


Türklinke und Friedensjubiläum

Das städtisch gewünschte Leitthema unserer Serie zum 375. Jahrestag des Westfälischen Friedens lautet „Begegnung und Dialog“. Sich angesichts dieses Themas über eine Eingangsklinke zu unterhalten, liegt deshalb näher als zunächst vermutet. Dieser Eindruck verstärkt sich, sobald wir uns die Leitgedanken des Friedensjubiläums für den Monat Juli anschauen:

„Das 21. Jahrhundert bietet unzählige Möglichkeiten der Kommunikation. Zugleich scheint es immer schwieriger geworden zu sein, einander zu begegnen und miteinander zu sprechen. Im Juli möchten wir deshalb Räume schaffen für Dialog, die zentrale Grundlage für demokratisches Handeln. Wie können wir uns trotz aller Unterschiedlichkeiten aufeinander einlassen und einander begegnen?“

Und was setzt nun mal jede Begegnung voraus, um überhaupt stattfinden zu können? Richtig! Das Drücken irgendeiner Türklinke, um zur gewünschten Zusammenkunft zu gelangen. Zugleich führt uns jenes Klinkendrücken zu deren künstlerischem „Schöpfer“ und seinem Lebenswerk: Fritz Szalinski.


Die Rathausklinke: rein technisch betrachtet

Eine Türklinke, belehrt uns Wikipedia, „ist ein abgewinkelter Hebel zum Öffnen und Schließen einer Tür von Hand. Der Klinkenhebel besteht aus dem eigentlichen Griff und dem dazu rechtwinkligen Dorn.“ Üblicherweise werde der um den Dorn drehende Griff heruntergedrückt, um die Tür zu öffnen und in den ersehnten Raum zu gelangen. Der Mechanismus des Türschlosses bewirke, dass die Schlossfalle durch die Drehbewegung des Dorns aus dem Schließblech gezogen wird. Zum Schließen der Tür muss die Klinke offenbar nicht zwingend betätigt werden, da die Falle selbsttätig einschnappe. Unwillkürlich muss man sich bei dieser technischen Beschreibung auf das legendäre Mike-Krüger-Lied „Sie müssen nur den Nippel durch die Lasche zieh’n“ erinnert. Verlassen wir deshalb die rein technische Perspektive einer seelenlosen Klinke.

Die Seele der Osnabrücker Rathausklinke ist untrennbar mit jener Tür verbunden, deren Öffnung oder Schließung sie ermöglicht. Die Rathaustür selbst ist ein historisches Original und Zeugin, sobald aufgezählt werden soll, wer bis heute durch diese Tür geschritten ist. Gefertigt ist sie aus schwerem Eichenholz. Und was das Besondere an ihr ist: Sie stellt die Originaltür aus der Zeit der Errichtung des Rathauses dar. Das Holz für die Tür wurde um 1494 herum gefällt, wie Kundige an der Anzahl der Jahresringe erkennen. Und die Gesandten, die hier zwischen 1643 und 1648 aus- und eingingen, um durch die Tür zu ihrem Verhandlungsort in der Großen Ratskammer, dem späteren Friedenssaal zu gelangen? Ihnen dürften willige Rathausdiener oder mitbeorderte Domestiken den Griff auf die Türklinke abgenommen haben.

Die heutige Klinke haben in den letzten Jahrzehnten natürlich ganz andere Menschen durchschritten. Ob einige von denen dabei auch an den Künstler gedacht haben, der sie einmal hier angebracht hat? Wir schätzen, die wenigsten.


Die neue Klinke

Längst hat die bereits erwähnte moderne Klinke den Blick auf die alten Holzstrukturen verdrängt. In diesem Jahr feiert sie sogar einen runden Geburtstag! Angebracht wurde sie nämlich im Jahre 1963 – exakt vor 60 Jahren! Wo bleibt die Feier?

Die eindrucksvolle bronzene Klinke stammt aus dem Schaffen des Osnabrücker Bildhaues Fritz Szalinski (1905-1978). Sein Werk und die Tür gelten heutzutage als das wohl meistfotografierte Motiv der Friedensstadt Osnabrück. Kein Wunder: Zu sehen ist eine klassische Friedenstaube. Sie befindet sich  auf einem Balken mit der Aufschrift “Friede 1648”. Ebenso zu sehen sind das Stadtwappen in Form des Osnabrücker Rades. Wann, wenn nicht jetzt, sollte es tatsächlich an der Zeit sein, auf den Künstler und sein Lebenswerk zu blicken?

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Wer war der junge Fritz Szalinski?

Der Bildhauer und Künstler Fritz Szalinski Junior war waschechter Osnabrücker, der hier viele Jahre lebte und arbeitete. Umgekehrt lebte und lernte er auch in etlichen anderen Orten. Nach dem Schulabschluss machte er zwischen 1920 und 1924 eine Ausbildung als Holzbildhauer beim Osnabrücker Bildhauer Bruno Henning. Bereits seine Gesellenprüfung bestand Szalinski nicht nur mit Auszeichnung, sondern erhielt einen „Staatspreis als bester Prüfling“. Von April 1925 bis Juli 1928 lernte er an der Holzschnitzschule Bad Warmbrunn in Niederschlesien. Es folgten bis 1928 vier Semester an der Kunstakademie Königsberg. An der Kunstakademie erhielt er zwei erste Preise bei Wettbewerben für Plastiken, die von der Akademie ausgeschrieben worden waren. In Königsberg lernte er seine spätere Frau Charlotte Eckert, genannt Lotte (1906–1988), kennen, die dort die Kunstgewerbeschule besuchte. Sie arbeitete vornehmlich als Malerin und Batikerin. Anno 1928 kehrte Szalinski nach Osnabrück zurück.

In seiner alten Heimat eröffnete er ein Atelier in der Dielinger Straße. 1929 gründete er zusammen mit der am demokratischen „Bauhaus“ ausgerichteten und in der Nazizeit verfemten Malerin Maria Rasch in Osnabrück den „Bund Bildender Künstler“, den er bis 1933, dem Jahr der NS-Machtübernahme, sogar leitete. 1945 sollte er ihn neu gründen und wieder für mehrere Jahre den Vorsitz übernehmen. Sohn Peter wurde 1934 geboren.


Tragisches Schicksal des Vaters

Geprägt wurde das Leben des jungen Fritz Szalinski unweigerlich vom tragischen Schicksal seines Vaters. Er, der ebenfalls Fritz hieß, war 1900 aus Lesgewangminnen bei Tilsit (Ostpreußen) nach Osnabrück gekommen. Mutter Amalie Szalinski, gebürtige Steinbacher (1881–1911), stammte ebenfalls aus Ostpreußen. Sie starb, als der kleine Fritz fünf Jahre alt war. Aber auch der frühe Tod der Mutter beeinflusste somit das Leben des späteren Künstlers.

Der Vater arbeitete als Werkzeughärter, wurde aktiv im Deutschen Metallarbeiterverband (DMV) und in der SPD. Er bildete sich fort und wurde 1919, Sohn Fritz ist zu diesem Zeitpunkt 5 Jahre alt,  hauptberuflicher Sekretär des DMV, dem Vorläufer der heutigen IG Metall. Durch erneute Heirat des Vaters bakam der kleine Fritz eine Stiefmutter. Diese war Karoline Szalinski, gebürtige Glindmeyer (1890–1970). Fritz kleine Schwester Henriette, genannt Henny, wurde 1916 geboren.

Ein wahres Martyrium erlebte der bereits als Bildhauer arbeitende Fritz Junior, als er bereits im Erwachsenenalter von 28 Jahren war. Der Vater erlitt als Gewerkschafter und Sozialdemokrat seit 1933 eine brutale politische Verfolgung und wurde arbeitslos, nachdem seine Gewerkschaft von den Nazis verboten und zerschlagen worden war. Es sollte noch schlimmer kommen: Im August 1944 wurde Vater Fritz im Zuge der sogenannten „Aktion Gewitter“ verhaftet, ins KZ deportiert und kam am 15. Januar 1945 im Konzentrationslager Neuengamme zu Tode. An den Vater des Künstlers und andere verfolgte Osnabrücker Gewerkschafter wie Sozialdemokraten erinnern seit Juni 2008 Stolpersteine des Künstlers Gunter Demnig am Kollegienwall, dem früheren Standort des Osnabrücker Gewerkschaftshauses und ehemaligen Arbeitsplatzes des Vaters.

Dieter Przygode hat sich im Rahmen eines OR-Beitrags ausführlich mit dem Schicksal von Szalinski Senior befasst.


Ein Künstler „schlägt sich durch“

In der NS-Zeit hatte Fritz Junior das Glück, nicht, wie viele andere, als „Entarteter Künstler“ gebrandmarkt und so zur Flucht aus Deutschland gezwungen zu werden. Offenkundig gelang es ihm, sich, wie, gilt es noch näher zu erforschen, zu „arrangieren“ und somit den Familienunterhalt leidlich zu sichern. Auftragsarbeiten, vorwiegend im privaten Raum, sicherten das Überleben. Während des Zweiten Weltkriegs wurde Szalinski, dessen Fachlichkeit unbestritten war, sogar von 1941 bis 1944, der Zerstörung der Berliner Staatsoper Unter den Linden durch einen Bombenangriff, als Bildhauer an deren Wiederaufbau beteiligt.

Näheres dazu im Podcast - Foto: ORNäheres dazu im Podcast - Foto: OR

Daheim wurde sein Osnabrücker Atelier am 13. September 1944 durch einen Bombenangriff vernichtet. Die darin befindlichen Werke waren unwiederbringlich zerstört. Fritz Szalinski wurde 1944 zum Wehrdienst eingezogen, „erlebte aber“, wie er später sagte, „nur noch Rückzüge bis zum schrecklichen Ende. Es war die erbärmlichste Zeit meines ganzen Lebens“.

Nach 1945 setzte er sein Schaffen im noch zerstörten Osnabrück im noch bescheidenen Rahmen fort. 1952 absolvierte er vor der Osnabrücker Handwerkskammer die Prüfung als Stein- und Holzbildhauermeister mit Auszeichnung. 1953 bezog er ein Atelier in der Straße Bocksmauer, wo gleichzeitig das familiäre Wohnquartier bezogen wurde.


Spuren des „Klinkenmachers

Warum die von Walter Oehmichen gegründete legendäre „Augsburger Puppenkiste“ ihren Ursprung in Osnabrück hat, erfahrt ihr im Podcast. Foto. OR

Bis 1972 war er an einer Vielzahl von Einzel- und Gruppenausstellungen beteiligt. Er restaurierte und rekonstruierte außerdem Werke anderer Künstler wie die vier Skulpturen am Rand der Terrasse des Osnabrücker Schlosses oder 1966 das Wappen des letzten evangelischen Osnabrücker Fürstbischofs Friedrich von York an der Bischöflichen Kanzlei.

Wer sich durch die heutige Stadt bewegt, entdeckt von ihm zahlreiche Kunstwerke. Das „Mädchen mit Vogel“ steht leider etwas abseits auf einem kleinen Platz an der Ecke Turmstraße/Jakobstraße. Dass derartige Arbeiten unter freiem Himmel zu erleben sind, besitzt einen besonderen Grund: Szalinski wurde für seine Arbeiten im öffentlichen Raum bekannt.

Natürlich schuf Szalinski auch Kunst für Innenräume – private wie für solche in Museen und Galerien. Denn er zeigte sich stets sehr vielseitig und arbeitete in Holz, Stein, Metall sowie Keramik. Zudem zeichnete er mit unterschiedlichen Techniken ebenso sehr vielgefragte Motive.

All seine Werke sind deshalb bis heute ein wichtiger Teil der Kunstszene von Osnabrück und werden von Einheimischen und Touristen gleichermaßen aufgesucht, fotografiert oder sogar mit Selfies versehen. Fritz Szalinski starb 1978. Sein Grab, für das er das Grabmal natürlich (?) persönlich  geschaffen hat, befindet sich auf dem Heger Friedhof in Osnabrück.


Der Podcast zum Bericht:

Heiko Schulze & Kalla Wefel unterhalten sich mit Boris Szalinski, dem Enkel von Fritz Szalinski, über das aufregende Leben der Künstlerfamilie.

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*Die 14-teilige OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens wird gefördert vom Fachbereich Kultur der Stadt Osnabrück.

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