Konvertierter Kriegerkult (mit grandiosem Historienfilm)

(Texte & Interwievs: Heiko Schulze & Kalla Wefel / Fotos: Manfred Pollert / Technik & Gesamtgestaltung: Kalla Wefel)
Teil 13 der OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens*

Hackländers „Ehrenmal“ am Straßburger Platz. Ein Denkmal zum Nachdenken 

Wer seinen Blick eher gelangweilt über den Straßburger Platz auf die Höhen des Westerberges schweifen lässt, muss beim Anblick eines vermeintlichen Denkmals irgendwann innehalten: Sollen das oben eigenartig verbogene Ofenrohre sein, die jetzt ein uraltes Monument aus längst vergangener Zeit krönen? Anlass genug, sich dem Ort zu nähern und sich seiner Geschichte zu widmen. Dies sei bereits vorweggenommen: Die Sprache der Kunst kann am Ende vorzüglich einen Bogen von der Vergangenheit zur Zukunft spannen.

Jene „Zukunft“ lautet nämlich das Oktober-Motto einzelner Monatsthemen, die in der Stadt Osnabrück im weitesten Sinne an das 375jährige Jubiläum des Westfälischen Friedens in Osnabrück und Münster erinnern sollen. Stichworte für unsere OR-Serie, aber auch für unzählige bürgerschaftliche oder städtische Aktivitäten sind seit dem Frühjahr, in dieser Reihenfolge, Natur und Umwelt, Geschichte, Glaube und Religion, Dialog und Begegnung, Europäischer Frieden, Engagement und Widerstand gewesen.

Im jetzigen Oktober sollen diese zentralen Friedensthemen zusammengefasst und das Jubiläumsjahr mit einem Blick in die Zukunft beendet werden: „Was fordert die Zukunft von allen Generationen? Wie können wir Frieden neudenken und die Zukunft aktiv gestalten?“ lauten die Leitfragen.

Was, so dürften sich jetzt viele fragen, hat nun das umgestaltete alte Kriegerdenkmal auf dem Straßburger Platz mit „Zukunft“ zu tun?


Das Monument und seine Geschichte

Wer die Konstruktion auf der Höhe außer Acht lässt, stößt zunächst auf eine beinahe klassische Konstruktion eines sogenannten Ehrenmals, die allseits bekannt anmutet.

Beginnen wir bei der Betrachtung, ganz klassisch, von unten. Beäugen wir zunächst den betagten Sockel, der eine korinthische Säule trägt. Auf den Seiten dieses Sockels, er besteht aus Obernkirchener Sandstein, sind die Namen sogenannter Gefallener aus den Städten Osnabrück, Melle und Quakenbrück sowie den früheren Ämtern des Fürstbistums Osnabrück genannt. Man studiert dann Vor- und Zunamen von 155 Kriegstoten. Die Herkunftsorte stehen dahinter. Zum Einzugsbereich des Fürstbistums zählten einst die „Ämter“ Osnabrück, Fürstenau, Iburg, Gröneburg, Vörden und Wittlage. An den Ecken ranken nachgestellte antike Helme. Jeweils darunter stehen die Namen von Orten der Schlachten des deutsch-französischen Kriegs von 1870 bis 1871. Genannt werden die Orte Nouilly, Mars-la-Tour, Metz, Le Mans, Pontarlier, Sedan, Straßburg, Beaune-la-Rolande, Orléans, Spichern und Paris.

Auf dem mächtigen Kubus oberhalb des Sockels befinden sich auf drei Seiten Inschriften, die auf Gedenktafeln gemeißelt wurden. Sie lauten: „Seinen im Krieg von 1870–71 gebliebenen Söhnen. Das Fürstenthum Osnabrück“, „Wilhelm I. Deutscher Kaiser. 18. Januar 1871“sowie „Im heißen Kampf geeint – Erblühe herrlich – Hort des Friedens – Theures Vaterland!“

Die sogenannte „Krönung“ des Werkes entzieht sich allerdings seit mehr als 70 Jahren dem Blick des Betrachtenden. Es war eine auf der Säule stehende, zwei Meter hohe „Germania“-Skulptur aus Bronze, die damals extra von den Gräflichen Einsiedelschen Werken in Lauchhammer angefertigt worden war. Eine jener vollbusig gegossenen Kampfdamen also, die männlichen Kriegern den Weg zum Schlachtfeld und zum eigenen Ruhm weisen sollten.

Fotos: Manfred PollertFotos: Manfred Pollert
Fotos: Manfred PollertFotos: Manfred Pollert


Ein Denkmal auf der Flucht

Mit nationalem Pathos vom „heldenhaften Kampf und Sieg“ war das Monument am 18. August 1880 auf dem Osnabrücker Neumarkt enthüllt worden. Neben dem Markt vor dem Rathaus, an dem seinerzeit noch der ,vom konservativen Bürgertum angebetete Carl Bertram Stüve thronte, war es damals der wohl prominenteste Ort der Stadt. Heute befinden sich dort Plattformen zum Buseinstieg in Richtung Osten. Damals bildete das imposante Kisling-Verlagsgebäude der national gestimmten Osnabrücker Zeitung den architektonisch gewaltigen Hintergrund. In einer geschlossenen Veranstaltung, zu der Eintrittskarten an Hinterbliebene der anno 1870/71 Getöteten und ausgewählte Honoratioren ausgegeben worden waren, wurde das Heldenmal enthüllt. Pathetische Reden hielten Landdrost Gehrmann, der zugleich Vorsitzender des Denkmalkomitees war, und Oberbürgermeister Heinrich Brüning. Ein Geistlicher, das durfte damals nicht fehlen, weihte das Denkmal für die Ewigkeit.

Der Entwurf für das „Ehrenmal“ hatte dem Federstrich des Osnabrücker Stadtbaumeisters Emil Hackländer (1830–1902) entstammt. Der Plan bestand, wie dann auch umgesetzt, aus einer Säule im korinthischen Stil sowie einem Sockel mit quadratischer Grundfläche. Zu dieser Fläche führen an drei Seiten drei Stufen hoch.

Wer in Veröffentlichungen der Stadtgeschichte blättert, kann die Geschichte des Denkmals jederzeit nachverfolgen. Es ist zugleich die Geschichte einer bemerkenswerten Wanderung von Ort zu Ort, ähnlich dem heutigen Stüve-Denkmal, dass seinen Standort allerdings noch häufiger wechselte.

Weihe und weihevolle Worte verfehlten nämlich 48 Jahre nach der pompösen Einweihung vollends ihre Wirkung. Vertreibung war angesagt.1928 meinte nämlich der nun demokratisch gewählte Rat der Stadt, mit echtem Namen das „Bürgervorsteherkollegium“, dass die stolze Germania den wachsenden Verkehr behinderte. Auch der Ausbau des Straßenbahnnetzes schrie offenkundig nach einem Ortswechsel. Die stolze Germania musste notgedrungen umziehen und wurde mit Schwerlastern und Kränen hoch auf den Westerberg transportiert. Der Standort auf dem baumbestandenen Straßburger Platz befindet sich noch heute inmitten eines Wohnviertels, dessen Straßen Namen aus angeblichen Zeiten von Glanz und Gloria tragen: SPD-Verbieter, Kriegsherr und Reichskanzler Otto von Bismarck ist ebenso in Form von Nachbarstraßen verewigt wie die preußischen Generalfeldmarschälle Roon und Moltke.


Dahinschmelzende Germania, ein Lost Place und ideenreiche Schüler*innen

Ausgerechnet die ansonsten kriegsverliebten Nationalsozialisten waren es, die der angeblichen Nationalgöttin Germania das Schicksal der Hexe bei Hänsel und Gretel bescherten. Die bronzene Ikone wurde während des Zweiten Weltkriegs dem Feuer geopfert. Die geschmolzene Bronze-Masse sollte ihre Dienste für den von Nazis entfachten Völkermord tun. Das Ehrenmal, zunächst noch mit einer Replik ausgestattet, blieb bis ins frühe 21. Jahrhundert unverändert – entwickelte sich jedoch an seinem eher abgelegenen Standort zu einer Art Lost Place von Kunst im öffentlichen Raum.

Mehr noch: Jahrzehnte nach dem Kriege war das ehemalige Heldendenkmal längst zu einem sperrigen Fremdkörper geworden. Ende 2003 machten sich deshalb 20 Schüler*innen des 12. Jahrgangs im Kunst-Leistungskurs des Ratsgymnasiums unter pädagogischer Anleitung auf den Weg, das zeitgemäß zu ändern: Sie erstellten allererste Entwürfe für eine Umgestaltung, mit der das Denkmal in die Gegenwart geholt werden sollte, um damit einer friedlichen Zukunft zu dienen.

Nun war eine Reise angesetzt: Im Januar 2004 stellten Schüler*innen um den engagierten Kunstlehrer Christian Besuden ihr Projekt beim Treffen zum Schulförderprogramm „denkmal aktiv – Kulturerbe macht Schule 2003/2004“ der Deutschen Stiftung Denkmalschutz in Bad Honnef vor.

Die Resonanz war positiv: Die Stiftung unterstützte das Projekt, zu dem fünf Entwürfe existierten, finanziell. Nahezu alle Entwürfe waren von einer gemeinsamen Idee getragen, die seinerzeit von den Akteur*innen in Worte gefasst wurden. „Im Grunde basieren unsere Arbeiten alle auf der Erkenntnis, dass Frieden eine Frage der Balance ist“, hatte die Schülerin Christina Arensmann dazu Ende 2003 bei der Präsentation der vorläufigen Entwürfe auf dem Straßburger Platz gesagt. Und ihr Kunstlehrer Christian Besuden hatte, so ebenfalls die damalige NOZ in ihrer Ausgabe vom 23.12.2003, ergänzt: „Aus dem Kontrast zwischen Alt und Neu sollen Einsichten in ein problematisches Kulturerbe möglich werden und Impulse ausgehen für eine friedliche Zukunft.“

Die Entscheidung fiel schließlich auf die Skulptur „Die schützende Torsion“ von vier Schüler*innen. Zur praktischen Umsetzung waren wiederum Auszubildende außerhalb des Gymnasiums gefragt. Angefertigt wurde der Entwurf aus Karosserieblech von Azubis in der Lehrwerkstatt der Wilhelm Karmann GmbH in Osnabrück. Am Ende wurde alles feuerverzinkt und mit einem farbigen Anstrich versehen. Deutschland und Frankreich: zwei Farben, zwei sich biegende Säulen, eine Art Weltkugel in beiden Farben, die sorgsam geschützt wird.

Die realisierte Skulptur heißt offiziell „die schützende Torsion“. Gefertigt haben sie die unterstützenden Azubis aus Karosserieblech. Zu betrachten sind zwei sich ineinander windende Säulen, die eine gold, die andere silber lackiert. In der Mitte befindet sich eine Kugel, die von den beiden Säulen geschützt wird. Die Kugel ist ebenfalls zweifarbig lackiert. Die Skulptur steht auf einem Betonsockel und stellt somit, auch hier, einen bewussten Bruch zum historischen Denkmal dar. Dass eine Schutzfunktion dargestellt wird, ist letztendlich der zentrale Widerspruch zum Vorgänger-Mahnmal mit seiner aggressiven, kriegsverherrlichenden Botschaft.

Das positive Echo ließ nach der Umsetzung des Werkes nicht lange auf sich warten: 2006 wurden die Schüler*innen in Hannover vom Kultusministerium mit dem seit 1992 vergebenen niedersächsischen Schülerfriedenspreis ausgezeichnet. Der geldwerte Preis wird für Aktionen und Projekte vergeben, die in besonderem Maße „die Völkerverständigung, den Kampf gegen Gewalt und den Abbau von Vorurteilen“ fördern.

Leider fehlen bis heute Erklärungen zum umgestalteten Denkmal, so dass sich die Betrachtenden dessen modernen Sinn eher selbst erschließen müssen. Auf jeden Fall soll das Projekt der Schüler*innen und Auszubildenden zeitlos als Maßnahme gegen das Vergessen zu interpretieren sein. Gelungen ist auf jeden Fall, dass nicht mehr ein kriegerisches Heldenpathos im Vordergrund steht, das schon rein äußerlich eine veraltete Botschaft vermittelt.

Betrachtende können das Denkmal, im aktuellen Friedensjahr allemal, als Anlass dazu nehmen, einmal vor Ort innezuhalten, über die Folgen von Kriegen aller Art nachzudenken und sich, in diesem Fall, an die Deutsch-Französische Freundschaft erinnern, welche die jahrhundertealte „Erbfeindschaft“ seit Jahrzehnten abgelöst hat. Und eine solche Form der Völkerfreundschaft besitzt doch Zukunft und Modellcharakter, oder?

 

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*Die 14-teilige OR-Serie zum 375. Jubiläum des Westfälischen Friedens wird gefördert vom Fachbereich Kultur der Stadt Osnabrück.

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